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Angst im Alter ist anders

14.04.2003  00:00 Uhr
Psychopharmaka

Angst im Alter ist anders

von Hannelore Gießen, München

Angst und Depression gehen im Alter oft einher und werden unterschätzt. Noch liegen erst wenige Studien über geeignete Behandlungsstrategien von Angststörungen bei älteren Patienten vor. Eine Neubewertung verschiedener Psychopharmaka wurde Anfang April in München vorgestellt.

„Der Patient relativiert seine Beschwerden, und der Arzt schätzt sie oft falsch ein. Angst im Alter stellt sich anders dar und ist häufig mit anderen Krankheiten verknüpft“, erklärte Dr. Reinhard J. Boerner von der Ludwig-Maximilians-Universität in München bei einem Symposium der Novartis Pharma GmbH. Angst sei geradezu ein Leitsymptom bei internistischen Erkrankungen und jeder zweite depressive Patient über 65 weise zusätzlich Angst auf. Panikstörungen sind bei älteren Menschen eher selten, dagegen stehen Unruhe, soziale Ängstlichkeit und „Katastrophisieren“ im Vordergrund. Insgesamt leiden 10 Prozent der älteren Bevölkerung an Angststörungen, die oft nicht erkannt werden. Eine unbehandelte Angststörung beeinträchtigt jedoch das Leben des Patienten erheblich.

SSRI - Mittel der ersten Wahl

Wie Psychopharmaka bei älteren Patienten wirken, ist noch kaum untersucht. Bis altersspezifische Untersuchungen vorliegen, orientiert man sich an den Behandlungsstandards für jüngere Patienten und passt sie der im Alter veränderten Pharmakokinetik an.

Am besten untersucht sind bisher selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) wie Paroxetin und Citalopram, die deshalb als Mittel der Wahl gelten. Für den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin liegt bisher eine Studie bei älteren Patienten mit generalisierter Angststörung vor, die eine Responserate von 66 Prozent zeigte. Imipramin und Buspiron sind bewährte Wirkstoffe zur Behandlung von Angststörungen, für ältere Menschen ist ihr Einsatz jedoch auf Grund der Neben- und Wechselwirkungen begrenzt. Als veraltet bezeichnete der Münchner Psychiater den Einsatz von Neuroleptika, und die früher beliebten Benzodiazepine seien nur für eine Kurzzeittherapie geeignet. Sie induzieren Substanzabhängigkeit und erhöhen bei älteren Menschen das Risiko für einen Sturz.

Modulation des Sigmarezeptors

Opipramol wurde zwar schon 1964 in die Therapie eingeführt, in den letzten Jahren jedoch sowohl in pharmakologischer als auch pharmakokinetischer Hinsicht neu bewertet. Die chemische Struktur der Substanz nimmt eine Sonderstellung ein: Sie verbindet den Trizyklus des Antiepileptikums Carbamazepin mit einer Seitenkette, wie sie bei den Neuroleptika Fluphenazin und Perphenazin vorliegt. Opipramol wirkt auch nicht wie viele Antidepressiva über Serotonin- oder Noradrenalinrezeptoren, sondern über die erst in den Achtziger Jahren entdeckten Sigmarezeptoren, durch deren Modulation vermehrt Dopamin freigesetzt wird.

Bei In-vitro-Studien zeigte der Wirkstoff nur eine minimale Affinität zu Acetylcholinrezeptoren, so dass anticholinerge Effekte kaum auftraten. Dies ist für die Therapie älterer Patienten ein wichtiger Aspekt, da Atropin-artige Nebenwirkungen für sie besonders problematisch sein können: Sie beeinträchtigen das Sehvermögen und rufen Schwindel und Obstipation hervor.

Im Zuge der Neubewertung des alten Wirkstoffs waren auch pharmakokinetische Prüfungen erforderlich, wobei die feste Darreichungsform mit einer wässrigen Zubereitungsform verglichen wurde. Aus beiden Applikationsformen wurde der Wirkstoff gleich schnell freigesetzt, die maximale Serumkonzentration war nach drei Stunden erreicht und die Eliminationshalbwertszeit lag im Mittel bei elf Stunden. Die flüssige Darreichungsform von Opipramol wird am 1. Juli 2003 neu in den Markt eingeführt und bietet für die Behandlung älterer Patienten Vorteile, da sie individuell dosiert werden kann. Zudem können auch Patienten mit Schluckbeschwerden mit dem Psychopharmakon behandelt werden.

Opipramol bei Angststörungen

Neue klinische Studien zu Opipramol stellte Dr. Hans-Peter Volz vom Krankenhaus Schloss Werneck vor: Bei der generalisierten Angststörung erwies sich Opipramol als gleich gut wirksam wie Alprazolam, wobei das Benzodiazepin stärker sedierte. Bei somatoformen Störungen, die sich in wechselnden körperlichen Beschwerden ausdrücken, zeigte sich Opipramol einer Placebogabe signifikant überlegen. Für dieses Krankheitsbild, das nach der alten Klassifikation als psychovegetative, psychosomatische oder funktionelle Störung bezeichnet wurde, gab es bisher noch keine etablierte, Placebo-kontrollierte Therapieform.

Boerner wies nachdrücklich zurück, dass Angsterkrankungen im Alter schlechter zu behandeln seien als bei jüngeren Menschen. Auch mache eine Psychotherapie im Alter durchaus noch Sinn. Der Psychiater führte dazu eine Studie an, in der über 65-jährige Patienten mit einer Angststörung von einem Antidepressivum, kombiniert mit kognitiver Verhaltenstherapie, deutlich profitierten. Top

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