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Betablocker helfen bei der Verarbeitung

23.05.2005  00:00 Uhr
Trauma

Betablocker helfen bei der Verarbeitung

von Hannelore Gießen, München

Nicht nur kollektives Leid, auch persönliche Traumata wie ein Überfall oder Unfall verändern das Leben der Betroffenen grundlegend. Möglicherweise können Betablocker in der Frühphase einer Traumabehandlung helfen.

Naturkatastrophen, Krieg, Gewalt und Horror überfordern die normalen Anpassungsstrategien des Menschen. Bilder, Geräusche oder Gerüche graben sich unauslöschbar in die Seele ein und melden sich unaufgefordert zurück. Immer wieder inszeniert das Gedächtnis die Katastrophe. Manifestieren sich solche Symptome, werden sie unter dem Begriff »Posttraumatische Belastungsstörung« (PTBS) zusammengefasst. Neue Erkenntnisse sowie Therapiemöglichkeiten stellte Professor Dr. Hans-Peter Kapfhammer von der Universitätsklinik Graz bei der Jahrestagung der Europäischen Psychiatrischen Vereinigung Anfang April in München vor.

Krise nach dem Trauma

Die meisten Menschen wissen noch heute, wo sie sich am 11. September 2001 befanden und was sie gerade taten, als die Nachricht vom Angriff auf das World Trade Center eintraf. Wesentlichen Anteil daran hat Adrenalin, das die Nebennieren in solchen Momenten verstärkt ausschütten. Dies war bereits aus Tierversuchen der

90er-Jahre bekannt. Inzwischen weiß man, dass Adrenalin indirekt die Amygdala aktiviert. Diese Struktur im limbischen System drückt jedem Erleben einen emotionalen Stempel auf und verankert sie dadurch fest im Gehirn. So lag der Gedanke nahe, mit Substanzen, welche die Adrenalinwirkung blockieren, das Eingraben einer Gedächtnisspur zu verhindern. Die Rechnung könnte aufgehen: Vor drei Jahren behandelte eine amerikanische Arbeitsgruppe vierzig Personen, die nach einem traumatischen Erlebnis in die Notaufnahme gekommen waren, drei Wochen lang mit dem Betablocker Propranolol. Eine Kontrollgruppe erhielt Placebo. Drei Monate später wurden alle Probanden mit einer Tonbandaufnahme konfrontiert, auf der ein von ihnen selbst verfasster Bericht über das traumatische Erlebnis aufgezeichnet war. Elektroden maßen die Stressreaktion anhand von Herzschlag, Schweißbildung und Muskelspannung. Das Ergebnis: Die Teilnehmer, die Propranolol erhalten hatten, zeigten kaum Anzeichen von Stress, während fast die Hälfte der Kontrollgruppe unter Belastungssymptomen litt.

Zwar konnte diese Untersuchung mehrfach bestätigt werden, doch gebe es bislang kaum klinische Studien, erklärte Kapfhammer. Deshalb werden Betablocker in der ersten Phase nach einem Trauma nicht routinemäßig eingesetzt. Angewandt werden sie jedoch, wenn ein Patient in die Notaufnahme kommt und eine massiv gesteigerte Herzrate aufweist. Oft erklärt der Patient, er sei ganz ruhig; doch sein Körper spricht eine andere Sprache. Eine deutlich gesteigerte Herzfrequenz sei ein direktes Korrelat für die Adrenalin- und Noradrenalinausschüttung und damit ein starker Prädiktor für ein PTBS, führte der Psychiater weiter aus.

Einen zweiten Ansatz für eine pharmakologische Prävention und Frühbehandlung stellt Cortisol dar. Wenn Patienten nach einer Traumatisierung bereits initial selbst wenig Cortisol zur Verfügung haben, stelle dies ein hohes Risiko für ein PTBS dar. Cortisol verstärkt zwar zu Beginn wie Noradrenalin die Speicherung der Erinnerung, doch dann unterdrückt es das pausenlos einschießende Noradrenalin und unterbricht somit die Kaskade. Bei diesen Patienten mache es durchaus Sinn, Cortisol zu substituieren, sagte Kapfhammer.

SSRI als langfristige Therapie

Für Menschen, die jedoch bereits an einer PTBS leiden, kommen Betablocker und Cortisol zu spät. Der Schrecken hat sich bereits in ihr Gehirn eingegraben. Das Furchtbare kann zwar nicht vergessen werden, doch ist es möglich, die Angst zu verlieren. Neben psychotherapeutischen Verfahren werden auch Selektive Serontonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder andere moderne Antidepressiva mit gutem Erfolg eingesetzt.

 

Das Posttraumatische Belastungssyndrom (PTBS) Ein Trauma konfrontiert einen Menschen mit Lebensgefahr; es ruft Angst, Hilflosigkeit oder Horror hervor. Kurzfristig müsse deshalb allen Menschen nach einem Trauma Hilfe angeboten werden, betonte der Psychiater. Glücklicherweise erholen sich die meisten Menschen wieder, doch bei einem Viertel bis einem Drittel chronifizieren sich die Symptome: Es kommt zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Um diese Diagnose zu stellen, werden drei Kriterien herangezogen:
  • Der Betroffene ist nicht mehr Herr seiner Gedanken und Gefühle. Unwillkürlich wird er immer wieder an das Trauma erinnert.
  • Er meidet alles, was mit dem Trauma zu tun hat.
  • Die Störung schlägt sich auch in körperlichen Symptomen nieder. So weist eine ausgeprägte Schreckhaftigkeit auf eine solche autonome Überreaktion hin.

Die heutige Behandlungsstrategie trägt der individuellen Verarbeitung des jeweiligen Betroffenen Rechnung. Während der eine über sein Erleben reden möchte, zieht es ein anderer vor, zu schweigen. Während der eine allein sein möchte, sucht ein anderer Nähe. Eine psychotherapeutische Behandlung zielt in dieser Phase darauf ab, wieder Vertrauen und Sicherheit aufzubauen.

In einem zweiten Schritt müssen sich die Patienten jedoch dem Trauma stellen. Noch ist unklar, ob alle Patienten mit PTBS sich voll dieser Wiederbelebung des Traumas stellen müssen; eventuell genügen auch Teilschritte. Eingesetzt werden dabei psychotherapeutische Methoden wie kognitive Verhaltenstherapie.

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