Johanniskraut weiterhin empfehlenswert |
22.04.2002 00:00 Uhr |
Interview
von Ulrich Brunner, Eschborn
In einer Studie, die kürzlich im US-amerikanischen Fachjournal JAMA veröffentlicht wurde, schnitt Johanniskraut bei mittelschweren Depressionen nicht besser ab als Placebo. Die PZ sprach mit Privatdozent Dr. Markus Veit, Leiter des Zentralinstituts für Arzneimittelforschung, über die Studie und deren Folgen für die Beratung in der Apotheke.
PZ: Johanniskraut-Präparate zählen zu den relativ gut dokumentierten Phytopharmaka. Haben die Präparate nach dieser Studie noch einen Platz in der rationalen Phytotherapie?
Veit: Johanniskrautpräparate werden in Deutschland als zugelassene Arzneimittel bei der Therapie leichter bis mittelschwerer Depressionen verwendet. Die in der Studie eingeschlossenen Patienten litten dagegen überwiegend unter Depression mit stärker ausgeprägten Symptomatik - zum Teil therapieresistent. Insofern hat die Studie für die Anwendung von Johanniskrautpräparaten in Deutschland wenig Relevanz.
PZ: Die Firma Lichtwehr übt harte Kritik an der JAMA-Studie. Ihrer Meinung nach haben die Daten keine Aussagekraft, da das Studiendesign ungeeignet sei. Das Antidepressivum Sertralin habe als Positivkontrolle versagt. Wehrt sich der Hersteller zurecht gegen die Interpretation der Studiendaten?
Veit: Aus meiner Sicht ja; ich kann die Argumentation der Firma Lichtwer in allen Punkten nachvollziehen. Das Unternehmen steht im übrigen mit seiner Kritik nicht allein. Die kritischen Stimmen - nicht nur aus der Industrie - nehmen täglich zu; auch in den USA. Diese Kritik betrifft das Design und die Durchführung der Studie sowie die Schlüsse, die von den Autoren aus den Ergebnissen gezogen werden. Letzteres ist besonders wichtig, da das Vertrauen in Johanniskrautpräparate der Patienten durch die Berichterstattung über die Studie insgesamt gefährdet ist. Inwieweit allerdings der bereits entstandene Vertrauensverlust - insbesondere in den USA - wieder rückgängig gemacht werden kann, ist fraglich.
PZ: Wie sollten Apotheker ihre Kunden in Zukunft beraten, wenn diese nach Johanniskraut-Präparaten fragen?
Veit: Was die Nebenwirkungen angeht hat die Studie eindrucksvoll bestätigt, dass Johanniskrautpräparate wesentlich besser abschneiden als Sertralin. Das ist sicher ein wichtiger Punkt in der Beratung. Was die Wirksamkeit angeht, so sind niedriger dosierte Präparate mit entsprechend niedrigeren Indikationsansprüchen sowieso und auch höher dosierte Johanniskraut-Präparate mit der Indikation "Leichte bis mittelschwere Depressionen" aus meiner Sicht von dieser Studie nicht betroffen. Da in der Studie Patienten mit einem anderem Schwergrad und Ausprägung der Depression behandelt wurden.
Für die Kollegen in der Offizin hat sich daher nichts geändert - außer, dass sie verstärkt auf diese Sachverhalte hinweisen sollten. Die Behandlung von Patienten mit schwererer Symptomatik obliegt den Fachärzten. Ob die dann ein Johanniskraut-Präparat verordnen, wird sicher mehr von der individuellen Erfahrung als von den Ergebnissen dieser Studie abhängen.
PZ: Böse Zungen behaupten, die Studie sei gezielt angelegt worden, um das pflanzliche Antidepressivum ins Abseits zu stellen.
Veit: Das kann man den Verantwortlichen für die Studie sicher nicht unterstellen. In der Studie ist es schließlich nicht nur nicht gelungen, die Wirksamkeit von Johanniskrautpräparaten bei den behandelten Patienten zu zeigen, sondern auch die für das Vergleichspräparat Sertralin konnte nicht nachgewiesen werden. Ein Hinweis darauf, dass mit der gesamten Konzeption und der Fragestellung in der Studie etwas nicht stimmte. Nicht nachvollziehbar sind für mich allerdings die aus den erhobenen Daten gezogenen Schlussfolgerungen, die unter anderem diesem Umstand kaum würdigen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle feststellen, dass ich es bemerkenswert finde, dass in den USA eine solche Studie mit öffentlichen Geldern durchgeführt wird. Unabhängig von dem Ergebnis und wie es öffentlich "vermarktet" wird, ist dieser Vorgang sehr positiv zu bewerten und für uns in Deutschland im günstigsten Fall Zukunftsmusik.
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