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Die Schafgarbe und das Problem mit derDefinition

15.12.1997  00:00 Uhr

- Pharmazie

Govi-Verlag

Die Schafgarbe und das Problem mit der Definition

"Von der illusorischen Vorstellung, daß wir mit der Schafgarbe etwas halbwegs klar Definiertes in der Hand hätten, müssen wir uns besser heute als morgen verabschieden." Mit diesen deutlichen Worten formulierte Professor Dr. Friedrich Ehrendorfer, immerhin ein Spezialist auf dem Gebiet der Schafgarben-Systematik, den Tenor eines Achillea-Workshops in Wien.

Liest man das Deutsche Arzneibuch, klingt alles ganz einfach: "Schafgarbenkraut besteht aus den ... Triebspitzen von Achillea millefolium L. Die Droge enthält mindestens 0,2 Prozent ätherisches Öl und mindestens 0,02 Prozent Proazulene." Es folgen die üblichen Prüfungen auf Identität, Reinheit und Gehalt, doch die Wissenschaftler stellen schon die ersten beiden Sätze in Frage: Ist Achillea millefolium L. wirklich die wirksame Art? Woran wäre sie zu erkennen? Sind ätherisches Öl und Proazulene die richtigen Inhaltsstoffe, um die Pflanze ausreichend zu charakterisieren?

"Achillea millefolium" kann zweierlei bedeuten: Im engeren Sinne, sensu stricto (s.s.), ist die von Linné beschriebene hexaploide Art gemeint, im weiteren Sinne, sensu latio (s.l.), eine Gruppe, die mehrere Arten der Gattung Achillea umfaßt. In dieser Gruppe gibt es wirksame, mäßig wirksame und allergieauslösende Arten, Achillea millefolium (s.s.) sei zum Beispiel medizinisch gar nicht so interessant, erklärte Professor Dr. Johannes Saukel vom Institut für Pharmakognosie der Universität Wien. Wirksam seien eher A. collina, A. asplenifolia, A. roseoalba oder A. pratensis. Dagegen lösen A. setacea oder A. chritmifolia Allergien aus, verantwortlich hierfür sind bestimmte Sesquiterpene.

Zwar ist auch diese Beschreibung der Gruppe unzulänglich, doch sind damit die Arten genannt, auf die sich bisher die Untersuchungen zu Inhaltsstoffen und Wirkung konzentrierten.

Professor Dr. Ursula Stanescu aus Iasi, Rumänien, wies bei Mäusen für verschiedene Fraktionen wie Achillea pratensis und Achillea collina antiinflammatorische, choleretische und gastroprotektive Wirkungen nach. Bei Patienten mit Gingivitiden verbesserten sich durch die Anwendung der beiden Schafgarben-Arten nach 14 Tagen Blutungsrate, Plaquebefall und Entzündung. Mit Kamille, die oft für eine Art bessere Schafgarbe gehalten werde, sei die plaquehemmende Wirkung nicht zu beobachten, meinte Stanescu.

Die verschiedenen Arten der Achillea millefolium-Gruppe enthalten Betaine, ätherisches Öl, Flavonoide und Sesquiterpene. Letztere werden in Proazulene und Nicht-Proazulene eingeteilt. Proazulene liefern nach der Destillation ein blaues Öl. Eudesmanolide, Germacrene, Longipinene, 3-Oxa-Guaianolide oder Guaianolid-endoperoxide sind Sesquiterpene ohne Proazulen-Charakter. Eudesmanolide beispielsweise tragen die allergieauslösenden exocyclischen alpha-Methylen-gamma-Lactone. Germacrene weisen überhaupt keine Lactonstruktur auf. Die Verteilung der Sesquiterpene auf die verschiedenen Arten ist unterschiedlich: manche enthalten Proazulene und Nicht-Proazulene, manche nur jeweils einen Typus. Proazulen-führende Sorten mit alpha-Methylen-gamma-Lactonen wurden bisher nicht gefunden.

Antiinflammatorisch wirken nicht nur die Proazulene. A. pratensis, eine proazulenfreie Art, verminderte Ödeme des Mausohres am besten, wie Dr. Silvio Sosa vom Institut für Pharmakologie und Pharmakognosie in Triest schilderte. Proazulen-führende Arten wie A. collina und A. roseoalba waren etwas schwächer wirksam. Sosa stellte außerdem fest, daß nicht einmal der Lactonring notwendig ist: Germacran wirkte von den getesteten Inhaltsstoffen am effektivsten und war mit Indometacin vergleichbar.

Unzureichende Arzneibuchvorschriften

Mit diesen Ergebnissen wird deutlich, daß die Arzneibuchvorschriften relativ wenig Aussagekraft haben. Professor Johann Jurenitsch vom Institut für Pharmakognosie der Universität Wien benannte die Mängel und Tücken:
  • Würden nur Proazulen-haltige Drogen zugelassen, wäre A. pratensis nicht offizinell. Gerade diese Art ist aber gut wirksam.
  • Wirksame Inhaltsstoffe wie Eudesmanolide, Oxa-Guaianolide und vor allem Germacranolide werden nicht berücksichtigt.
  • Für das ätherische Öl wird ein Mindestgehalt gefordert, obwohl bisher über die Wirkung keinerlei Belege vorliegen.
  • Die Flavonoide werden überhaupt nicht erwähnt, obwohl es hier wiederum Hinweise auf einen spasmolytischen Effekt gibt.
  • Die Vorschriften garantieren nicht dafür, daß die Droge keine alpha-Methylen-gamma-Lactone enthält. Einen spezifischen Test für diese Strukturen gibt es bisher nicht. Die Prüfung auf Proazulene schließt nach bisherigem Kenntnisstand diese Allergene aus. Diese »chemische Krücke" helfe jedoch nur, betonte Jurenitsch, wenn kein Gemisch verschiedener Achilleen vorliege

Auch bei der Identifizierung der Drogen bleibt das Arzneibuch die Antwort schuldig: Die morphologischen Beschreibungen liefern nach Ansicht von Jurenitsch höchstens Anhaltspunkte für die ganze Gruppe, nicht aber für die einzelnen Arten.

Und warum ist die Identifizierung so schwierig?

Seit Linné sei nun ein Vierteljahrtausend wissenschaftlicher Arbeit vergangen, doch in den grundlegenden taxonomischen Fragen ließen die Systematiker alle übrigen hängen, "das ist doch eigentlich unverfroren". Ehrendorfer begann seinen Vortrag zwar mit einer Portion Selbstkritik, hatte jedoch auch Erklärungen parat: Es gibt Achilleen mit doppelten, vierfachen, sechsfachen oder achtfachen Chromosomensätzen.

Der Grundchromosomensatz und die Struktur der Chromosomen ändern sich quer durch die ganze Gattung nur sehr wenig, dadurch bleiben viele Vertreter der Gattung lange untereinander kreuzbar. Das Ergebnis ist eine phänomenale Anpassungfähigkeit und die Eigenschaft, innerhalb von zwei bis drei Generationen ganz neue Rassen und Formen auszubilden. Es ist von Dach- und Basis-Sippen, Gruppen und Kleinarten die Rede. Endgültig definiert sind sie bisher nicht; auch rechnen die Experten damit, daß immer noch neue dazukommen.

PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Wien

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