Ruboxistaurin schützt Augen und Nerven |
08.08.2005 00:00 Uhr |
Bei hohem Blutzucker wird im Körper das Enzym Proteinkinase C beta aktiviert, das in der Entwicklung mikrovaskulärer Komplikationen bei Diabetes eine Hauptrolle spielt. Seine Hemmung mit dem PKC-β-Inhibitor Ruboxistaurin soll vor Retinopathie, Neuropathie und Nephropathie schützen. Bisherige Phase-II-Studien lassen hoffen.
Diabetiker sind auf Grund ihres entgleisten Stoffwechsels besonders anfällig für Gefäßerkrankungen. So ist bei ihnen die kardiovaskuläre Mortalität sowie das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, um das Zwei- bis Vierfache erhöht. Zu den mikrovaskulären Komplikationen zählen die diabetische Retinopathie, die diabetische Nephropathie sowie die diabetische Neuropathie: Jeder zweite Typ-1-Diabetiker und jeder siebte Typ-2-Diabetiker erblindet, jedes Jahr werden 8000 Diabetiker in Deutschland dialysepflichtig, was in der Prognose einem Tumorleiden gleichkommt, und mehr als ein Viertel der Patienten leidet unter einer Polyneuropathie mit Reflexausfällen und Sensibilitätsstörungen, was die Gefahr eines Fußulcus mit sich bringt. Wie Professor Dr. Dan Ziegler vom Deutschen Diabetes Zentrum, Düsseldorf, auf einer Pressekonferenz der Firma Lilly Deutschland berichtete, leiden hier zu Lande etwa 240.000 Diabetiker unter einem Fußulcus; in 2001 wurden 30.000 Amputationen vorgenommen.
Die Gefäßschäden entwickeln sich aus der Hyperglykämie in einem komplexen Geschehen. Laut dem Mediziner spielen dabei vermutlich vier Mechanismen eine Rolle: Oxidativer Stress, die Überaktivierung des Polyolwegs, die vermehrte Bildung von Glykosilierungsendprodukten sowie die Überaktivierung der Proteinkinase C beta (PKC β) auf Grund vermehrter Diacylglycerolbildung. Diese wird von oxidativem Stress und Glykosilierungsendprodukten zudem noch getriggert. Das Enzym PKC β bewirkt nun über verschiedene Mediatoren eine höhere Gefäßpermeabilität, vermehrte Kollagenbildung, Vasokonstriktion und eine verminderte Fibrinolyse, was den Boden für die diabetischen Folgeerkrankungen bereitet.
Kombi für die Niere Laut ersten Ergebnissen einer Phase-II-Studie mit Typ-2-Diabetikern mit diabetischer Nephropathie kann Ruboxistaurin die Albuminurie vermindern. In der multizentrischen Doppelblindstudie erhielten 123 Patienten randomisiert entweder ein Jahr lang täglich 32 mg Verum oder Placebo. Die Patienten hatten eine persistierende Nephropathie trotz einer Behandlung mit ACE-Hemmern oder AT1-Blockern oder beidem, welche sie auch während der Studie einnahmen.
Bereits nach einer Behandlungsdauer von vier Wochen konnten die Studienautoren einen Effekt auf den Albumin/Kreatinin-Quotienten beobachten, der ab dem dritten Monat signifikant gegenüber dem Ausgangswert war. Nach einem Jahr Behandlung war der Albuminurie-Parameter um 24 Prozent gesunken, verglichen mit 9 Prozent unter Placebo. Zwar war dieser Unterschied nicht signifikant, nach Ansicht der Autoren könnte die zusätzliche Gabe von Ruboxistaurin jedoch etablierte Therapien sinnvoll unterstützen.
»Die Aktivierung der Proteinkinase C β geht mit einer Reihe von Faktoren einher, die letztlich alle zu einer endothelialen Dysfunktion und damit zu einer vaskulären Perfusionsstörung führen«, sagte Privatdozent Dr. Thomas Forst vom Institut für klinische Forschung und Entwicklung, Mainz. Der dafür nötige Schwellenwert werde bei einem Blutzucker von 180 mg/dl erreicht. Ist er einmal, etwa nach dem Essen, übertreten, vergingen rund zwei Tage, bis die PKC-β-Aktivität wieder auf den Normalwert zurückgegangen ist. Dies könnte erklären, warum auch eine gute Blutzuckereinstellung nicht ausreichend gegen die Gefäßschäden nützt.
Ruboxistaurin greift kausal an
Bislang besteht die kausale Therapie darin, den Blutzuckerspiegel sowie den Blutdruck möglichst gut einzustellen. Laut Studien kann eine optimale Einstellung das Risiko für Komplikationen um bis zu 50 Prozent reduzieren. »Eine komplette Verhütung ist aber nicht möglich«, betonte Ziegler. Parallel werden bei diabetischer Polyneuropathie daher die Symptome mit Alpha-Liponsäure, trizyklischen Antidepressiva, Antiepileptika, Capsaicin oder Schmerzmitteln gelindert. Das ebenfalls für diese Indikation vorgesehene Ruboxistaurin soll künftig über die Hemmung der Proteinkinase C beta als eine neue pathologisch begründete Therapie den Gefäßschäden entgegenwirken.
Die PKC-β-Blockade hat laut Forst in Tierversuchen sowohl die Durchblutung als auch die Funktion der Nerven verbessert. Zudem näherte sich die Nervenleitgeschwindigkeit wieder den Normwerten an. In einer Phase-II-Studie mit 205 Typ-1- und Typ-2-Diabetikern, die über ein Jahr entweder Placebo, 32 oder 64 mg Ruboxistaurin erhielten, konnte die Substanz die sechs Hauptsymptome der diabetischen Neuropathie signifikant gegenüber Placebo verbessern. Zu diesem NTSS-6 genannten neuropathischen Symptomscore zählen brennende, stechende und stumpfe Schmerzen, gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, Parästhesien und Taubheitsgefühl. In einer weiteren Analyse konnte zudem die Vibrationsschwelle, ein Parameter der sensiblen Funktion, verbessert werden, wobei die 32-mg-Dosis bei Typ-2-Diabetikern der höheren Dosierung signifikant überlegen war. »Man konzentriert sich jetzt völlig auf die 32-mg-Dosis, sowohl bei der Polyneuropathie, als auch bei der Retinopathie«, sagte der Referent.
In einer placebokontrollierten Phase-II-Studie über 42 Monate verloren Patienten mit bestehender Retinopathie unter der 32-mg-Dosis laut Referent signifikant weniger an Sehfähigkeit als die Kontrollgruppe. Zudem schritt im Ruboxistaurin-Arm das diabetische Makulaödem nach drei Jahren nur bei etwa 30 Prozent voran, gegenüber rund 40 Prozent unter Placebo.
Eine Behandlung mit Ruboxistaurin müsste theoretisch permanent erfolgen, da eine exakte Blutdruckeinstellung ohne Spitzen über 180 mg/dl nahezu utopisch ist. Denkbar wäre auch eine prophylaktische Gabe nach Diagnosestellung eines Diabetes mellitus. Bei einer solch langfristigen Einnahme sollte die Substanz daher sehr nebenwirkungsarm sein.
Progression nicht gestoppt Eine in der Juliausgabe im Fachzeitmagazin »Diabetes« publizierte Phase-II-Studie zur diabetischen Retinopathie ergab, dass Ruboxistaurin zwar den Sehverlust aufhalten kann, nicht jedoch die Progression der Erkrankung (Diabetes 54 (2005) 2188-2197). In der randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie erhielten 252 Patienten mit moderat-schwerer oder sehr schwerer nicht proliferativer diabetischer Retinopathie täglich 8, 16 oder 32 mg Ruboxistaurin peroral. Studienendpunkte waren die Progression der Retinopathie und ein moderater sowie anhaltender moderater Sehverlust.
Bei der Behandlung über 36 bis 46 Monate konnte der PKC-β-Inhibitor den primären Studienendpunkt nicht erfüllen; die diabetische Retinopathie schritt auch in den Verum-Gruppen weiter voran. Verglichen mit Placebo, konnte die 32-mg-Dosierung jedoch den moderaten Sehverlust (sekundärer Endpunkt) verzögern. Den anhaltenden moderaten Sehverlust konnte Ruboxistaurin lediglich in einer Untergruppe von Patienten mit bereits bestehendem Makulaödem signifikant verhindern: Nur jeder zehnte, statt jeder vierte Patient entwickelte im Behandlungszeitraum diese Seheinschränkung. Dabei wurde der PKC-β-Inhibitor gut vertragen, die Nebenwirkungen lagen zumeist auf Placeboniveau. Allerdings traten Asthma, Dysurie und AV-Blöcke ersten Grades unter Verum häufiger auf, was in anderen Studien bislang nicht beobachtet worden war.
Die Autoren vermuten, dass Ruboxistaurin die Progression der Retinopathie ins proliferative Stadium nicht verhindern konnte, da es zu spät gegeben wurde. Denn die Aktivierung der PKC b geschieht schon lange bevor eine Retinopathie klinisch in Erscheinung tritt. Somit könnten biochemische und pathologische Prozesse, wie die erhöhte Gefäßdurchlässigkeit und Neovaskularisation, bereits angestoßen und durch die Hemmung nicht mehr beeinflussbar sein. Zudem sei die PKC β zwar in den VEGF-induzierten intrazellulären Signalweg einbezogen, Ruboxistaurin sei jedoch nicht in erster Linie ein VGFR-Inhibitor. Die Substanz wirke stärker gegen die Gefäßdurchlässigkeit als antiproliferativ. Rückbilden konnte sie die Ödeme in der Studienpopulation aber dennoch nicht.
Bisher haben sich laut Forst unter Ruboxistaurin keine Komplikationen bei der Therapie ergeben. Bei Hunden habe sich das rote Molekül in der Linse abgelagert und zu einer Verfärbung geführt, was aber nach Absetzen verschwand und beim Menschen bislang nicht beobachtet wurde. Eine Ablagerung sei auch in Darmwänden und der Gallenblase beobachtet worden, rufe aber keine funktionellen Störungen hervor. Da die Substanz ausschließlich renal eliminiert werde, könnte bei sehr hohen Dosierungen auch der Urin verfärbt sein.
Phase-III-Ergebnisse in Kürze
Derzeit laufen sowohl zur Behandlung der Retinopathie, als auch der
Neuropathie verschiedene Phase-III-Studien mit Ruboxistaurin Mesylat. Je
eine Phase-III-Studie ist bereits abgeschlossen und wird momentan
ausgewertet. Erste Ergebnisse sind nach Angaben des Herstellers im
September zu erwarten. Sollten sie positiv sein, werde die Zulassung zur
Behandlung der diabetischen Polyneuropathie, der diabetischen Retinopathie
sowie dem daraus folgenden Makulaödem so schnell wie möglich beantragt.
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