Therapie nicht vorzeitig abbrechen |
01.07.2002 00:00 Uhr |
PZ-Akademie
Demenz ist nicht heilbar, die Symptome können aber behandelt und das Fortschreiten der Erkrankung kann verzögert werden. Über die zurzeit zur Verfügung stehenden Substanzen informierte Professor Dr. Walter E. Müller, Direktor des Pharmakologischen Instituts für Naturwissenschaftler am Biozentrum der Universität Frankfurt. Die Alzheimer-Demenz stand dabei im Zentrum des Vortrags.
"Die Ursachen der Alzheimer-Demenz können vielfältig sein", sagte Müller. Immer führten die verschiedenen Faktoren, egal ob chemischer oder genetischer Natur, zu einer Aggregation von b-Amyloid-Plaques im Gehirn. Die Anhäufung dieser pathologischen Proteine im zerebralen Cortex und in der subcorticalen grauen Substanz bewirkt den Verlust der kognitiven Funktionen. Dies äußert sich im Endstadium der Erkrankung in der völligen Hilflosigkeit und Desorientierung der Patienten. "Von der Diagnose ‚Alzheimer' bis zum Tod vergehen im Durchschnitt sieben bis acht Jahre", sagte Müller.
Zwei Ansatzpunkte der symptomatischen Therapie haben sich, so Müller, als wirkungsvoll erwiesen: zum einen die Erhöhung der Konzentration des Neurotransmitters Acetylcholin im synaptischen Spalt, zum anderen der Ausgleich einer mitochondrialen Dysfunktion. Der pathologische Achetylcholinmangel in der Hirnrinde von Alzheimer-Patienten wird durch einen Eingriff in die physiologischen Abbauprozesse des Neurotransmitters bewirkt. Die eingesetzten Substanzen hemmen die Acetylcholinesterase und behindern auf diese Weise den postsynaptischen Abbau des Acetylcholins. Dies führt zu einer Erhöhung der Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt und zu einer Verbesserung der cholinergen Neurotransmission.
Die eingesetzten Acetylcholinesterase-Hemmer wie Donepezil (Aricept®), Rivastigmin (Exelon®) oder Galantamin (Reminyl®) gehörten zu der Gruppe der neuen Substanzen, die erst in den letzten Jahren entwickelt wurden und speziell für die Indikation Demenz zugelassen wurden, sagte Müller. "Bei den älteren Substanzen ist der primäre Ansatzpunkt häufig unbekannt. Die Substanzen sind zum größten Teil nicht zur Behandlung der Demenz zugelassen. In vielen Fällen läuft der Antrag auf Nachzulassung, viele dürften aber nach Ablauf der Übergangsfrist aus dem Sortiment verschwinden."
Freie Radikale in Schach halten
"Das Mitochondrium ist die Energiefabrik der Zelle, in der die Oxidationsprozesse ablaufen", referierte Müller. Dabei entstehen auch freie Radikale, deren Übertritt in das Zytosol das Mitochondrium normalerweise verhindert. In fortgeschrittenem Alter komme es jedoch, so Müller, zu mitochondrialen Dysfunktionen: "Das gealterte Mitochondrium ist nicht mehr in ausreichendem Maße in der Lage, den Radikalaustritt zu begrenzen." Freie Radikale gelangen in die Zelle und verursachen dort Schäden. Hier ist der Ansatzpunkt für die Therapie mit Antioxidantien wie Vitamin C, Selen, Vitamin E oder Ginkgo-Extrakt.
"Mit Ginkgo-Extrakt können Defizite, die im Rahmen der normalen Alterung auftreten, ausgeglichen werden. Ginkgo ist ein potenter Radikalfänger", sagte Müller, "wahrscheinlich besser als Vitamin E". Ginkgo wirke außerdem nicht nur bei Alzheimer, sondern auch bei vaskulärer Demenz. "Die Therapie mit Ginkgo ist nicht out. Sie kann sich im Vergleich mit Acetylcholinesterase-Hemmern sehen lassen." Müller ging noch einen Schritt weiter: "Eine Kombinationstherapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern und Ginkgo-Extrakt wäre zu fordern." So könne vermutlich eine Kummulation der Effekte erreicht werden.
Geduld ist gefragt
Müller warnte davor, einen Therapieversuch zu früh abzubrechen: "Man muss ausreichend lange warten, um beurteilen zu können, ob eine Substanz bei einem Patienten wirkt oder nicht. Oft wird zu früh abgesetzt." Es müsse zu Beginn mindestens drei Monate therapiert werden. Zudem sei eine objektive Therapiekontrolle, zum Beispiel über spezielle Fragebögen, wichtig. "Erst dann kann man entscheiden, ob ein Wechsel des Präparats notwendig ist."
Zu den Erfolgsaussichten der Behandlung sagte Müller: "Auch unter Acetylcholinesterase-Hemmer-Therapie ist nach initialer Verbesserung ein Übergang zur Progredienz feststellbar. Der Verlauf der Krankheit kann aber um ein bis zwei Jahre hinausgezögert werden." Dies bedeute in vielen Fällen, dass die Alltagskompetenz der Patienten in dieser Zeit noch so weit erhalten sei, dass es zu einer nicht zu unterschätzenden Entlastung der pflegenden Angehörigen komme.
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