Pharmazie

Vermutlich werden nur zwanzig Prozent der depressiven Patienten
ausreichend therapiert. Diese Zahl nannte Professor Dr. Walter Müller vom
Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler in Frankfurt bei einem
Presseworkshop des Unternehmens Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel in
München. Pflanzliche Antidepressiva könnten hier eine Lücke füllen, da sie
von vielen Patienten akzeptiert werden. Es sei bewiesen, daß hochdosierte
Johanniskrautextrakte eine über Placebo hinausgehende Wirkung haben.
Welche Inhaltsstoffe (Hypericine, Hyperforin und/oder andere Stoffe) für die
Wirkung verantwortlich sind, ist heute unter Experten umstritten. Die
methanolisch/ethanolisch-wässrigen Extrakte enthalten zahlreiche Stoffgruppen; mehr
als 15 Einzelverbindungen sind bekannt. Bei Schwabe wurde ein
ethanolisch-wäßriger Extrakt mit definierter Hyperforin-Menge entwickelt, erklärte
Dr. Clemens Erdelmeier, Leiter der Abteilung Naturstoffe II. Das
Phloroglucinderivat ist mengenmäßig zwar der Hauptinhaltsstoff im Johanniskraut,
wird jedoch bei unsachgemäßer Trocknung, Lagerung oder Aufbereitung abgebaut.
Seine Bioverfügbarkeit ist laut Erdelmeier auch beim Menschen belegt.
In pharmakologischen Modellen konnte Müller eine Hemmwirkung des Extraktes
auf verschiedene neuronale Systeme zeigen. Vergleichbar stark ist die Hemmung der
Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin und
Gamma-Aminobuttersäure; etwas schwächer ist die Wiederaufnahmehemmung bei
L-Glutamat. Der Extrakt bewirkt eine Down-Regulation der ß-Rezeptoren im
frontalen Cortex der Ratte und - im Gegensatz zur Wirkung des trizyklischen
Antidepressivums Imipramin - eine Zunahme der Serotonin-Rezeptorendichte. Diese
Effekte scheinen auf Hyperforin zurückzugehen. Es sei deshalb ein für die
Wirksamkeit des Extraktes wichtiger Inhaltsstoff - wenngleich es auch Evidenzen für
Effekte gebe, die nicht durch Hyperforin vermittelt werden.
Die Interimsanalyse einer randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie in
elf Zentren, die Dr. Rolf Dieter Trautmann-Sponsel in München vorstellte, zeigte die
klinische Überlegenheit des Verums bei guter Verträglichkeit. Über 42 Tage
erhielten die Patienten dreimal täglich entweder Placebo oder 300 mg
Hypericum-Extrakt (Neuroplant® 300). Der Unterschied in der
Hamilton-Depressionsskala war bereits nach 14 Tagen signifikant und erhöhte sich
noch nach 28 und 42 Tagen. In der Selbsteinschätzung der Patienten
(Depressionsskala nach von Zerssen) war das Verum schon nach sieben Tagen
überlegen. Auch im Ärzte- und Patientenurteil über die Veränderung der Schwere
der Erkrankung schnitt der Johanniskrautextrakt besser ab.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, MünchenOder ist es doch das Hypericin?
Je nach Untersuchungsaufbau und -konzept kommen Fachleute offenbar zu
unterschiedlichen Theorien über das Wirkprinzip des Johanniskrauts. So ist nach
neueren Untersuchungen an der Universität Münster das Hypericin doch ein
wirksamer Inhaltsstoff. Der Nachweis gelingt jedoch nur, wenn Hypericin nicht
alleine, sondern in Kombination mit lösungsvermittelnden Begleitstoffen getestet
wird.
Vorgestellt wurden diese Ergebnisse beim Kongreß der Gesellschaft für
Arzneipflanzenforschung in Regensburg. Veronika Butterweck aus Münster hatte im
Rahmen ihrer Dissertation die antidepressive Wirkung des Extraktes in
pharmakologischen Tests mit Ratten untersucht.
Die antidepressive Wirkung selbst läßt sich im Tierversuch schwer bestimmen. Gute
Korrelationen gibt es aber beim "Forced Swimming Test". Ratten werden am ersten
Untersuchungstag in ein Gefäß mit Wasser gesetzt, aus dem sie sich nicht aufs
Trockene retten können. Sie lernen so, daß Schwimmen nichts nützt, und versuchen,
sich am zweiten Tag mit möglichst wenig Aufwand über Wasser zu halten. Die
Dauer der "erlernten Immobilität" wird durch die Gabe von Antidepressiva verkürzt,
das heißt, die Ratten versuchen früher wieder, an Land zu schwimmen. Die Phase
der erlernten Immobilität wird in dem Modell einer Frustration/Depression
gleichgesetzt.
Butterweck testete in dieser Versuchsanordnung verschiedene
Hypericum-Fraktionen. Hyperforin war dabei in keiner der Fraktionen enthalten.
Dosisabhängig wirksam waren Flavonoide sowie eine Fraktion, die fast
ausschließlich aus Proanthocyanidinen, Hypericin und Pseudohypericin bestand.
Von diesem Gemisch wurden die Naphthodianthrone abgetrennt. Die so erhaltene
Procyanidin-Fraktion verbesserte die Löslichkeit von Hypericin deutlich. Daß sich
dies auch auf die Bioverfügbarkeit auswirkt, bewiesen die schwimmenden Ratten:
Hypericin verkürzte erst über 0,23 mg/kg die Immobilitätsdauer. Wurde jedoch die
Procyanidin-Unterfraktion dazugegeben, versuchten die Ratten schon ab
0,009mg/kg Hypericin signifikant eher gegen ihr Schicksal anzuschwimmen. Ob
auch andere Begleitstoffe lösungsvermittelnde Eigenschaften haben, soll demnächst
geklärt werden.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Regensburg


© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de