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Apotheker erstellen Umweltgutachten

05.04.2004  00:00 Uhr

Fachapotheker für Toxikologie und Ökologie

Apotheker erstellen Umweltgutachten

von Lothar Leendertz, Krefeld

Holzschutzmittel in Kindergärten oder Farbstoffe der Textilindustrie im Boden – so oder ähnlich lauten die Überschriften von Umweltgutachten. Wie kommt ein Apotheker dazu, solche Gutachten zu erstellen? Handelt es sich doch auf den ersten Blick um ein fremdes Terrain weit weg von Arzneimitteln.

Erforderlich werden derartige Umweltgutachten vor allem bei der Neubebauung alter Gewerbestandorte. Aber auch beim Umbau oder Abriss von Gebäuden werden heute vor Baubeginn oft Gutachten erstellt, um Gefahrstoffe zu erfassen. Eine Vielzahl der jetzt sanierungsbedürftigen Gebäude stammt aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Zu diesem Zeitpunkt wurden viele Baustoffe eingesetzt, die aus heutiger Sicht als Schadstoffe einzustufen sind, so zum Beispiel PCB in Fugenmassen oder als Brandschutzanstrich, PCP in Holzschutzmitteln, Asbest als Brandschutz oder teerhaltige (PAK) Kleber.

In der Regel erstellen Geologen (Boden) oder Bauingenieure (Boden und Gebäude) diese Gutachten. Zwar haben diese Berufsgruppen zweifelsfrei fundierte Fachkenntnisse über Boden und Bauwerke, jedoch fehlt es ihnen an Wissen über den Schadstoff und dessen Wirkung auf Mensch und Umwelt. Zudem wird die Analytik der Proben in der Regel von externen Labors durchgeführt. Dort arbeiten erfahrene Chemiker, denen die Möglichkeiten und Grenzen der Analytik bekannt sind. Da dies bei den Gutachtern nur selten der Fall ist, führt dies oft zu Fehlinterpretationen.

Hierzu ein (vereinfachtes) Beispiel: Bei der Untersuchung auf Schwermetalle im Boden wird der zu untersuchende Boden zunächst mit Königswasser aufgeschlossen. Da Königswasser bekanntlich eine sehr aggressive Säure ist und auch metallisches Chrom auflöst, ergibt die Analyse einer Bodenprobe mit einem Stück chromhaltigem Metall erhöhte Chromgehalte. Dies führt unter Umständen zu einer aufwendigen Sanierung. Für den Menschen stellt Chrom jedoch in metallischer Form im Boden keine relevante Gefährdung dar. Auch in der Oxidationsstufe +3 ist Chrom vergleichsweise wenig toxisch. Dagegen ist Chrom (VI), wie es zum Beispiel auf alten Gerbereistandorten im Boden anzutreffen ist, mit einem TRD-Wert (Tolerierbare resorbierbare Dosis für langfristige orale Aufnahme) von 5 µg/kg*d ausgesprochen toxisch. Diese toxisch unterschiedlichen Verbindungen sind in der Standardanalytik für Bodenuntersuchungen zunächst nicht unterscheidbar und führen somit zur gleichen Bewertung, wenn dem Gutachter das Wissen über die unterschiedliche Toxizität je nach Oxidationsstufe fehlt und er die Grenzen der Analytik nicht kennt – was sehr oft der Fall ist.

So stellen typischerweise Umweltgutachten oft den reinen Vergleich von Messwerten, die an Boden- und Gebäudeproben genommen wurden, anhand von Prüfwertlisten dar. Diese Prüfwertlisten werden oft ohne rechtliche Grundlage aus diversen Veröffentlichungen von den Gutachtern zusammengestellt und summarisch angewandt. Zu nennen ist hierbei die Bundesbodenschutzverordnung (BBodSchV), die aber für Bodenproben lediglich für einzelne Parameter Prüfwerte aufweist, oder aber auch die TRGS 519 (für Asbest) oder die PCP-Richtlinie (PCP in Gebäuden). Ein derartiges Vorgehen reicht auch für einen Großteil der Fragestellungen aus.

Nun gibt es aber auch eine Reihe von Chemikalien, die in Böden oder Bauwerken gefunden werden, für die es keine stoffbezogenen Prüfwerte gibt. Ein besonders spektakulärer Fall ist der einer ehemaligen Textilfärberei, auf deren Gelände ein Neubau errichtet werden sollte. Beim Abbruch der Fabrik in den 1970er-Jahren wurden die Abwasserrohre im Boden gelassen – allerdings inklusive des Schlamms aus den Färbebecken in den Abwasserrohren. Die mit Farbe gefüllten Rohre zerbrachen im Laufe der Zeit und ihr Inhalt sickerte durch den Boden bis ins Grundwasser, wo er dann in 7 m Tiefe mit dem Grundwasserstrom weitertransportiert wurde. Der Boden unterhalb der Abwasserrohre war dementsprechend in großen Bereichen bis in über 10 Meter Tiefe blau verfärbt, die “Verunreinigung” insofern auch für jeden Laien erkennbar.

Die zunächst durchgeführte Standardanalytik, wie sie bei einer Altlastuntersuchung üblich ist, erbrachte alarmierende Ergebnisse: Es wurden stark erhöhte Cyanidwerte gemessen, was zu entsprechend reißerischen Überschriften in der Lokalpresse (Stichwort: "Blausäure") führte.

Dieser Fall entwickelte sich dann zu einem Beispiel, wie die Kenntnisse eines Fachapothekers für Toxikologie und Umwelttoxikologie für alle Beteiligten gewinnbringend eingesetzt werden können. Zunächst wurde mittels angepasster Analytik die Bindungsform der Cyanide geklärt und festgestellt, dass es sich um "Berliner Blau" handelte. Anschließend konnte in einem Gutachten begründet und hergeleitet werden, dass “Berliner Blau” eine untoxische Verbindung von Cyaniden darstellt, von der keine Gefahr ausging. Dies ergab eine völlig neue Gefahreneinschätzung und konnte den Aufwand für die Sanierung des Bodens und den Arbeitsschutz der auf der Baustelle eingesetzten Personen auf ein angemessenes Maß reduzieren. Damit waren auch Kosteneinsparungen in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro für den Bauherrn verbunden.

Auch Schadstoffgemische oder Fälle, in denen Reaktionen im Boden ablaufen können, sind Fragestellungen für den Umweltgutachter, die mehr als das bloße Anwenden von Prüflisten erfordern. Ein aktueller Fall betrifft eine verfüllte Kiesgrube. Hier wurden mehr als 300.000 Kubikmeter Abraum aus dem Kohlebergbau verkippt. Dieser enthält Pyrit (Eisensulfid), aus dem sich unter bestimmten Bedingungen Sulfat entwickeln kann. Dieses Sulfat tritt in wasserlöslicher Form auf. Typischerweise hat das Sickerwasser aus derartigen Halden dann Gehalte von bis zu mehreren Gramm Sulfat pro Liter. Problematisch kann dies werden, wenn das Abraummaterial direkt im Grundwasser sowie ein Wasserwerk zur Trinkwassererzeugung in unmittelbarer Nähe liegt und auf dem Grundstück auch noch gebaut werden soll. Denn durch den Bauantrag steht die Genehmigungsbehörde vor der Frage, ob und wie sich die Baumaßnahme auf das Grundwasser auswirkt und ob vielleicht eine erhöhte Sulfatfracht im Grundwasser beziehungsweise welche schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt zu befürchten sind.

Die gerade fertig gestellte Risikoanalyse beinhaltete eine Bewertung der Reaktionskinetik von Sulfat, eine Analyse der Einflussfaktoren der Sulfatentstehung, eine toxikologische Bewertung von Sulfat und eine Prognose der Auswirkungen der Baumaßnahme. Inzwischen hat sich der Titel des Fachapothekers für Toxikologie und Ökotoxikologie bei den Umweltbehörden durchaus als ein Beleg von Kompetenz etabliert. Top

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