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Misteltherapie

Ein zweischneidiges Schwert

07.07.2003  00:00 Uhr
PZ-Akademie Kongress

Misteltherapie: Ein zweischneidiges Schwert

„Die Misteltherapie bei Krebserkrankungen ist in keiner Weise wissenschaftlich begründet. Sie zählt auch nicht zu den traditionellen Heilmethoden, denn auch Überlieferungen aus dem Mittelalter gibt es nicht,“ sagte Professor Dr. Hans-Joachim Gabius, Institut für Physiologische Chemie der Universität München. Die Anwendung von Mistelpräparaten gehe vielmehr auf Rudolf Steiner zurück und sei somit in die anthroposophische Weltanschauung eingebettet.

Nach der anthroposophischen Lehre liegt die Ursache einer Krebserkrankung in einer Dysbalance zwischen Äther- und Astralleib. Allein in diesem Sinne dürfen Mistelpräparate auch angewendet werden. Der Mistel schreibt Steiner die Fähigkeit zu, dieses Ungleichgewicht zwischen Äther- und Astralleib aufzuheben, die Balance wieder herzustellen. Zusammen mit Heileurhythmie, Zitronenbädern, Phosphor D5, ausreichend Schlaf, klarem Denken, Hallelujaübung und „R“ mit Rückwärtsschritten seien Mistelpräparate „Teil eines psychoonkologischen Gesamtkonzeptes“, zitierte Gabius. „Wer Mistelpräparate nutzt, sollte sie im Rahmen dieses Konzeptes einsetzen.“

Vor diesem Hintergrund ist auch die fiktive Zulassung von Mistelpräparaten im Rahmen der „Besonderen Therapierichtungen“ zu sehen. Nach Steiner geht es um die Spiritualität einer Pflanze, nicht um einen Inhaltsstoff. „Wie kann sich der Hersteller eines anthroposophischen Heilmittels auf einen Inhaltsstoff berufen?“, fragte Gabius in Anspielung auf die gängige Werbepraxis. Dies widerspreche der Lehre Steiners und sei bezüglich der Zulassung nicht gesetzeskonform. Wenn Firmen so handeln, hat dies zur Folge, dass die Präparate einer naturwissenschaftlichen Bewertung Stand halten müssen.

Der naturwissenschaftliche Blick

„Bei der Mistel ist bislang nichts klar,“ monierte Gabius. Für die immunmodulatorische Wirkung von Mistelextrakten werden Lektine verantwortlich gemacht. Dabei handelt es sich um potente Zellgifte. Das Ricin, ein Lektin aus der Ricinuspflanze, sorgt immer wieder für Schlagzeilen: Es soll das tödliche Gift im Regenschirmmord gewesen sein, dem 1978 der bulgarische Schriftsteller und Dissident Georgi Markov im Londoner Exil zum Opfer fiel. Ihm wurde, vermutlich vom bulgarischen Geheimdienst, auf offener Straße mit Hilfe einer präparierten Regenschirmspitze eine Ricin-gefüllte kleine Metallkugel in den Oberschenkel gestoßen.

„Auch Mistellektine sind giftig,“ sagte Gabius, „und sie sollen es auch sein. Schließlich sollen Tumorzellen abgetötet werde.“ Da diese Substanzen von den Pflanzen aber als Fraßschutz produziert würden, seien sie in ihrer Wirkung unspezifisch. „Das heißt für die Tumorspezifität: Es gibt sie nicht!“ Gabius erweiterte diese These um die Überlegung, dass Substanzen, die vielleicht nicht nützlich sind, auch nicht schädlich sein können. Dem sei aber nicht so. Die Daten aus präklinischen Studien an Zell- und Histokulturen sowie Tiermodellen, so Gabius, „stellen die grundsätzliche Unbedenklichkeit der lektinbezogenen Mistelanwendung in Frage.“

Wirkung nicht vorhersehbar

Es habe sich gezeigt, dass Mistellektine in vitro in der Lage seien, das Immunsystem zu stimulieren. Insgesamt sei die klinische Datenlage aber sehr inhomogen. So habe die Misteltherapie einigen Patienten geholfen, in anderen Fällen habe sie aber das Wachstum von Tumorzellen und die Metastasenbildung gefördert. Deshalb „bestehen Bedenken bezüglich der Patientensicherheit“, formulierte Gabius vorsichtig. Die Anwendung von Mistellektinen sei das Beschreiten unbekannter Nebenwege, es handele sich um eine experimentelle Therapieform. „Sagen Sie nicht grundsätzlich: „Keinesfalls Lektine!“ Jeder Fall muss individuell betrachtet werden. Beraten Sie nach bestem Wissen und Gewissen, damit der Patient dann selbst entscheiden kann.“ Auf die Frage aus dem Auditorium, welches Fazit er persönlich aus seinen Kenntnissen ziehe, ob er eine Misteltherapie befürworte oder ablehne, antwortete Gabius deutlicher: „Beim jetzigen Stand unseres Wissens möchte ich nicht in die Situation unserer Versuchstiere geraten.“

 

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