Pharmazie
82 Prozent der schwangeren Frauen nehmen Arzneimittel ein, im
Durchschnitt drei bis fünf Präparate. Die häufigsten Arzneimittelgruppen
sind Mineralstoffe, besonders Magnesium, Iod- und Eisenpräparate. Jedoch
befolgen noch viel zu wenige Frauen die offiziellen Empfehlungen für die
Zufuhr von Iod und Folsäure in richtiger Dosierung zum richtigen Zeitpunkt.
Dies zeigte die Auswertung der ersten 1200 Arzneimittelbögen im Rahmen
des PEGASUS-Projektes.
Im Mai 1995 startete das Forschungsprojekt PEGASUS am Institut für
Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der Universität
München unter Leitung von Professor Dr. Joerg Hasford. Das Kürzel steht für
"Prospektive Erhebung der Gabe von Arzneimitteln während der Schwangerschaft
und zur Sicherheit des Kindes". Ziel des vom Bundesforschungsministerium
geförderten Projektes ist es, systematisch und vollständig Daten über die
Arzneimittelanwendung in der Schwangerschaft und gesundheitliche Störungen des
Neugeborenen zu erhalten. PEGASUS soll zeigen, welche Medikamente in der
Schwangerschaft oder in bestimmten Phasen ohne Risiko eingesetzt werden können,
aber auch Schwachstellen aufdecken. Die ersten Ergebnisse wurden jetzt in
München vorgestellt.
Zur Dokumentation erhalten die Frauen beim Gynäkologen, von der Hebamme oder
in Apotheken einen Arzneimittelbogen, der in den Mutterpaß eingelegt wird, erklärte
Hasford. Hier werden alle Arzneimittel mit Datum und Grund der Einnahme
eingetragen, die die Frau seit der letzten Periode eingenommen hat. Nach der
Geburt des Kindes werden die Ergebnisse der Perinataluntersuchung mit diesen
Daten verknüpft und anonymisiert ausgewertet.
Zur Teilnahme an diesem Projekt wurden über 300 niedergelassene Gynäkologen,
die freiberuflich tätigen Hebammen, 13 geburtshilfliche Kliniken und über 400
Apotheken in München aufgefordert. Mehrere Institutionen, darunter auch die
Bayerische Landesapothekerkammer, unterstützen PEGASUS.
Bisher wurden 1200 Bögen ausgewertet, sagte die Diplomstatistikerin Cornelia Irl.
82 Prozent der Frauen gaben an, Arzneimittel eingenommen zu haben, im
Durchschnitt 3,9 Präparate; das Maximum lag bei 26. Die häufigsten
Arzneimittelgruppen: 66 Prozent der Frauen nahmen Mineralstoffe, besonders
Magnesium, 59 Prozent führten Jod und 48 Eisen zu. Systemische Antibiotika
verwendeten 16 Prozent der Frauen, bei den Homöopathika lag der Anteil bei 15
Prozent. In 59,3 Prozent der Fälle handelte es sich um verordnete Präparate, 14,7
Prozent wurden selbst gekauft, und bei 26 Prozent fehlten die Angaben.
Zur Risikobewertung wurde die FDA-Klassifikation herangezogen (Arzneimittel mit
bekanntem Risikopotential). Danach wurden in 14 Fällen Medikamente im kritischen
Zeitraum oder in kritischer Dosierung verordnet. Acht Frauen nahmen Estradiol oder
Ethinylestradiol, zwei Frauen Triamteren/Spironolacton, drei Frauen Tetracycline
und eine Frau Propylthiouracil.
Unbefriedigend ist trotz des relativ hohen Arzneimittelkonsums die Zufuhr der offiziell
empfohlenen Stoffe Iod und Folsäure. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe empfiehlt täglich 200 mg Iod während der gesamten
Schwangerschaft, um einer Hypothyreose und Struma beim Neugeborenen
vorzubeugen. Knapp 60 Prozent der Frauen hatten Iod während der
Schwangerschaft eingenommen, aber nur 40 Prozent in der empfohlenen Form.
Über die normale Ernährung ist der Iodbedarf einer Schwangeren kaum zu decken.
Deutlich schlechter sieht die Situation bei der Folsäure aus, für die seit Ende 1994
eine Empfehlung vorliegt. Danach sollen Frauen perikonzeptionell, also vier Wochen
vor bis vier Wochen nach der Konzeption, täglich 0,4 mg Folsäure einnehmen. Die
Prophylaxe beugt dem Neuralrohrdefekt, einer schweren Mißbildung des
Rückenmarks und Gehirns, vor. Ist bei einer vorausgehenden Schwangerschaft
bereits ein Defekt aufgetreten, sollen bei Kinderwunsch 4,0 mg Folsäure
eingenommen werden.
Diese Mißbildung ist zwar selten, aber sehr schwer, erläuterte Apothekerin
Veronika Egen. Etwa 350 Kinder werden jährlich mit Neuralrohrdefekt geboren.
Vermutlich 800 Schwangerschaften sind betroffen, um die 500 Eltern entscheiden
sich für einen Abbruch. Die Hälfte der Erkrankungen könnte durch ausreichende
Folsäuregabe vermieden werden. In einer Befragung von 131 Wöchnerinnen in
München (1997) gaben nur 4 Prozent an, Folsäure in der empfohlenen Form
genommen zu haben - häufig Frauen aus Gesundheitsberufen, so Egen. Weitere 12
Prozent taten dies in einem Teil des perikonzeptionellen Zeitraumes. In den
PEGASUS-Bögen gaben 7 Prozent eine korrekte Einnahme an.
Aber auch die Beratung der Frauen läßt zu wünschen übrig. In einer Befragung
(1996) gaben nur etwa 40 Prozent der Münchener Gynäkologen und Apotheker an,
den Frauen zur perikonzeptionellen Folsäuresupplementation zu raten, sagte Egen. In
einer Informationskampagne wurden die Münchner Apotheker im Sommer erneut
auf den Nutzen der Folsäureeinnahme hingewiesen und erhielten Broschüren zur
Weitergabe an Frauen mit Kinderwunsch. Über die Ernährung alleine ist die Menge
von 0,4 mg Folsäure kaum zu erreichen.
Die Folsäuresupplementation sei "über alle Zweifel erhaben" ergänzte Hasford. Es
gebe eine "ausschließlich positive Nutzen-Risiko-Abschätzung". Er habe beim
BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) angeregt, eine Leitlinie
für die Zusammensetzung von Multivitaminpräparaten zu erstellen.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München

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