In der dritten Dekade einer Odyssee |
23.07.2001 00:00 Uhr |
HIV-FORSCHUNG
Auch im dritten Jahrzehnt nach Ausbruch der HIV-Epidemie ist es Forschung und Medizin nicht gelungen, die Infektionskrankheit in den Griff zu bekommen. Ein Ende der Odyssee sei noch lange nicht abzusehen. Darin waren sich rund 500 Wissenschaftler einig, die sich vom 14. bis 16. Juni 2001 zum elften Mal zu einem internationalen Symposium im südfranzösischen Toulon trafen. Das von der Association Varoise pour la Promotion de la Sidenologie (AVPS) organisierte Treffen diente vor allem dem interdisziplinären Austausch zwischen Vertretern aus Industrie, Klinik, Forschungseinrichtungen und der ärztlichen Praxis.
Seit Einführung der Highly Active Anti-Retroviral Therapy (HAART) sterben deutlich weniger HIV-Infizierte an den Folgen der Immunschwächekrankheit. Dank HAART lässt sich heute die Zahl der RNA-Kopien pro ml Blut unter 50 senken. Die besten Erfolge von HAART wurden mit Dreifachkombinationen antiviral wirksamer Substanzen erreicht. Als optimal gilt es, die Therapie zu beginnen, wenn die Zahl der CD4+-T-Zellen unter 400 pro ml Blut sinkt. Diese Erkenntnisse sind zwar nicht neu, wurden nach Variation der Therapieregime aber bestätigt. Ein massives Problem in der HIV-Behandlung besteht jedoch darin, dass selbst bei nicht mehr diagnostisch nachweisbaren RNA-Mengen die Replikation des viralen Erbgutes in ruhenden CD4+-Zellen des lymphatischen Systems voranschreitet. Diese ruhenden CD4+-Zellen, die weder wachsen noch sich teilen, sind dabei einem zytotoxischen Angriff von CD8+-T-Zellen nicht zugänglich.
Diskontinuierliche Therapie
Da es nicht möglich ist, mit HAART restlos alle Viren abzutöten,
testeten Wissenschaftler inzwischen eine diskontinuierliche
antiretrovirale Therapie. In den Therapiepausen nahmen trotz eines
zunächst beobachteten Anstiegs der CD8+-Zellen langfristig die
CD4+-Zellen als Folge einer massiven HIV-Replikation rapide ab. Daher
versuchte man die Patienten in den Medikationspausen zusätzlich mit
Arzneistoffen zu behandeln, die das Immunsystem stimulieren. Während der
unterbrochenen HAART hoffte man so auf eine verbesserte Immunantwort auf
die rasche HIV-Replikation.
Als Werkzeuge für die angestrebte Immunorestauration wurden die Zytokine
Interferon-a und Interleukin-2 (IL-2) untersucht. Die Forscher wählten
Interferon-a einerseits auf Grund seiner antiviralen Wirksamkeit und
andererseits weil es die Antigenpräsentation ankurbelt. Das Immunsystem
sollte so besser frisch infizierte Zellen erkennen. Unter einer
Tripeltherapie und der parallelen Gabe von PEG-Interferon-a stieg die Zahl
der CD4+-Zellen deutlich an. Parallel dazu fand man nur noch zehn
RNA-Kopien pro ml Plasma. Auch die Produktion von Interferon-g wurde
angekurbelt.
Für IL-2 wurde unter HAART ein deutlicher Anstieg der CD4+-Zellen festgestellt. Hierbei verstärkte sich nicht nur die Proliferation bereits existierender Zellen, sondern auch deren Bildung in der Thymusdrüse. Eine gesteigerte Immunantwort der CD4+-Zellen wurde durch vermehrte Bildung von Antikörpern gegen Tetanus-Toxoid aufgezeigt. Die untersuchten Zytokine sind also in der Lage, unter HAART als Immunstimulans zu wirken. Problematisch sind beim Einsatz von IL-2 allerdings dessen nicht unerhebliche Nebenwirkungen.
Die Forscher prüften inzwischen auch HIV-Lipopeptide auf ihre immunstimulierende Wirkung. Diese Lipopeptide bestehen aus einem kovalent verknüpften Peptid- und Lipidteil. In den Proteinteil sind spezifische HIV-Epitope integriert, die als Proteine von GAG, ENV oder RT-Genen des HI-Viruses exprimiert wurden und als Erkennungsregionen für immunkompetente Zellen fungieren. In klinischen Versuchen konnte mit einer gesteigerten CD4+-Zellproliferation und erhöhten zytotoxischen Aktivitäten von CD8+-Zellen eine verstärkte Immunisierung beobachtet werden, die nach Abbruch von HAART zu einer Verzögerung der HIV-Replikation führte.
Metabolische Störungen
Eine der massivsten Nebenwirkungen von HAART ist das viel beschriebene komplexe Lipodystrophie-Syndrom. Die deutlich sichtbare Fettumverteilung in die Brust, den Nacken und das Gesicht ist für die Erkrankten deshalb so problematisch, weil ihr Leiden so nach außen deutlich erkennbar ist. Die Folge ist eine schlechtere Compliance die häufig zum Abbruch der Therapie führt.
Die Pathogenese der Lipodystrophie ist nach wie vor nicht geklärt. Anfangs galten die in die antiretrovirale Therapie neu eingeführten Proteaseinhibitoren als Auslöser. Mittlerweile geht man davon aus, dass auch die nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) eine wesentliche Rolle spielen.
Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die NRTIs das Enzym DNA-Polymerase-g hemmen, das für die Replikation der mitochondrialen DNA (mtDNA) verantwortlich ist. Dadurch wird die oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien gestört. In subkutanen Gewebeproben, die von Lipoatrophie betroffen waren, konnte eine entsprechende Alterung der Mitochondrien und mtDNA nachgewiesen werden.
Diese mitochondriale Toxizität bedingt zudem eine Laktatazidose unter NRTI-Therapie. Leiden Patienten unter Schmerzen, Erbrechen und rapidem Gewichtsverlust, sollte daher der Laktatspiegel im Blut überprüft werden. Er beträgt bei klinischer Manifestation einer Laktatazidose mehr als 5 mmol Laktat/l. Problematisch für die Diagnose: Auch bei hepatischer Steatose, die unter NRTI-Therapie ebenfalls beobachtet wird, steigt der Laktatspiegel und eine mitochondriale Dysfunktion kann daher verschleiert werden.
Unter Gabe von NRTIs und Proteaseinhibitoren kann es zudem zu Störungen des Glucosestoffwechsel kommen. Der Körper entwickelt dann eine Insulinresistenz, die zu einem Diabetes mellitus führt.
Probleme mit der Pharmakokinetik
In der klinischen Praxis der antiretroviralen Therapie sollten inter- und intraindividuelle Schwankungen der Plasmakonzentrationen mit Hilfe eines Therapeutischen Drug Monitorings (TDM) aufgedeckt, und so vermieden werden, dass der Blutspiegel unter die therapeutisch erforderliche Konzentration sinkt. Trotz Korrektur der Plasma-Eiweiß-Bindung der Substanzen mit einer entsprechend höheren Dosis bleiben vielfältige Probleme für die Voraussage einer ausreichenden Dosierung ungelöst. Dieses betrifft zum Beispiel unterschiedliche Werte der halbmaximalen Hemmkonzentration IC50 für die enzymatische Hemmung verschiedener Virusstämme. Aber auch der unterschiedliche Einfluss von Transporterproteinen lässt sich nicht immer abschätzen. Diese Proteine pumpen den Arzneistoff nach erfolgter Resorption wieder aus dem Zellinneren.
Solche Transporterproteine sind p-Glykoprotein (P-gp) und das Multidrug-Resistance-Protein (MRP). Exprimiert in Enterozyten verringert P-gp die Bioverfügbarkeit der Proteasehemmer Saquinavir und Indinavir nach peroraler Gabe. Da P-gp auch im Bereich der Blut-Hirn-Schranke vertreten ist, macht man es für die geringe ZNS-Gängigkeit der genannten Substanzen verantwortlich. Das Zentrale Nervensystem wird zum Reservoir für HI-Viren. MRP bewirkt die zelluläre Resistenz von Lymphozyten gegenüber den NRTIs.
Wissenschaftler hoffen, in diesen Effluxpumpen ein neues Target für die Entwicklung künftiger HIV-Therapeutika gefunden zu haben. Durch sogenannte Pumpenblocker könnte ein Herausschleusen antiretroviraler Substanzen verhindert werden. Bislang sind leider nur solche Substanzen als Blocker untersucht, die auf Grund ihrer pharmakologischen Eigenwirkung für entsprechende therapeutische Zwecke nicht in Frage kommen.
Co-Infektionen
Litten Anfang der neunziger Jahre noch circa 10 Prozent aller HIV-Patienten unter einer Co-Infektion mit Hepatitis C, rechnet man inzwischen mit 30 Prozent. Während die Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) keinen Einfluss auf die Progression der Immunschwächekrankheit zu haben scheint, beeinflusst das HI-Virus massiv die Entwicklung der Hepatitis. Es wird ein Anstieg der HCV-Virämie beobachtet und damit verbunden ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Leberzirrhose oder eine cholestatische Hepatitis. Trotz steigenden CD4+- und CD8+-Zellzahlen unter HAART, sank die HCV-RNA-Last im Blut nicht ab. Ein weiteres Problem: Bei einer Co-Infektion können unter HAART Leberschädigungen auftreten, die entweder durch NRTIs als Microsteatosen mit Laktatazidose oder als Hepatitis durch Proteasehemmer hervorgerufen werden. Nach jüngsten Erfahrungen steigern auch die nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren das Hepatitisrisiko.
Interferon-a als Monotherapeutikum erwies sich bei einer Co-Infektion als wenig erfolgreich. Nach Therapieabbruch kam es zu einer hohen Rückfallrate. Auch mit der Kombination aus Ribavirin und Interferon ließen sich lediglich in 25 Prozent der Fälle die Viren abtöten. Als neues Therapieregime prüft man nun die Dreifachkombinationen von Ribavirin, Interferon-a und Amantadin beziehungsweise Ketoprofen.
Neue HIV-Therapeutika
So genannte Dimerisierungs-Inhibitoren (DI) sollen die Dimerisierung der beiden monomeren Untereinheiten der HIV-Protease zum intakten dimeren Enzym blockieren. Die schlechte Bioverfügbarkeit und geringe metabolische Stabilität macht den therapeutischen Einsatz der Proteine jedoch unmöglich. Auch die Esterderivate der Tetrapeptide eignen sich nicht als Prodrugs. Derzeit experimentiert man mit Lipopetide, bei denen das wirksame Tripeptid am N-terminalen Ende mit einer Fettsäure verknüpft ist. Derartige DIs sollen als allosterische Inhibitoren wirksam sein.
Eine wirkliche Alternative zu den peptidischen Proteasehemmern sind die dimeren 4-Aryl-1,4-dihydropyridine (1,4-DHP). Auf Grund der zahlreichen Kreuzresistenzen der herkömmlichen Proteasehemmer hofft man nun auf diese nicht peptidische Alternative. Erste Untersuchungen zu Metabolismus und Plasma-Eiweißbindung der dimeren 1,4-DHPs zeigen, dass die Substanzen kaum metabolisiert werden und keine signifikante Plasma-Eiweiß-Bindung aufweisen. Hohe Metabolisierungsraten und ausgeprägte Plasma-Eiweiß-Bindungen ließen bislang Experimente mit anderen nicht peptidischen Proteasehemmern aus der Klasse der zyklischen Harnstoffe und 4-Hydroxy-2-pyrone scheitern.
In der klinischen Prüfung befinden sich gegenwärtig auch erste Varianten sogenannter Bicyclame. Die Substanz AMD3100 besteht aus zwei Cyclamringen, die über ein phenylisches Bindeglied verknüpft sind. Das Molekül blockiert den sogenannten CXCR4-Rezeptor von Targetzellen der HI-Viren.
Die Rezeptorblockade führt dazu, dass HI-Viren nicht mehr in die Wirtszellen eindringen können. Problematisch ist auch hier die begrenzte Bioverfügbarkeit. Die bizyklische Variante AMD7049 bietet allerdings eine echte Alternative.
Trotz vielfältiger Bemühungen, die Therapie von HIV zu optimieren, sind die Ergebnisse bislang nicht befriedigend. Eines der Hauptprobleme bleibt die Virusreplikation in den therapeutisch nicht oder nur schwer zugänglichen Reservoirs wie dem lymphatischen System oder dem ZNS. Die größten Hoffnungen ruhen daher auf neuartigen HIV-Therapeutika.
Für die Verfasser:
Privatdozent Dr. Andreas Hilgeroth
Institut für Pharmazeutische Chemie
Fachbereich Pharmazie
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Wolfgang-Langenbeck-Straße 4
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E-Mail: hilgeroth@pharmazie.uni-halle.de
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