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Bisphosphonate noch zu wenig eingesetzt

07.07.2003  00:00 Uhr
PZ-Akademie Kongress

Bisphosphonate noch zu wenig eingesetzt

Um Osteoporose zu verstehen, muss man auch den Stoffwechsel des Knochens verstehen, sagte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt. Der Knochen ist einem ständigen Auf- und Abbau unterworfen. Hierfür sind zwei verschiedene Zelltypen verantwortlich: die substanzaufbauenden Osteoblasten und die abbauenden Osteoklasten. „Dieser Bautrupp des Knochens existiert über Jahre und Jahrzehnte friedlich nebeneinander“, erklärte Schubert-Zsilavecz. Wenn allerdings die Balance gestört und das Gewicht in Richtung Knochenabbau verschoben wird, kommt es zu Frakturen.

Die Knochen abbauenden Osteoklasten, die durch verschiedene Faktoren wie zum Beispiel Hormone und Wachstumsfaktoren kontrolliert werden, wandern über die Oberfläche des Knochens. Setzen sie sich fest, können sie mit ihrer „zerstörerischen“ Arbeit beginnen. Die Zellen haften sich fest an, wodurch unter ihnen ein kleiner Hohlraum entsteht, in den sie Salzsäure und Enzyme sezernieren. Die Säure löst die anorganischen Bestandteile des Knochens, vor allem Hydroxylapathit, heraus, während die Enzyme die organischen Substanzen wie Kollagene spalten.

Frakturrisiko steigt nach Menopause

Auch unter normalen physiologischen Bedingungen sind Osteoklasten aktiv, erläuterte der Referent. Solange sie mit den Osteoblasten im Gleichgewicht stehen, sei dies völlig ungefährlich. Doch nach der Menopause sinken die Sexualhormonspiegel, dadurch nimmt die Osteoklastenaktivität zu, während die der Osteoblasten abnimmt. Der Mineralgehalt der Knochen sinkt und das Frakturrisiko steigt. „Der Knochen ist in seiner ganzen Funktion beeinträchtigt“, so Schubert-Zsilavecz.

Eine Osteoporose liegt vor, wenn der Knochenmineralgehalt um 2,5 Standardabweichung vom Normalwert abweicht. Die Indikation zur Prävention und Behandlung einer Osteoporose ergibt sich aber nicht allein aus der Knochendichtemessung, sondern ist abhängig vom individuellen Risiko. Dies ergibt sich zum Beispiel aus einem geringen Körpergewicht (BMI unter 24) oder einer Häufung von Osteoporose-Erkrankungen in der Familie. Auch Frakturen ohne adäquates Trauma oder eine Körpergrößenabnahme von über vier Zentimetern zeigen ein Risiko für Osteoporose an.

Gefährdete Personen können durch eine gesunde Ernährung und ausreichende körperliche Aktivität ihr Risiko verringern. Zu einem ganzheitlichen Konzept gehöre außerdem die Sturzprophylaxe durch gezielte Umgestaltung der häuslichen Umgebung, erklärte der Referent. Denn überall befinden sich Stolperfallen: der Einstieg zur Dusche, die Schwelle am Balkon oder der Terrasse. Neben den nicht medikamentösen stehen eine Reihe von medikamentösen Möglichkeiten zur Verfügung. Als Basis für jede Therapie gilt heute die Aufnahme von Calcium (500 bis 1000 mg pro Tag) und Vitamin D (500 bis 1000 IE pro Tag). Vor allem ältere Menschen können ihren Calciumbedarf nicht mehr allein durch die Nahrung decken und sollten das Mineral daher supplementieren.

Mittel der Wahl

In den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sind neben der Calcium- und Vitamin-D-Supplementierung die Bisphosphonate (wie Alendronat und Risedronat) und der selektive Estrogen-Rezeptor-Modulator (SERM) Raloxifen als Mittel der ersten Wahl zur Osteoporosebehandlung aufgeführt. Als zweite Wahl gelten Calcitonin, Fluorid, Anabolika und Estrogene beziehungsweise Estrogen-Gestagen-Kombinationen. Bisphosphonate würden immer noch zu wenig eingesetzt, sagte Schubert-Zsilavecz. In der Beziehung sei Deutschland ein Entwicklungsland. Die Kosten der Therapie wären zwar nicht unerheblich, doch nicht zu vergleichen mit denen, die durch einen Bruch entstehen. „Jedes Jahr akzeptiert man in der Bundesrepublik 10.000 Oberschenkelhals-Brüche, die jeweils etwa 25.000 Euro Kosten verursachen“, so der Referent.

Die peroral einzunehmenden Bisphosphonate komplexieren mit Calcium, weshalb sie in die Knochensubstanz eingelagert werden. Dort können sie über Jahre und Jahrzehnte gespeichert sein. Wenn sich ein Osteoklast auf den so behandelten Knochen festsetzt und Enzyme und Salzsäure sezerniert, löst er sowohl organische als auch anorganische Substanz auf. Damit werden auch die Bisphosphonate freigesetzt, die sich mit der Salzsäure zusammen zu einem Salz verbinden, das der Osteoklast aufnimmt. Im Zellinnern hemmt der Wirkstoff mehrere wichtige Stoffwechselenzyme, was die Apoptose, den programmierten Zelltod, einleitet, erklärte Schubert-Zsilavecz. Dadurch verschiebt sich das Gleichgewicht zu Gunsten der Osteoblasten, in Richtung Knochenaufbau. Die Knochenmasse nimmt zu und das Risiko für Oberschenkelhals- sowie Wirbelkörper-Brüche sinkt.

Die peroralen Bisphosphonate Alendronat und Risedronat sind täglich einzunehmen. Auf Grund ihrer „miserablen Bioverfügbarkeit“ sind bei der Einnahme einige Regeln zu beachten: „Sie sollten vor dem Frühstück auf nüchternen Magen mit viel Calcium-armen Wasser eingenommen werden“, sagte der Referent. Da dies eine echte Herausforderung für die Patienten ist, sei die einmal wöchentliche Gabe, wie sie mit den neuen Präparaten möglich ist, eine Erleichterung. In Zukunft könnten Bisphosphonate vielleicht sogar in Form einer Jahresspritze verabreicht werden, sagte Schubert-Zsilavecz.

Teriparatid in Kombi mit Bisphonaten

Da Östrogene die Osteoklasten hemmen, die Kollagensynthese stimulieren und die Knochendurchblutung erhöhen, könnten sie ideale Knochenprotektoren sein. Sie haben allerdings die bekannten negativen Effekte, dass sie das Wachstum von Brustdrüse und Uterus stimulieren. Der erste zugelassene selektive Estrogen-Rezeptor-Modulator (SERM), der die gewünschten Eigenschaften am Knochen besitzt, aber keine Wirkung an Mamma und Uterus zeigt, ist Raloxifen. Der Wirkstoff senkt nachweislich das vertebrale Frakturrisiko. Eine Schutzwirkung vor Oberschenkelhals-Brüchen konnte bisher nicht nachgewiesen werden, sagte Schubert-Zsilavecz.

Calcitonin, ein Mittel der zweiten Wahl, hat in der Osteoporose-Therapie heute keine große Bedeutung mehr, urteilte der Referent. Aber für die Behandlung von Knochenschmerzen sei der Wirkstoff gut geeignet. Die Therapie mit Fluoriden, die ebenfalls zur zweiten Wahl zählen, ist sehr preiswert. „Da hätte Frau Schmidt ihre Freude dran“. Die Substanzen stimulieren die Osteoblasten, wodurch sich die Knochendichte erhöht. Das Frakturrisiko sinkt allerdings nicht unter der Therapie, erklärte Schubert-Zsilavecz. Er hielt es für ein „Trauerspiel“, dass nach wie vor so viel Fluoride und so wenig Bisphosphonate verordnet werden.

Den neuen Wirkstoff Teriparatid (Forteo®), der bislang nur in den USA zugelassen ist, hält der Referent für viel versprechend. Die Substanz, eine verkürzte rekombinante Form des Parathormons, aktiviert sowohl Osteoblasten als auch Osteoklasten. Allerdings werden die aufbauenden Zellen stärker stimuliert, so dass Teriparatid „netto einen positiven Effekt hat“. In Studien senkte der Wirkstoff das vertebrale als auch das extravertebrale Frakturrisiko deutlich. Nachteil der Substanz sei aber, dass sie täglich von den Patienten selbst subcutan zu applizieren sei. Der Wirkstoff werde die Bisphosphonate nicht in der nächsten Zeit ablösen, doch sollten Apotheker ihn weiterhin im Auge behalten. In Zukunft wäre auch eine Kombination mit Bisphosphonaten denkbar.

 

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