Pharmazie
Mindestens 21 000 Drogenabhängige in Deutschland erhalten Methadon
zur Substitution, nicht eingerechnet die Selbstzahler und die Abhängigen,
deren Behandlung vom Sozialamt bezahlt wird. Strittig ist nach wie vor, ob
das deutlich preisgünstigere Razemat oder das reine L-Enantiomer
verordnet werden soll.
Weder Methadonrazemat noch sein Enantiomer Levomethadon sind für die
Substitution zugelassen. Levomethadon ist als Analgetikum bei schweren Schmerzen
indiziert (L-Polamidon®); das Razemat ist in Deutschland als Feinchemikalie im
Handel. Das D-Isomer ist weitgehend ohne analgetische Wirkung, bindet aber an
Opiatrezeptoren. Die L-Form vermittelt die Schmerzdämpfung. Ihre analgetische
Potenz ist (je nach Studie) 1,5- bis 2,5fach höher als die des Razemates, das
annähernd hälftig die beiden Isomere enthält.
Aus experimentellen Befunden zur Atemdepression der Opioide könnte man eine
antagonistische Aktivität des D-Enantiomeres ableiten, sagte Professor Dr. Jürgen
Jage vom Universitätsklinikum Mainz bei einer Pressekonferenz des Initiativkreises
Drogensubstitution, die mit Unterstützung der Hoechst Marion Roussel am 29.
Oktober in München stattfand. Der Effekt scheint klinisch jedoch nicht relevant zu
sein; Rezeptor-Bindungsstudien fehlen völlig.
Die NUB-Richtlinien (NUB: Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden)
ermöglichen die Substitution mit Levomethadon oder dem Razemat unter
bestimmten Voraussetzungen zu Lasten der Krankenversicherung. Die Substitution
muß so hoch dosiert werden, daß kein Opiathunger mehr besteht.
Dr. Hartmut Ewig, der in Langenfeld (Rheinland) eine Schwerpunktpraxis für
Drogenkranke führt, stellt die Abhängigen innerhalb von zwei bis drei Stunden an
einem Tag auf Methadon ein. Der Patient muß in einem entzugsähnlichen Zustand in
der Praxis erscheinen. Nach entsprechenden Kontrollen erhält er drei bis vier
Einzeldosen im Abstand von etwa einer halben Stunde. Nach circa 20 Minuten tritt
jeweils die Methadonwirkung ein. Die abnehmenden klinischen
Entzugserscheinungen und die Pupillenreaktion nutzt der Arzt zur Dosisfindung. Mit
dieser Methode erreiche er im Schnitt eine geringere Methadondosierung als bei
anderen Verfahren.
Eine verdeckte Umstellung von Levomethadon auf das Razemat habe keiner von
etwa 50 Patienten bemerkt, sagte Ewig. Er führte Unverträglichkeiten nicht auf
spezifische Wirkunterschiede zwischen den Stoffen zurück; sie seien eher
psychologisch begründet. Der Arzt müsse jedoch beachten, daß nicht 1:2 von
Levomethadon auf Razemat umgestellt werde, sondern im Verhältnis 1:2,3 bis 1:2,5.
Dr. Thomas Poehlke, Leiter einer Schwerpunktpraxis für Suchtkranke und/oder
HIV-Infizierte sowie Aids-Kranke in Münster, berichtete dagegen, daß einzelne
Patienten nach der Umstellung über kürzere Wirkzeit und damit früher einsetzenden
Entzug, verminderte Wirkung, vermehrtes Schwitzen, Depression oder vermehrte
Müdigkeit klagten. Das Schwitzen sei ein untrügliches Zeichen für Opiatmangel,
ergänzte Jage. Bei schweren Nebenwirkungen stellt Poehlke auf Levomethadon um;
Substitut der ersten Wahl sei dennoch das Razemat.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München


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