Aut idem bei Phytopharmaka kaum möglich |
14.01.2002 00:00 Uhr |
von Elke Wolf, Frankfurt am Main
Die Debatte über die geplante Aut-idem-Regelung schlägt hohe Wellen. Inzwischen werden Stimmen laut, die auch pflanzliche Arzneimittel in diese Regelung einbeziehen wollen. Auch hier gibt es heftige Kontroversen: Was für manche durchaus realisierbar erscheint, ist für andere vom Grundsatz nicht vorstellbar. Sind bei Phytopharmaka die Voraussetzungen für eine Aut-idem-Regelung grundsätzlich erfüllt? Diese Frage diskutierten Vertreter aus Industrie, Hochschule und Fachverbänden, die Professor Dr. Henning Blume, SocraTec, zu einem Gespräch ins Biozentrum der Universität Frankfurt eingeladen hatte.
Für Professor Dr. Volker Dinnendahl von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker in Eschborn ist die Sache klar. "Aut idem kann es bei Phytopharmaka nicht geben." Der Stellungnahme der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft zur vorgesehenen Aut-idem-Regelung sei nichts hinzuzufügen. Da heißt es: "Dabei kann es jedoch nur um eine Entscheidung unter tatsächlich wirkstoffidentischen Arzneimitteln gehen, während die Regelung für nur ähnliche Produkte wie zum Beispiel Phytopharmaka mit unterschiedlichen Extrakten keine Anwendung finden kann." Im Übrigen seien Phytopharmaka in der Aut-idem-Diskussion ein Nebenkriegsschauplatz, sagte Dinnendahl. Denn pflanzliche Arzneimittel machten lediglich 3 Prozent des GKV-Verordnungsvolumens aus.
Professor Dr. Gerd Glaeske, Universität Bremen, hält es dagegen für wichtig, pflanzliche Arzneimittel in die Aut-idem-Diskussion einzubeziehen. Er befürchtet, dass auch hier irgendwann das untere Preisdrittel zur Substitution vorgegeben wird, nur weil man versäumt habe, Qualitätskriterien zu definieren. Die Kompetenz von Fachleuten sei gefragt, um artifiziell erhöhte und nachlässig erniedrigte Anforderungen zurückzuweisen. Auch Glaeske ist der Ansicht, dass es Aut idem bei Phytopharmaka im engeren Sinne nicht geben kann, eine Vergleichbarkeit jedoch schon. "Die Austauschbarkeit kann sich nur auf in der Qualität vergleichbare Phytotherapeutika beziehen, nicht nur auf Präparate mit gleichen Inhaltsstoffen."
Markt mit Qualitätsmängel
"Phytopharmaka imponieren mit einem Dilemma", formulierte Professor Dr. Theo Dingermann, Universität Frankfurt. "Informationen zur Produktqualität für die Fachkreise sind Mangelware. Transparenz ist praktisch nicht vorhanden und Vergleiche dadurch nur schwer möglich." Das beginnt bereits beim pflanzlichen Ausgangsmaterial, und gilt ebenso für die Extraktgewinnung sowie für das Fertigarzneimittel, stellte das Gremium fest. Die Monographien der Arzneibücher sind zwar eine gute Ausgangsbasis und formulieren Mindestanforderungen. Aber viele, für die Herstellung einer reproduzierbaren Qualität maßgeblichen Faktoren (Drogenanbau, Verschnitt verschiedener Ernten, Geräte, Methoden, Droge-Extrakt-Verhältnis) kann ein Arzneibuch nicht vorgeben. Deshalb muss statt dessen eine umso ausführlichere analytische Beschreibung des Extraktes und des Produktionsprozesses erfolgen, forderten die Experten. Die Aufnahme von Extrakt-Monographien in das Europäische Arzneibuch seien ein Schritt in die richtige Richtung.
"Um konstante Qualität zu gewährleisten, sind zusätzliche Spezifikationen erforderlich. Das gilt von Charge zu Charge genauso wie für Produkte verschiedener Firmen", fasste Blume zusammen. "Gleiches Ausgangsmaterial muss immer in einem validierten, kontrollierten Herstellungsprozess verarbeitet werden. Sämtliche Bedingungen gilt es konstant zu halten, um zu einem Produkt konstanter Qualität zu kommen. Das Motto 'das Produkt ist der Prozess' gilt umso mehr, je weniger man über analysierbare Parameter eines Produktes weiß." Besonders betroffen sind pflanzliche Arzneimittel der Extraktkategorie Typ C wie Baldrian- oder Brennnesselwurzel-Extrakte, bei denen zurzeit keine chemisch definierten Substanzen als verantwortlich für die pharmakologische oder klinische Effizienz benannt werden können.
Therapeutische Äquivalenz nicht erfüllt
Voraussetzung für die generische Substitution ist, dass therapeutisch äquivalente Produkte eingesetzt werden. Auch hieran krankt es bei Phytopharmaka. Denn "die therapeutische Äquivalenz ist bei pflanzlichen Arzneimitteln im Allgemeinen nicht Gegenstand der Untersuchungen, die zur Zulassung führen", informierte Dr. Konstantin Keller, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Bei Phytopharmaka gebe es die bezugnehmende Zulassung im engeren Sinne nicht, bei der man die Wirksamkeit pflanzlicher Arzneimittel mit Placebo oder einer Standardtherapie vergleiche. Die so genannte bibliographische Zulassung bezieht sich nur auf in der Literatur publizierte Belege der therapeutischen Wirksamkeit.
"Da der Nachweis der therapeutischen Äquivalenz kein Zulassungskriterium ist, kommt letztendlich die Aut-idem-Substitution für Phytopharmaka nicht in Frage. Es können eigentlich nur Präparate gegeneinander ausgetauscht werden, die aus der gleichen Küche kommen und als exakt gleiche Lizenzpräparate von anderen Firmen vertrieben werden. Die Zulassung eines Phytopharmakons versetzt den Arzt zwar in die Lage, mit diesem Arzneimittel seine Patienten zu behandeln. Aber die Zulassung erfüllt nicht die Voraussetzung für die Aut-idem-Regelung, wie sie in Apotheken vorgesehen ist", fasste Blume zusammen.
Falls Aut idem bei Phytopharmaka kommen sollte, befürchtet Dr. Susanne Alban aus Regensburg Qualitätsverluste. Diejenigen Firmen nämlich, die große Anstrengungen unternehmen, um die Wirksamkeit ihrer Produkte etwa mit teuren klinischen Studien darzulegen, würden durch Aut idem bestraft. Die Transparenz verschiedener Produkt-Spezifikationen machten es Unternehmen, die keine Forschung betreiben, leicht, sich mit ihren Produkten darauf zu beziehen. Umgekehrt gelte: Je weniger ein pflanzliches Arzneimittel beforscht wird, desto geringer die Gefahr, dass es austauschbar ist. Da es bei Phytopharmaka keinen Patentschutz wie bei innovativen, chemisch-synthetischen Arzneimitteln gibt, plädierte das Gremium dafür, mehr Anreize für Phytopharmakahersteller zu schaffen, die die Wirksamkeit ihrer Produkte anhand klinischer Studie belegen.
Ein weiteres Argument gegen die Aut-idem-Substitution nannte Dr. Wolfgang Dreyden vom Berufsverband Deutscher Allgemeinmediziner. Die Indikation sei ein wesentlicher Punkt, der die Austauschbarkeit bestimmt. Es gibt Arzneimittel, die zwar vom Wirkstoff her identisch sind, die aber für unterschiedliche Indikation zugelassen sind. Das gilt sowohl für chemisch-synthetische als auch für pflanzliche Arzneimittel. Nach Meinung des Arztes kann der Apotheker das Arzneimittel nicht einfach austauschen, ohne die Diagnose zu kennen. "Das wäre Eingriff in die ärztliche Therapie." Paradebeispiel ist Hypericum. Manche Präparate sind für psychovegetative Störungen, Angst und nervöse Unruhe zugelassen, aber man findet auch die Indikation leichte bis mittelschwere Depressionen.
Gute Substitutions-Praxis
Das Gremium unterstützte den Vorschlag von Dr. Klaus Brauer, Deutsche
Apotheker Zeitung, eine Richtlinie für eine "Gute Substitutions-Praxis
(GSP)" zu erarbeiten. Diese Richtlinie müsste sowohl für
pflanzliche als auch für chemisch-synthetische Arzneimittel gelten, um
den Kollegen in der Praxis einen Leitfaden an die Hand zu geben.
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