Pharmazie 1 |
| 11.12.2000 00:00 Uhr |
Dass Johanniskrautextrakt zu synthetischen Antidepressiva bezüglich seines Wirkmechanismus viele Analogien aufweist, ist bekannt. Dass es aber auch eine Reihe von Unterschieden gibt, ist neu. Professor Dr. Walter E. Müller vom Biozentrum der Universität Frankfurt stellte der Presse bei einer Veranstaltung von Schwabe neue Erkenntnisse vor.
"Unsere Untersuchungsergebnisse zum Wirkmechanismus von Hyperforin sind zwar nicht spektakulär, aber neu", sagte Müller. Johanniskraut-Extrakt hemmt ähnlich wie viele andere Antidepressiva die neuronale Aufnahme der Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin aus dem synaptischen Spalt; diesen Wirkmechanismus schriebt Müller ausschließlich dem Hyperforin zu. Hyperforin sei der einzige Inhaltsstoff des Johanniskraut-Extrakts, für den bisher auf allen relevanten pharmakologischen Ebenen von der Biochemie im Reagenzglas bis zum Verhalten im Tierversuch eine Wirkqualität belegt werden konnte, die auf eine entsprechende antidepressive Wirkung am Menschen schließen lasse, informierte Müller.
Doch Hyperforin hat im Unterschied zu chemisch-synthetischen Antidepressiva noch weitere Wirkkomponenten vorzuweisen, hat die Arbeitsgruppe um Müller festgestellt. So hemme die Substanz beispielsweise auch die neuronale Aufnahme der Aminosäuretransmitter GABA und L-Glutamat. "Die Wiederaufnahme der Neurotransmitter wird allerdings im Unterschied zu Antidepressiva nicht durch direkte Bindung an die Transportproteine der neuronalen Membran bewirkt, sondern Hyperforin erhöht die intrazelluläre Natriumkonzentration", erklärte er. Dadurch reduziere sich der Natriumgradient (extrazellulär versus intrazellulär), der die treibende Kraft für die Transportproteine darstellt. So verweilen die Neurotransmitter länger im synaptischen Spalt. Müller veranschaulichte das mit folgendem Beispiel: Während herkömmliche Antidepressiva eher ein Hindernis vom Wasserrad verdrängen, veranlasst Hyperforin, dass sich das Rad langsamer dreht.
Wie genau der Mechanismus auf molekularer Ebene abläuft, über den Hyperforin die intrazelluläre Natriumkonzentration erhöht, wird derzeit beforscht. Vermutlich hemme Hyperforin Calciumkanäle vom P-Typ - also Kanäle, die nicht direkt Calcium-abhängig, sondern Calmodulin-abhängig sind, erklärte Müller.
(K)eine Frage der Dosis
Bei der Dosierung von Johanniskrautextrakten scheiden sich die Geister. So bescheinigen manche Experten einer Dosis von dreimal täglich 300 mg Extrakt eine optimale antidepressive Wirkung, andere favorisieren die einmal tägliche Gabe von 600 mg Extrakt. Letzteren kommt eine aktuelle Anwendungsbeobachtung zupass, an der 2166 Patienten in 446 allgemeinmedizinischen, psychiatrischen und neurologischen Arztpraxen teilnahmen. Die Patienten, die an mäßigen bis schweren Depressionen litten, erhielten täglich entweder eine Filmtablette mit 600 mg Johanniskraut-Sepezialextrakt WS 5572 (Neuroplant® 1x1) oder zweimal 600 mg Spezialextrakt.
Nach einer Therapiedauer von sieben Wochen reduzierte sich das Beschwerdebild durchschnittlich auf "leicht krank", informierte der Studienleiter Professor Dr. Siegfried Kaspar von der Universität Wien. Bei 83,7 Prozent der Patienten, die einmal täglich ihre Johanniskraut-Dosis zu sich nahmen, besserten sich die Beschwerden. In der "Zweimal-täglich-Gruppe" registrierte man 88,6 Prozent Responder. Kaspar: "Die zweimal tägliche Gabe von 600 mg stellt eine Zusatzoption dar, um die volle Wirksamkeit des Extrakts auszureizen." Kaspar behandelt deshalb leicht depressive Patienten mit einmal 600 mg täglich. Die doppelte Dosis behält er sich für mittelschwer depressive Patienten vor.
Von wegen Chargenkonformität
Zur Charakterisierung der Extraktqualität hat eine Arbeitsgruppe um Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Biozentrum Frankfurt, unter anderem die Chargenkonformität des Inhaltsstoffes Hyperforin an insgesamt neun von mehr als 50 auf dem Markt befindlichen Johanniskrautextrakt-Präpraten untersucht. Die Ergebnisse überraschen:
"Was den Hyperforingehalt betrifft, weisen bis auf Neuroplant alle Präparate mehr
oder weniger starke Schwankungen auf. Teils haben wir Standardabweichungen von bis zu 70
Prozent vom durchschnittlichen Hyperforingehalt nachgewiesen", sagte
Schubert-Zsilavecz. "Zugegeben: Bei der Herstellung von Extrakten macht die
natürliche Schwankungsbreite der verschiedenen Inhaltsstoffe sowie die chemische und
thermische Labilität von Hyperforin Probleme. Trotzdem sind auch bei einem Naturprodukt
diese Abweichungen vom Sollwert nicht hinnehmbar!" In der Untersuchung enthielt
Neuroplant prozentual den höchsten Anteil an Hyperforin mit durchschnittslich 4,14
Prozent. Die Standardabweichung vom durchschnittlichen Mittelwert betrug weniger als 4
Prozent; das zeigt eine gute Vergleichbarkeit von Charge zu Charge. Schubert-Zsilavecz:
"Bei allen anderen Johanniskraut-Präparaten ist keine konstante
Extraktzusammensetzung gewährleistet. Letztendlich hat man dann von Charge zu Charge ein
anderes Produkt."
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