Pharmazie
"Von der illusorischen Vorstellung, daß wir mit der Schafgarbe etwas
halbwegs klar Definiertes in der Hand hätten, müssen wir uns besser heute
als morgen verabschieden." Mit diesen deutlichen Worten formulierte
Professor Dr. Friedrich Ehrendorfer, immerhin ein Spezialist auf dem Gebiet
der Schafgarben-Systematik, den Tenor eines Achillea-Workshops in Wien.
Liest man das Deutsche Arzneibuch, klingt alles ganz einfach: "Schafgarbenkraut
besteht aus den ... Triebspitzen von Achillea millefolium L. Die Droge enthält
mindestens 0,2 Prozent ätherisches Öl und mindestens 0,02 Prozent Proazulene." Es
folgen die üblichen Prüfungen auf Identität, Reinheit und Gehalt, doch die
Wissenschaftler stellen schon die ersten beiden Sätze in Frage: Ist Achillea
millefolium L. wirklich die wirksame Art? Woran wäre sie zu erkennen? Sind
ätherisches Öl und Proazulene die richtigen Inhaltsstoffe, um die Pflanze ausreichend
zu charakterisieren?
"Achillea millefolium" kann zweierlei bedeuten: Im engeren Sinne, sensu stricto (s.s.),
ist die von Linné beschriebene hexaploide Art gemeint, im weiteren Sinne, sensu
latio (s.l.), eine Gruppe, die mehrere Arten der Gattung Achillea umfaßt. In dieser
Gruppe gibt es wirksame, mäßig wirksame und allergieauslösende Arten, Achillea
millefolium (s.s.) sei zum Beispiel medizinisch gar nicht so interessant, erklärte
Professor Dr. Johannes Saukel vom Institut für Pharmakognosie der Universität
Wien. Wirksam seien eher A. collina, A. asplenifolia, A. roseoalba oder A.
pratensis. Dagegen lösen A. setacea oder A. chritmifolia Allergien aus,
verantwortlich hierfür sind bestimmte Sesquiterpene.
Zwar ist auch diese Beschreibung der Gruppe unzulänglich, doch sind damit die
Arten genannt, auf die sich bisher die Untersuchungen zu Inhaltsstoffen und Wirkung
konzentrierten.
Professor Dr. Ursula Stanescu aus Iasi, Rumänien, wies bei Mäusen für
verschiedene Fraktionen wie Achillea pratensis und Achillea collina
antiinflammatorische, choleretische und gastroprotektive Wirkungen nach. Bei
Patienten mit Gingivitiden verbesserten sich durch die Anwendung der beiden
Schafgarben-Arten nach 14 Tagen Blutungsrate, Plaquebefall und Entzündung. Mit
Kamille, die oft für eine Art bessere Schafgarbe gehalten werde, sei die
plaquehemmende Wirkung nicht zu beobachten, meinte Stanescu.
Die verschiedenen Arten der Achillea millefolium-Gruppe enthalten Betaine,
ätherisches Öl, Flavonoide und Sesquiterpene. Letztere werden in Proazulene und
Nicht-Proazulene eingeteilt. Proazulene liefern nach der Destillation ein blaues Öl.
Eudesmanolide, Germacrene, Longipinene, 3-Oxa-Guaianolide oder
Guaianolid-endoperoxide sind Sesquiterpene ohne Proazulen-Charakter.
Eudesmanolide beispielsweise tragen die allergieauslösenden exocyclischen
alpha-Methylen-gamma-Lactone. Germacrene weisen überhaupt keine
Lactonstruktur auf. Die Verteilung der Sesquiterpene auf die verschiedenen Arten ist
unterschiedlich: manche enthalten Proazulene und Nicht-Proazulene, manche nur
jeweils einen Typus. Proazulen-führende Sorten mit
alpha-Methylen-gamma-Lactonen wurden bisher nicht gefunden.
Antiinflammatorisch wirken nicht nur die Proazulene. A. pratensis, eine
proazulenfreie Art, verminderte Ödeme des Mausohres am besten, wie Dr. Silvio
Sosa vom Institut für Pharmakologie und Pharmakognosie in Triest schilderte.
Proazulen-führende Arten wie A. collina und A. roseoalba waren etwas schwächer
wirksam. Sosa stellte außerdem fest, daß nicht einmal der Lactonring notwendig ist:
Germacran wirkte von den getesteten Inhaltsstoffen am effektivsten und war mit
Indometacin vergleichbar.
Unzureichende Arzneibuchvorschriften
Mit diesen Ergebnissen wird deutlich, daß die Arzneibuchvorschriften relativ wenig
Aussagekraft haben. Professor Johann Jurenitsch vom Institut für Pharmakognosie
der Universität Wien benannte die Mängel und Tücken:
- Würden nur Proazulen-haltige Drogen zugelassen, wäre A. pratensis nicht
offizinell. Gerade diese Art ist aber gut wirksam.
- Wirksame Inhaltsstoffe wie Eudesmanolide, Oxa-Guaianolide und vor allem
Germacranolide werden nicht berücksichtigt.
- Für das ätherische Öl wird ein Mindestgehalt gefordert, obwohl bisher über
die Wirkung keinerlei Belege vorliegen.
- Die Flavonoide werden überhaupt nicht erwähnt, obwohl es hier wiederum
Hinweise auf einen spasmolytischen Effekt gibt.
- Die Vorschriften garantieren nicht dafür, daß die Droge keine
alpha-Methylen-gamma-Lactone enthält. Einen spezifischen Test für diese
Strukturen gibt es bisher nicht. Die Prüfung auf Proazulene schließt nach
bisherigem Kenntnisstand diese Allergene aus. Diese »chemische Krücke"
helfe jedoch nur, betonte Jurenitsch, wenn kein Gemisch verschiedener
Achilleen vorliege
Auch bei der Identifizierung der Drogen bleibt das Arzneibuch die Antwort schuldig:
Die morphologischen Beschreibungen liefern nach Ansicht von Jurenitsch höchstens
Anhaltspunkte für die ganze Gruppe, nicht aber für die einzelnen Arten.
Und warum ist die Identifizierung so schwierig?
Seit Linné sei nun ein Vierteljahrtausend wissenschaftlicher Arbeit vergangen, doch
in den grundlegenden taxonomischen Fragen ließen die Systematiker alle übrigen
hängen, "das ist doch eigentlich unverfroren". Ehrendorfer begann seinen Vortrag
zwar mit einer Portion Selbstkritik, hatte jedoch auch Erklärungen parat: Es gibt
Achilleen mit doppelten, vierfachen, sechsfachen oder achtfachen
Chromosomensätzen.
Der Grundchromosomensatz und die Struktur der Chromosomen ändern sich quer
durch die ganze Gattung nur sehr wenig, dadurch bleiben viele Vertreter der Gattung
lange untereinander kreuzbar. Das Ergebnis ist eine phänomenale
Anpassungfähigkeit und die Eigenschaft, innerhalb von zwei bis drei Generationen
ganz neue Rassen und Formen auszubilden. Es ist von Dach- und Basis-Sippen,
Gruppen und Kleinarten die Rede. Endgültig definiert sind sie bisher nicht; auch
rechnen die Experten damit, daß immer noch neue dazukommen.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Wien

© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de