Pharmazie
Das National Cancer Institute der USA durchsucht seit Jahren
Unmengen von Pflanzenspezies nach neuen Wirkstoffen gegen Krebs.
Inzwischen wurden die Screening-Programme um Tests gegen das HI-Virus
erweitert. 4500 Pflanzenproben werden pro Jahr durch die
In-vitro-Schleusen geschickt: Was danach für weitere Versuche übrigbleibt,
faßte Professor Dr. Arnold J. Vlietinck von der Universität in Antwerpen,
Belgien, auf dem Kongreß der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung in
Regensburg zusammen.
Nach mehr als 50 Jahren Forschung seien noch nicht einmal 20 Wirkstoffe gegen
Virusinfektionen bei der Food and Drug Administration der USA (FDA) zugelassen,
zählte Vlietinck auf. Die Mehrzahl der Substanzen gegen HIV sind
Nukleosidanaloga, deren Wirkung sich auf die Hemmung von Protease und
Reverser Transkriptase (RT) beschränkt. Das Screening-Programm läßt die
Hoffnungen auf neue Wirkstoffe steigen. Zumindest in vitro greift eine ganze Reihe
von Pflanzeninhaltsstoffen an den verschiedensten Stationen in den Lebenszyklus des
Virus ein.
Das Virus dockt an der Wirtszelle an und verschmilzt mit ihr. Schon hier könnte der
erste Angriffspunkt für Medikamente sein. Sulfatierte Polysaccharide behindern den
Kontakt des viralen Hüllproteins gp 120 mit dem CD4-Rezeptor auf Monozyten
und Makrophagen. Sie hemmen auch die Bildung von Synzytien, die durch die
Fusion gesunder mit infizierten Zellen entstehen. Sulfatierte Polysaccharide wurden
aus Viola yedoensis, Prunella vulgaris oder Althernanthera philoxeroides gewonnen.
Alle drei Pflanzen sind als Antiinfektiva aus der traditionellen Chinesischen Medizin
bekannt. Die Sulfatgruppen sind für die Wirkung dieser Polymere essentiell.
Vlietinck berichtete, daß sich auch andere Strukturen mit vergleichbaren
Bindungsstellen durch Sulfatierung in HIV-wirksame Strukturen umwandeln lassen.
Lektine hemmen Fusion und Synzytien-Bildung, indem sie mit Mannose- oder
N-Acetylglucose-reichen Hüllproteinen interagieren. Manche werden bereits klinisch
getestet. Papaverin hemmt in Kombination mit AZT die HIV-Replikation und
HIV-induzierte zytopathische Effekte. Die Phase der klinischen Studien haben auch
die Naphtylisochinolinalkaloide Michellamin A bis C erreicht. Michellamin B sei am
wirksamsten.
Das Dimer aus der tropischen Liane Aristocladus korupensis wirkt gegen HIV 1 und
2. Es hemmt die Bildung von Synzytien, aber zusätzlich auch die Aktivität der RT.
Die ungewöhnliche Struktur ist darüber hinaus leicht löslich und chemisch stabil.
Die besten Chancen: (-)-Calanolid B
Auch die Calanolide A und B hemmen die RT. Anders als die Michellamine wirken
Calanolide allerdings nur gegen HIV 1. Vlietinck räumte den Calanoliden von allen
Inhaltsstoffen seines Vortrags die besten Chancen ein. Sie werden bereits in Phase
III klinisch getestet, sie erfüllen die Anforderungen an Bioverfügbarkeit, Stabilität
und Toxizität, und sie sind leicht zu gewinnen: Mit 48 Prozent ist (-)-Calanolid B
Hauptbestandteil im Latex des tropischen Regenwaldbaumes Calophyllum
teysmannii. Ursprünglich wurden die Calanolide aus den Blättern des malaysischen
Regenwald-Baumes Calophyllum lanigerum isoliert. Hier waren die Ausbeuten
jedoch sehr schlecht, und synthetisch konnte bisher nur razemisches Calanolid
hergestellt werden.
Die Translation der viralen Erbinformation wird durch sogenannte SCRIPs (single
chain ribosome inactivating proteins) gehemmt. Pokeweed antiviral Protein (PAP)
aus Phytolacca americana oder Trichosanthin aus den Wurzelknollen von
Trichosanthes kirilowii sind solche SCRIPs. Sie hemmen die Virus-Replikation in
akut und chronisch infizierten Lymphozyten. Trotz schwerer Nebenwirkungen
(Immunogenität und anaphylaktisches Potential) wurde Trichosantin in Phase I und II
klinisch getestet.
Castanospermin (aus Castanospermum australe) und 1-Deoxynojirimicin (aus
Omphalea diandra) sind Alkaloide mit Wirkung auf Glucosidase oder Mannosidase.
Die Enzyme spalten Zucker von Oligosacchariden, damit die sich zu größeren
Komplexen zusammenlagern können.
Schließlich kann auch der Austritt des fertigen Virus aus der Zelle gestört werden.
Über die Zerstörung der Zellmembran wirken hier beispielsweise Hypericin oder
Photosensitizer. Für die systemische Therapie reicht nach Vlietincks Ansicht die
Wirkung von Hypericin jedoch nicht aus.
Auch die Entwicklung neuer Wirkstoffe ändert nichts am Primat der
Kombinationstherapie, so Vlietinck abschließend. Nur so ließen sich Vor- und
Nachteile sinnvoll ausgleichen: Denn am einen Ende der Skala gebe es Substanzen
mit niedriger Spezifität, breiter Aktivität, niedriger Resistenzgefahr, aber einem
gewissen Toxizitätspotential; am anderen Ende stünden Substanzen mit hoher
Spezifität, niedriger Toxizität, aber dafür einer erhöhten Resistenzgefahr.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Regensburg


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