Entzündung macht Gefäße undicht |
07.04.2003 00:00 Uhr |
Dass die ungünstigen hämodynamischen Bedingungen in den unteren Extremitäten maßgeblich an der Entstehung der chronisch venösen Insuffizienz beteiligt sind, ist hinlänglich bekannt. Dennoch haben viele Menschen trotz sitzender oder stehender Tätigkeit nie Beschwerden. Neueste Erkenntnisse auf zellulärer und biochemischer Ebene geben Aufschluss.
"Neben den ungünstigen physikalischen Vorbedingungen spielen auch aktive zelluläre und biochemische Prozesse eine wichtige Rolle. Sie nehmen in den kleinsten Venen der Beine, den Venulen, ihren Ursprung", erklärte Professor Dr. med. Stephan Nees vom Physiologischen Institut der Ludwigs-Maximilian-Universität in München auf einer Pressekonferenz der Klinge Pharma GmbH Ende März in München.
Endothel mit Lücken
Diese winzigen Gefäße haben einen Durchmesser von nur 20 mm und 100 mm und sind überaus zahlreich. Wie alle Blutgefäße sind die Venulen ebenfalls von Endothelgewebe ausgekleidet, das dafür sorgt, dass das Blut innerhalb des Kreislaufsystems nicht gerinnt. Gesundes Endothel sondert ständig Hemmstoffe ab, die die Aktivität von Thrombozyten und Leukozyten in Schach halten. Speziell das Endothel der kleinsten Venen hat aber noch eine zusätzliche Funktion: Es besteht aus kontraktilem Gewebe und kann aktiv die Weite seiner Interzellularspalten steuern.
Kommt es außerhalb der Venule zu einer Entzündung, reagiert das Endothel mit einer Kontraktion, wodurch durch das Auseinanderweichen der Zellen Plasma ins Gewebe übertritt. Der entstehende hohe Druck kann die kleinsten Venen regelrecht abwürgen. Aus dem infizierten Bereich werden zudem Adhäsionsmoleküle freigesetzt, an die sich Leukozyten anheften. Solche adhärenten Leukozyten können jetzt ins Gewebe wandern; aus einem passivem Gleiten durch den Blutstrom ist eine aktive Migration geworden. Weichen Endothelzellen auseinander, liegen zudem die darunter liegenden Zellen, die Perizyten, frei, die den so genannten Tissue Factor (TF) produzieren. TF fungiert als molekularer Schalter und wirft kaskadenartig die Gerinnung an.
Ambivalentes NO
Gesundes Endothel produziert ständig als sekundären Botenstoff Stickstoffmonoxid, das rasch zur glatten Muskulatur diffundiert und dafür sorgt, dass die Gefäße weit bleiben. Wenn venuläres Endothel auseinander weicht, diffundieren Botenstoffe jedoch aus dem Zellzwischenraum an die kleinsten Gefäße und bewirken statt Dilatation eine Konstriktion. Verlaufen diese Prozesse chronisch, kommt es zu einem gravierenden Wandumbau und zu einem zunehmenden Funktionsverlust der Venenklappen.
Bilder aus dem Endothel
Diese biochemischen Prozesse lassen sich heute auch mit der Videokamera im Zeitraffer darstellen. In den Sequenzen, die das Team um Nees aufgenommen hat, zeigt sich, dass aktivierte Thrombozyten und neutrophile Granulozyten nicht einzeln agieren, sondern zusammenarbeiten. Gemeinsam schütten sie Entzündungsmediatoren aus, die zu undichtem Endothel führen. Diese Prozesse lassen sich konzentrationsabhängig durch Rosskastaniensamenextrakte unterbinden. Dadurch wird das kontraktile System der venulären Endothelzellen gehemmt. Durch die fehlende Kontraktion sowie durch Reparaturprozesse bleibt die Endothelbarriere auch in Gegenwart vieler aktivierter Blutzellen dicht. Rosskastaniensamenextrakte setzen zudem die Adhäsivität von Thrombozyten und Leukozyten herab und blockieren somit auch die Interaktion dieser Blutzellen mit dem venulären Endothel.
Jahre gewinnen durch frühe Therapie
Moderne Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten venöser Erkrankungen beschrieb Dr. med. Jordan Rechner von der Bodenseeklinik in Lindau: Um eine Venenerkrankung richtig einzuschätzen, aber auch um eine Operation vorzubereiten, hat sich die farbcodierte Duplex-Sonographie bewährt. Als nicht-invasive Methode belastet sie den Patienten nicht und kann beliebig oft wiederholt werden.
Ziel jeder Therapie ist es, den venösen Blutfluss wieder herzustellen, das Venenendothel zu regenerieren und das Bindegewebe zu stärken. Dabei greifen Kompression, physikalische und medikamentöse Maßnahmen ineinander.
Oberflächliche Varizen können zudem durch eine Sklerosierung geschlossen werden, wobei entweder Medikamente wie Ethoxysklerol verwendet werden, oder eine Laser- beziehungsweise Hochfrequenzbehandlung erfolgt. Sind tiefe Venenabschnitte betroffen, ist eine Operation die Methode der Wahl. Dabei ist der Eingriff heute durch eine endoskopische Operationstechnik einfacher, schneller und risikoärmer.
Jede Venenerkrankung sollte möglichst früh erkannt und therapiert
werden, um Komplikationen wie Thrombosen zu verhindern. Durch die
richtigen Maßnahmen kann der Verlauf einer Veneninsuffizienz um Jahre
hinaus geschoben werden. Rechner appellierte dabei auch an Apotheker,
Kunden und Patienten die Risiken, aber auch Behandlungsmöglichkeiten einer
Störung im venösen System aufzuzeigen.
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