Amprenavir, Drospirenon, Levetiracetam und Pioglitazon |
04.12.2000 00:00 Uhr |
Vier neue Kandidaten gingen im vergangenen Monat neu an den Start. Im Vergleich zum neuen Proteasehemmer Amprenavir, dem Antiepileptikum Levetiracetam und dem nun zweiten verfügbaren Insulinsensitizer Pioglitazon sorgte vor allem die neue Pille mit ihrem Gestagen Drospirenon für einigen Medienrummel.
Mit einem weiteren Proteasehemmer, nach Saquinavir, Indinavir, Ritonavir und Nelfinavir der fünfte, ergänzt der Pharmakonzern GlaxoWellcome seit Anfang November seine Produktpalette an HIV-Therapeutika. Amprenavir, das der Hersteller unter dem Handelsnamen Agenerase als peroral applizierbare Lösung oder Kapseln anbietet, zählt zu den Proteasehemmern der zweiten Generation. Die Substanz kann auf Grund ihrer langen Halbwertszeit von 7,1 bis 10,6 Stunden nur zweimal täglich unabhängig von Mahlzeiten eingenommen werden.
Amprenavir ist nur in Kombination mit anderen antiretroviralen Medikamenten bei HIV-1-Patienten indiziert, die schon vorher andere Proteasehemmer erhalten haben. Bei nicht vorbehandelten Patienten soll Amprenavir weniger wirksam sein als Indinavir.
Wie andere Proteasehemmer blockiert Amprenavir selektiv die Aspartat-Protease des HI-Virus in infizierten CD4-Zellen. Dadurch können die für den Virusaufbau notwendigen Proteine aus ihren Vorläufersubstanzen nicht mehr abgespalten werden.
Das Resistenzprofil von Amprenavir unterscheidet sich von dem anderer Proteasehemmer. Es besteht allerdings eine teilweise Kreuzresistenz gegenüber Ritonavir, unter Amprenavir bleibt die Empfindlichkeit gegenüber Indinavir, Nelfinavir und Saquinavir jedoch erhalten. Der neue Proteasehemmer (PI) eignet sich nicht zur Monotherapie, da schnell resistente Viren selektiert werden. Kreuzresistenzen zwischen Reverse-Transkriptasehemmern (NRTI) und Amprenavir sind auf Grund des unterschiedlichen Wirkmechanismus nicht zu erwarten.
In einer doppelblinden Studie mit nicht vorbehandelten Patienten war die Kombination aus Amprenavir, Zidovudin und Lamivudin der Doppeltherapie mit Zidovudin und Lamivudin signifikant überlegen. Der neue Proteasehemmer wirkte in einer offenen randomisierten Studie mit NRTI-vorbehandelten und PI-naiven Erwachsenen jedoch schlechter als Indinavir, jeweils zusammen mit anderen NRTIs.
Die meisten Studien belegen, dass eine Folgetherapie mit Amprenavir in Kombination mit anderen antiretroviralen Substanzen sinnvoll sein kann, wenn andere Proteasehemmer versagen
Amprenavir wird nach peroraler Gabe schnell resorbiert. Die absolute Bioverfügbarkeit liegt bei circa 90 Prozent. Maximale Plasmawerte sind nach ein bis zwei Stunden erreicht. Die Substanz wird hauptsächlich über Cytochrom P450 metabolisiert. Daher sind diverse Wechselwirkungen mit Pharmaka zu beachten, die entweder auch über CYP3A4 abgebaut werden oder das Enzym induzieren oder inhibieren. Entsprechend bestehen Kontraindikationen für Terfenadin, Astemizol, Cisaprid sowie Triazolam, Diazepam, Fluorazepam sowie Ergotamine. Rifampicin senkt die minimale Plasmakonzentration von Amprenavir um rund 92 Prozent. Auch Johanniskraut-Extrakte senken den Amprenavir-Spiegel und dürfen deshalb nicht gemeinsam gegeben werden.
Als bedeutendste Nebenwirkungen traten unter Amprenavir gastrointestinale Störungen, Hautausschläge und Kopfschmerzen auf.
Mit viel Mediengetöse wurde Mitte November eine neue Pille eingeführt. Petibelle® (Jenapharm) und Yasmin® (Schering) sind einphasige Kombinationspräparate zur peroralen Kontrazeption, die 30 mg Ethinylestradiol und 3 mg Drospirenon pro Tablette enthalten.
Drospirenon ist wie der Name sagt ein Spirolacton-Derivat und ähnelt strukturell dem Spironolacton und Canrenon. Die beiden Aldosteron-Antagonisten werden seit langem zur Behandlung von Ödemen bei Hyperaldosteronismus eingesetzt. Sie blockieren die Bindung des Mineralocorticoids Aldosteron am Rezeptor und verringern in der Folge die Natrium- und Wasserretention sowie die Kaliumausscheidung.
Drospirenon wird rasch und vollständig resorbiert; die absolute Bioverfügbarkeit liegt zwischen 76 und 85 Prozent. Es wird vorwiegend an Serumalbumin gebunden, nicht an Sexualhormon-bindendes Globulin. Drospirenon wird weitgehend metabolisiert und die Metaboliten via Faeces und Urin ausgeschieden.
Sein Rezeptorbindungsprofil ähnelt dem von Progesteron. Der neue Wirkstoff bindet hoch affin an Progesteron-, Mineralocorticoid- und schwächer an Androgenrezeptoren; die Affinität zu Glucocorticoidrezeptoren ist gering. Weder Progesteron noch Drospirenon binden an Estrogenrezeptoren. Drospirenon hat folglich keine estrogenen, androgenen oder (anti-)glucocorticoiden Eigenschaften; wirkt aber wie Progesteron antiandrogen und antimineralocorticoid.
Die antiandrogene Wirksamkeit soll etwa ein Drittel der von Cyproteronacetat betragen und wird zwischen Chlormadinonacetat und Dienogest eingeordnet (positiver Begleiteffekt bei Akne). Die Aldosteron-antagonistische Wirkung, in Verbindung mit einem kompensatorischen Anstieg von Plasma-Renin und Plasma-Aldosteron, führt zu einem leicht natriuretischen Effekt, was einer Estrogen-bedingten Wassereinlagerung ins Gewebe entgegen wirkt.
Der Effekt auf das Körpergewicht - in der Laienpresse hoch gelobt - ist zwar statistisch signifikant, mutet aber eher bescheiden an, wie eine randomisierte Multicenter-Studie zeigt. 887 Frauen bekamen über 26 Zyklen entweder Yasmin® oder ein Präparat mit 30 mg Ethinylestradiol plus 150 mg Desogestrel (Marvelon®). Kontrazeptive Sicherheit, Zykluskontrolle und unerwünschte Wirkungen (Kopf-, Brust- und Bauchschmerzen, Übelkeit, Depression) waren vergleichbar. Das mittlere Körpergewicht lag in der Yasmin-Gruppe während der Studiendauer unter dem Ausgangswert (minus 0,11 bis 0,68 kg), in der Marvelon-Gruppe ab dem siebten Zyklus über der Basislinie (plus 0,02 bis 0,89 kg). Mehr Frauen in der Yasmin-Gruppe verloren 2 kg Gewicht, während mehr Frauen in der Marvelon-Gruppe dies zulegten.
Die Kontraindikationen für Yasmin® und Petibelle® entsprechen denen anderer peroraler Kontrazeptiva. Bei gleichzeitiger Einnahme von Arzneimitteln, die den Kaliumspiegel erhöhen (zum Beispiel ACE-Hemmer, AT2-Antagonisten, Kalium-sparende Diuretika, NSAR), müssen die Serumkaliumwerte im ersten Zyklus kontrolliert werden.
Fazit: Für Frauen, die unter oralen Kontrazeptiva leicht zunehmen, könnte die neue Pille vorteilhaft sein.
Mit Levetiracetam kam Anfang November ein neues Antiepileptikum auf den Markt, das zur Zusatzbehandlung von partiellen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 16 Jahren zugelassen ist (Keppra® 250, 500 und 1000 mg von UCB Pharma).
Strukturell handelt es sich um das Ethyl-Analogon des Nootropikums Piracetam. Bei der Erforschung der Wirkungen auf Gedächtnisleistung und Anxiolyse wurden die antiepileptischen Effekte des Racemats Etiracetam entdeckt. Levetiracetam ist das S-Enantiomer und chemisch nicht verwandt mit anderen Antiepileptika.
Es ist gut löslich, wird vollständig resorbiert (Bioverfügbarkeit 100 Prozent) und kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Maximale Plasmaspiegel sind 1,3 Stunden nach Einnahme erreicht; die Eliminationshalbwertszeit liegt zwischen sechs und elf Stunden. Levetiracetam wird teilweise enzymatisch zu inaktiven Metaboliten hydrolysiert; rund zwei Drittel werden unverändert renal eliminiert. Daher muss die Dosis bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion angepasst werden. Ansonsten wird die Therapie mit zweimal täglich 500 mg begonnen und kann bei Bedarf langsam auf zweimal 1500 mg gesteigert werden.
Pluspunkt: Levetiracetam beeinflusst weder die Plasmaspiegel anderer Antiepileptika noch die Kinetik von peroralen Kontrazeptiva, Digoxin oder Warfarin.
In vielen Tiermodellen schützte der Arzneistoff vor partiellen und primär generalisierten Anfällen, ohne selbst prokonvulsiv zu wirken. Der Wirkmechanismus ist unbekannt; diskutiert werden ein Eingriff in den GABA-Metabolismus, Hemmung der Depolarisierung von Ionenkanälen, Calciumkanal-abhängige Effekte und eine dopaminerge Aktivierung.
In drei Studien über 12 bis 14 Wochen wurden über 900 Patienten mit unkontrollierten fokalen Epilepsien behandelt. Alle nahmen mindestens zwei Antiepileptika ein und erhielten zusätzlich Placebo oder 1000, 2000 oder 3000 mg Levetiracetam. Die höchste Dosis war wirksamer als die niedrige Tagesdosis. Die Anfallshäufigkeit nahm statistisch signifikant ab, in der 1000-mg-Gruppe um 18 bis 33 Prozent und in der 3000-mg-Gruppe um 37 bis 40 Prozent (unter Placebo 6 bis 7 Prozent). Die Rate der Patienten, bei denen sich die Anfallsfrequenz mindestens halbierte (responder), lag zwischen 10 und 17 Prozent unter Placebo, 23 und 33 Prozent (1000 mg) sowie 40 bis 42 Prozent (3000 mg). Mit der hohen Dosis wurden 8 Prozent der Patienten anfallsfrei (Placebo 0 bis 1 Prozent). Die Wirksamkeit blieb in einer Studie über zwei Jahre bestehen.
Die Inzidenz von Nebenwirkungen ist hoch, unterscheidet sich aber nicht von Placebo. Am häufigsten klagten die Patienten über Somnolenz, Asthenie (Kraftlosigkeit) sowie Benommenheit und Kopfschmerzen. Daher ist beim Autofahren und Bedienen von Maschinen Vorsicht angebracht.
Wichtig: Bei Ratten scheint Levetiracetam sogar antiepileptogen zu wirken. Das heißt, es kann das Entstehen einer Epilepsie verhindern. Bei intraperitonealer Gabe verhinderte die neue Substanz außerdem den induzierten Anstieg der Anfallsschwere sowie induzierte klonische Krämpfe. Die bisher in die Therapie eingeführten Arzneistoffe wirken "nur" antikonvulsiv, unterbrechen also die Krämpfe. Ob Levetiracetam wirklich die Progression der Epilepsie aufhalten kann, muss in klinischen Studien erst noch untersucht werden.
Seit dem 1. November steht mit Pioglitazon in der Bundesrepublik nun der zweite Vertreter der Insulinsensitizer, einer neuen Substanzklasse peroraler Antidiabetika, zur Verfügung. Das von Takeda Pharma unter dem Handelsnamen Actos® vermarktete Präparat ist wie sein Vorgänger, Rosiglitazon (Avandia® von SmithKline Beecham), zugelassen zur Kombinationstherapie von Typ-2-Diabtikern, deren Blutzuckerspiegel sich trotz Monotherapie mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen nicht ausreichend kontrollieren lassen. Prinzipiell darf Pioglitazon nur entweder übergewichtigen Patienten zusammen mit Metformin gegeben werden oder gemeinsam mit einem Sulfonylharnstoff, falls der Betroffene Metformin nicht verträgt oder nicht einnehmen darf.
Pioglitazon gehört wie Rosiglitazon zur Stoffklasse der Thiazolidindione. Ciglitazon, die Ursubstanz dieser Arzneistoffgruppe, entwickelten Grundlagenforscher bei Takeda bereits Anfang der 80er Jahre. Die einzelnen Glitazone unterscheiden sich nur in ihrer Wirkstärke, dem Metabolismus sowie Art und Ausmaß der Neben- und Wechselwirkungen.
Bis heute ist der Wirkmechanismus der Glitazone nicht restlos aufgeklärt. Sicher ist, dass die Substanzen als Agonisten an den in Zellkernen lokalisierten PPAR-Rezeptoren (Peroxisome Proliferator activated Receptor) vom Subtyp g wirken. Dadurch wird die Transkription von Genen angekurbelt, die auch den Glukose- und Fettstoffwechsel beeinflusst.
Wissenschaftler konnten mit Zellversuchen und Tiermodellen zeigen, dass Pioglitazon an verschiedenen Stellen in die intrazelluläre Insulin-Signalkaskade eingreift und so einerseits den Glucose-Transport in die Muskel- und Fettzellen begünstigt und andererseits in Hepatozyten die Aufnahme und Verwertung des Zuckers steigert. Zudem werden wahrscheinlich verstärkt Präadipozyten zu Adipozyten differenziert. Dadurch gelangen mehr Lipide in die Fettzellen. Die Plasmalipidspiegel sinken.
Pioglitazon wurde in klinischen Studien als Monotherapie und in Kombination mit Sulfonylharnstoffen, Metformin oder Insulin untersucht. Prinzipiell senkte die Substanz in der Monotherapie dosisabhängig signifikant die HbA1c-Werte und Nüchtern-Blutzuckerspiegel. In Kombination mit den anderen Antidiabetika war der Blutzucker senkende Effekt erwartungsgemäß stärker ausgeprägt.
Da unter Pioglitazon verstärkt Adipozyten ausdifferenzieren, müssen die Patienten mit einer Gewichtszunahme rechnen. Im Gegenzug sinken die Spiegel an freien Fettsäuren und Triglyceriden. Ob sich Pioglitazon auch langfristig günstig auf den Glucose- und Fettstoffwechsel auswirkt, konnte noch nicht belegt werden. Zudem gibt es bis dato keine Studien, die die Wirksamkeit von Pioglitazon in Verbindung mit Metformin oder einem Sulfonylharnstoff mit einer Kombitherapie bestehend aus Metformin und Sulfonylharnstoff vergleichen.
Pioglitazon wird nach peroraler Gabe rasch resorbiert und hauptsächlich in der Leber
metabolisiert. In-vitro-Studien ergaben keinerlei Hinweise auf eine Hemmung eines Subtyps
von Cytochrom P450. Interaktionen mit anderen Arzneistoffen konnte man bislang nicht
nachweisen. Als häufigste Nebenwirkungen traten in Studien Stoffwechselstörungen wie
Gewichtszunahme und Veränderungen der roten Blutkörperchen auf. Wie Rosiglitazon sollten
Diabetiker mit Herzinsuffizienz oder Leberfunktionsstörungen Pioglitazon nicht einnehmen.
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