Patienten im Team gut versorgen |
Diese Fülle an Medikamenten überfordert fast jeden Patienten. Da passieren schnell Fehler bei der Anwendung. / Foto: Shutterstock/BearFotos
Menschen mit Polymedikation benötigen die engmaschige Begleitung durch Ärzte und Apotheker. Mit zunehmender Zahl an Medikamenten und Erkrankungen steigt das Risiko für arzneimittelbezogene Probleme (ABP). Dies stellt die hausärztliche Leitlinie Multimedikation in ihrem Update in den Mittelpunkt. So sollen Hausärzte nicht nur die richtige Therapie initiieren, sondern auch die Frage stellen, ob alle Arzneimittel (noch) notwendig und nützlich sind. Zielgruppe sind Patienten, die dauerhaft mindestens fünf Arzneimittel anwenden und mindestens drei chronische Erkrankungen haben oder wenn es einen konkreten Anlass gibt, der auf ABP hindeutet, zum Beispiel einen Sturz oder Krankenhausaufenthalt (1). Ausdrücklich bezieht die Leitlinie alle Patienten mit Multimedikation und Multimorbidität unabhängig vom Lebensalter mit ein. Bei dieser Zielgruppe wird angeraten, mindestens einmal jährlich eine Medikationsüberprüfung und Bewertung der Medikation vorzunehmen.
Der Hausarzt ist die zentrale Koordinationsstelle für die medikationsbezogenen Probleme. Explizit werden aber auch andere Berufsgruppen, die an der Therapie beteiligt sind, zum Beispiel Fachärzte, Pflegekräfte und Apotheker, in diese Arbeit miteinbezogen.
Die Leitlinie beschreibt den Medikationsprozess als Zyklus mit sechs Schritten, die dann in einzelnen Kapiteln definiert werden:
Weitere neue Kapitel beschreiben das Vorgehen beim Schnittstellenmanagement bei Krankenhausaufnahme und -entlassung, bei dem die Apotheke und die Pflegenden eingebunden sein sollen. Ein eigener Abschnitt behandelt die Ausstellung und Aktualisierung des bundeseinheitlichen Medikationsplans als wichtiges Instrument zur Sicherung der Arzneimitteltherapiesicherheit, kurz AMTS.
Die Kommentierung der Empfehlungen wird mit Hintergrundtexten und Praxistipps hinterlegt. So werden konkrete Instrumente, zum Beispiel zum Management von häufigen Interaktionen oder inadäquaten Arzneimitteln im Alter, genannt, zum Beispiel die Flockard-Tabelle, die Internetseite https://crediblemeds.org/ für Hinweise zur QT-Intervall-Verlängerung durch Arzneimittel oder Priscus- und Forta-Liste. All diese Werkzeuge sind nicht nur für Hausärzte, sondern auch für Apotheker bei der Bearbeitung von Medikationsanalysen wertvoll.
Im Anhang der Leitlinie werden alle Links und Literaturstellen zusammengefasst. Außerdem sind zahlreiche nützliche Tabellen und Dokumente für die Praxis, zum Beispiel ein Faxvordruck zur Kommunikation zwischen Arztpraxis und Apotheke, zu finden.
Sowohl die Apotheker als auch die Institution Apotheke werden in der neuen Leitlinie zahlreiche Male genannt. Schon allein daran ist erkennbar, dass Hausärzte und Apotheker beim Medikationsprozess eng zusammenarbeiten sollten. Dennoch stellt die Leitlinie den Hausarzt in erster Linie in die Verantwortung, die Anamnese der Erkrankungen, Verordnungen, aktuelle Beschwerden und Laborwerte zu erfassen, Therapieziele mit dem Patienten zu definieren und die Therapie zu monitoren.
Hier mag der ein oder andere Apotheker enttäuscht sein, der sich im Medikationsmanagement engagiert. Doch im Kapitel Schnittstelle Apotheke wird explizit auf das Medikationsmanagement durch Apotheker hingewiesen. Arzt und Apotheker werden als AMTS-Team bezeichnet (1). Hervorgehoben wird, dass Apotheker laut Apothekenbetriebsordnung eine Informationspflicht zur sachgerechten Anwendung, zu eventuellen Neben- und Wechselwirkungen, zu Aufbewahrung und Entsorgung von Arzneimitteln gegenüber Patienten und Ärzten haben (2). Zudem wird darauf verwiesen, dass Medikationsüberprüfungen (Reviews) in verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Settings, oftmals auch gemeinsam mit Apothekern, etabliert sind.
Für eine gelungene Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker ist die klare Definition der Verantwortlichkeiten wichtig. Im Rahmen des Aktionsplans zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) 2016 bis 2019 hat eine Arbeitsgruppe aus Ärzten, Apothekern und Pflegenden ein Konsenspapier zur interprofessionellen Zusammenarbeit bei Medikationsanalyse und Medikationsmanagement erarbeitet (3). Darin wird festgehalten, dass die Aufgabenverteilung und Verantwortlichkeiten die Kompetenzen und Ressourcen der beteiligten Berufsgruppen berücksichtigen sollen (3). Damit ist klar, dass Diagnosestellung und Therapieentscheidung immer in der Hand des Arztes liegen. Apotheker können die Arzneimittelanamnese ausführen, beispielsweise wenn Arzneimittel aus verschiedenen Bezugsquellen stammen und dem Arzt diese nicht bekannt sind. In diesem Fall kann der Apotheker identifizierte ABP an den Arzt übermitteln (wenn der Patient ihn von der Schweigepflicht entbindet).
Außerdem wird dem Apotheker laut Konsenspapier die pharmazeutische AMTS-Prüfung überlassen. Dazu zählen beispielsweise der Interaktionscheck oder die Sicherstellung der richtigen Anwendung des Arzneimittels. Wichtig ist, dass das, was bei der Prüfung entdeckt wird, der Therapieentscheidung des Arztes übergeben wird.
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Bei der Medikationsanalyse für eine Asthma-Patientin fällt dem Apotheker auf, dass die Frau Beclomethason als Dosieraerosol vom Hausarzt und Fluticason als Diskus vom Facharzt verordnet bekommen hat. Weiterhin hat sie noch ein Salbutamol-Dosieraerosol für den Bedarfsfall. Sie gibt an, beide Corticoid-haltigen Arzneimittel jeweils zweimal täglich zu inhalieren. Der Apotheker stellt fest, dass beide Ärzte nichts von der Verschreibung des anderen Kollegen wissen und hier eine Pseudo-Doppelmedikation vorliegt (Verordnung von zwei nicht identischen Wirkstoffen aus der gleichen Gruppe).
Der Apotheker informiert den Hausarzt mit einem kurzen Fax: »Unsere Patientin X inhaliert sowohl zweimal täglich mit dem Fluticason-Diskus als auch mit dem Beclomethason-Dosieraerosol, das von Facharzt Dr. Z verordnet wurde. Könnte es sich um eine versehentliche Pseudo-Doppelmedikation handeln? Nach Überprüfung der Inhalationstechnik rate ich zur weiteren Anwendung des Pulverinhalators, da hiermit die Inhalation am besten umgesetzt werden kann.« Die Apotheke erhält kurze Zeit später ein kurzes Antwortfax vom Arzt: »Vielen Dank für die Information! Patientin bitte zur Überprüfung in die Praxis schicken.«
Beim nächsten Besuch in der Apotheke berichtet die Patientin, dass das Dosieraerosol abgesetzt wurde und sie die Anwendung des Pulverinhalators fortsetzen soll.
In zahlreichen Projekten (ATHINA, Apo AMTS, ARMIN) wird die Dienstleistung der Medikationsanalyse seit vielen Jahren in Apotheken praktisch erprobt (4, 5, 6, 7). Aufgrund dieser großen Erfahrung und des erwiesenen Nutzens von Medikationsreviews für die Patienten steht die Medikationsanalyse 2a, wie sie in der Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) (8) definiert ist, auch als mögliche pharmazeutische Dienstleistung zur Diskussion.
Anders als eine gute Beratung, die nach §20 ApoBetrO vom Gesetzgeber gefordert ist, erfolgt die strukturierte Analyse der aktuellen Gesamtmedikation eines Patienten in vier Hauptschritten: In einem Anamnesegespräch mit dem Patienten werden Datenquellen wie Medikationsplan, Brown Bag und andere identifiziert und Informationen zu Beschwerden, Erkrankungen und potenziellen ABP gesammelt. Anschließend evaluiert und dokumentiert der Apotheker ohne den Patienten die manifesten und potenziellen ABP; dann werden in einem weiteren Schritt mögliche Lösungen erarbeitet. In einem gemeinsamen Abschlussgespräch vereinbart er mit dem Patienten und gegebenenfalls mit dem behandelnden Arzt oder den Ärzten die erforderlichen Maßnahmen.
Für Apotheker, die ihren Patienten heute schon Medikationsanalysen anbieten, enthält die Hausärzte-Leitlinie zahlreiche hilfreiche Empfehlungen und Werkzeuge, die Ärzte und Apotheker gleichermaßen im Medikationsmanagement nutzen können. So empfiehlt die Leitliniengruppe den Medication Appropriateness Index (MAI), der um einige weitere Fragen zur Unterversorgung und zum schriftlichen Medikationsplan ergänzt wurde (1). Diese Leitfragen können zum Teil auch in Anamnesegesprächen in der Apotheke verwendet werden, zum Beispiel: »Gibt es klinisch relevante Interaktionen mit anderen Medikamenten? Sind die Handhabung und Anwendungsvorschriften praktikabel? Ist die Adhärenz zur Therapie gegeben?«
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Ein älterer Patient löst eine Reihe von Rezepten ein. Er leidet an Typ-2-Diabetes und Herzinsuffizienz und nimmt mehrere Antidiabetika und Antihypertonika ein. Abends spritzt er seit einigen Monaten einige Einheiten Insulin glargin.
Die Apothekerin fragt ihn, wie er mit dem Injizieren zurechtkommt. Sie sieht in der Kundenhistorie, dass bisher nur einmal Nadeln in der Apotheke geholt wurden. Deshalb fragt sie den Patienten, ob er die Nadeln jeden Tag wechselt und immer eine andere Hautfalte für die Injektion auswählt. Es stellt sich heraus, dass der Patient sehr sparsam ist und höchstens einmal pro Woche die Nadel wechselt. Die Apothekerin demonstriert mit einem Übungspen, wie die Nadel ausgetauscht und die Dosierung eingestellt wird. Sie zeigt eine mikroskopische Abbildung einer vielfach benutzten Nadel, um die Bedeutung des regelmäßigen Nadelwechsels zu veranschaulichen.
Um die Adhärenz des Patienten zu überprüfen, fragt die Apothekerin: »Vergessen Sie schon einmal, eines Ihrer Medikamente einzunehmen? Und wenn ja, wie oft?« Der Mann räumt ein, dass er die Ramipril-Tabletten am Morgen ab und zu weglässt. Auf Nachfrage antwortet er, dass ihm immer mal schwindelig sei und er das auf die Tabletten zurückführe. Deshalb nehme er diese Blutdrucktabletten nur zwei- bis dreimal pro Woche. Der Arzt wisse das aber nicht.
Die Apothekerin schlägt vor, regelmäßig den Blutdruck zu messen, um festzustellen, ob die Werte tatsächlich zu niedrig sind. Sie erläutert, dass die Medikamente den hohen Blutdruck nicht heilen, sondern nur kontrollieren, solange sie regelmäßig eingenommen werden. Dies schütze Herz und Gefäße. Ihr Vorschlag: »Könnten wir vereinbaren, dass Sie zwei Wochen lang alle Ihre Medikamente genauso einnehmen, wie es der Arzt verordnet hat, und Sie in dieser Zeit täglich den Blutdruck überprüfen und die gemessenen Werte aufschreiben? Dann besprechen Sie die Werte und die Medikamente einmal mit dem Hausarzt. Er kann dann entscheiden, ob Sie möglicherweise mit einer geringeren Dosis auskommen. Was halten Sie davon?«
Der Patient stimmt zu. »Ja, das ist eine gute Idee. Das wusste ich alles nicht. Wie gut, dass Sie mir das erklärt haben.«
Die Identifizierung von Arzneimittelinteraktionen gehört zu den Stärken der Apotheker und ist fester Bestandteil der Medikationsanalyse. Aufgrund der in Apotheken überall vorhandenen und ständig aktualisierten ABDA-Datenbank haben sie hier häufig eine bessere Informationsquelle als die Ärzte.
Die Leitlinie rät zu einer Kooperation mit Apotheken, um Interaktionschecks auch unter Einbeziehung der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu ermöglichen. Eine optimale Zusammenarbeit an dieser Stelle könnte sein, dass der Hausarzt seine Patienten bittet, ihre Stammapotheke aufzusuchen und dort einen Ausdruck der Gesamtmedikation inklusive einer Überprüfung der möglichen relevanten Interaktionen erstellen zu lassen (1). Denkbar wäre es, dass der Apotheker dem Arzt ein Berichtsblatt mit der Gesamtmedikation und möglichen Alternativvorschlägen bei schwerwiegenden Wechselwirkungen übermittelt.
Eine wichtige Informationsquelle für die Medikationsanamnese ist der bundeseinheitliche Medikationsplan. Gesetzlich Krankenversicherte, die mindestens drei verordnete Medikamente gleichzeitig einnehmen, haben seit 1. Oktober 2016 Anspruch auf einen Medikationsplan in Papierform. Mittlerweile erhalten die meisten Patienten einen solchen Plan von ihren Ärzten. Jedoch ist jeder Plan nur so gut, wie er von den Patienten verstanden und in der Praxis genutzt wird.
Seidling und Kollegen zeigten 2019 in einer Studie, dass zwar fast 90 Prozent der Befragten angaben, den Medikationsplan länger als ein Jahr zu nutzen, doch nur bei der Hälfte war der Plan innerhalb des letzten Jahres aktualisiert worden (9). So lassen sich in der Praxis bei Medikationsanalysen sehr häufig Diskrepanzen zwischen dem Medikationsplan und den tatsächlich eingenommenen Medikamenten feststellen.
Eine wichtige Informationsquelle für die Medikationsanamnese und das Gespräch mit dem Patienten ist der Medikationsplan – sofern er aktuell ist. / Foto: ABDA
Der Medikationsplan soll stets vollständig und aktuell sein; der bundeseinheitliche Medikationsplan (BMP) ist das bevorzugte Format. Dem Patienten ist zu raten, diesen bei jeder Konsultation beim Arzt und in der Apotheke vorzulegen (1). Beim Abgleich des Plans werden immer wieder nicht vorgesehene Doppelverordnungen aufgedeckt, die unter anderem durch die Konsultation verschiedener Ärzte und/oder Arztgruppen entstehen. Dies passiert beispielsweise häufig bei Schmerzmitteln oder Psychopharmaka.
In der Apotheke hat es sich bewährt, bei der Belieferung von Rezepten oder bei der Beratung zur Selbstmedikation nach dem Medikationsplan zu fragen. Ein Blick auf den Plan ermöglicht einen raschen Überblick über die eingenommenen Medikamente; potenzielle Risiken und ABP werden so öfter entdeckt. Außerdem wird die Bedeutung des Medikationsplans aufgewertet, wenn der Patient lernt, dass in Arztpraxen, Krankenhäusern und der Apotheke – also überall – danach gefragt wird. Apotheker sollten Patienten darauf hinweisen, immer auf die Aktualität des Plans zu achten und alte Pläne am besten zu vernichten oder zu archivieren, damit sie nicht durcheinanderkommen. Besteht Unsicherheit über die Richtigkeit eines Plans, können Apotheker und Ärzte bei der Aktualisierung helfen.
Außerdem sollte das Apothekenteam die Patienten fragen, wie sie die Einnahme ihrer Medikamente laut Plan umsetzen. Hierbei wird deutlich, ob sie den Plan überhaupt verstehen und damit arbeiten können. Viele Ärzte händigen Medikationspläne ohne Einnahmehinweise und Behandlungsgrund aus. Apotheker können die Patienten unterstützen, indem sie insbesondere bei den Hinweisen Ergänzungen vornehmen, zum Beispiel »Einnahme 30 Minuten vor dem Frühstück«.
Bei der Arzneimittelabgabe, die in einem Kapitel der Leitlinie detailliert beschrieben wird, kommt es immer wieder zu Klärungsbedarf. Wer täglich in der Apotheke arbeitet, kennt die Situation, dass die Arztpraxis für Rückfragen schwer zu erreichen ist. Viele Apotheker berichten, dass sich die Lage in Zeiten der Pandemie noch verschärft hat.
Bewährt hat es sich, Kommunikationswege zwischen umgebenden Praxen der Hauptverordner und der Apotheke im Vorfeld festzulegen. Dieses Vorgehen bestärkt die Leitlinienkommission (1): »Hausärzte sollen mit Apothekern einen Kommunikationsweg vereinbaren, um Fragen im Rahmen der Medikationsabgabe zu klären.«
Haben Apotheken ein gutes Verhältnis zur Arztpraxis, kann das Team dringende Anfragen zur Medikation eines Patienten telefonisch direkt mit dem Verordner klären. In der Regel empfiehlt sich die Kommunikation per Fax oder E-Mail. / Foto: Getty Images/alvarez
Wenn die Telematik-Infrastruktur in der Fläche von allen Heilberufen genutzt wird, sollte KIM (Kommunikation im Medizinwesen) der einheitliche Standard für die elektronische Übermittlung medizinischer Dokumente zwischen den Heilberufen sein. Dann können Informationen per E-Mail von der Apotheke an die Arztpraxis verschlüsselt geschickt werden.
Solange das noch nicht funktioniert, ist ein Fax immer noch ein bewährtes und sicheres Instrument. Eine Vorlage »Dringende Arztanfrage« befindet sich im Anhang der Leitlinie. Ähnliche Formatvorlagen nutzen die Apotheker, die ATHINA-zertifiziert sind oder die die Arbeitsdokumente der BAK zur Leitlinie Medikationsanalyse kennen. Folgende Informationen müssen enthalten sein: Adressat der Apotheke, Ansprechpartner in der Arztpraxis – jeweils mit Kontaktdaten, Patientendaten, Beschreibung des ABP und ein möglicher Lösungsvorschlag der Apotheke sowie ein Feld für die Antwort des Arztes.
Ein Fax hat den großen Vorteil, dass sich der Arzt zeitlich unabhängig zwischen zwei Konsultationen mit dem Problem befassen und das Praxispersonal seine Rückmeldung an die Apotheke weiterleiten kann. Auf der anderen Seite hängt der Apothekenmitarbeiter nicht ewig in der Warteschleife. Einige Apotheken haben ein vertrauensvolles, enges Verhältnis zu ihrer Arztpraxis; dann wird für dringende Anfragen auch mal eine Notfallnummer des Arzthandys vergeben.
Letztlich ist es eine individuelle Entscheidung zwischen Apotheker und Arzt, wie sie am besten und effizient kommunizieren. Sinnvoll ist es, die standardisierte Vorgehensweise bei häufigen Rückfragen und den generellen sonstigen Kommunikationsweg in einem persönlichen Gespräch festzulegen.
Um die interdisziplinäre Kommunikation auf höherer Ebene zu verbessern, empfiehlt die Leitliniengruppe die Etablierung von interprofessionellen Qualitätszirkeln. So gibt es auf regionaler Ebene, zum Beispiel der Kreise, bereits Arzt-Apotheker-Gruppen, die sich ein- bis zweimal im Jahr über gemeinsame Themen austauschen. Dabei kann es um die Organisation des Notdienstes und den Umgang mit Rezepten, aber auch um fachliche Themen gehen. Klar ist: Persönlicher Austausch schafft Verständnis für den anderen und verbessert die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Kommunikationswege.
Eine Schwachstelle in der Bewertung der Gesamtmedikation ist oft die Selbstmedikation. So wissen viele Hausärzte nicht, was ihre Patienten neben den verschriebenen Medikamenten sonst noch einnehmen. Um die hierdurch entstehenden Risiken zu reduzieren, sollten Patienten am besten eine Stammapotheke bestimmen, »die zur Arzneimittelanwendung persönlich berät, die gesamte Medikation dokumentiert, Interaktionen überprüft und somit den Arzt und Patienten unterstützt, den Überblick über die Medikation des Patienten zu halten« (1).
Medikamente aus dem Versandhandel? Das kann gut gehen, muss aber nicht. Eine Stammapotheke ist sicherer. / Foto: Getty Images/BSIP/UIG
Es ist bekannt, dass in der Selbstmedikation AMTS-Risiken ruhen und diese noch größer werden, wenn Patienten ihre Arzneimittel in verschiedenen Apotheken oder zusätzlich noch im Versand beziehen. Dem verleiht die Leitlinie Nachdruck: »In der Praxis soll dem Patienten vermittelt werden, dass es für ihn von Nutzen sein kann, wenn er sich mit allen Rezepten, bei OTC-Bedarf und bei Fragen oder Problemen der Arzneimittelanwendung an die Stammapotheke wendet.«
Viele Apotheken haben zu ihrer Arztpraxis ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Da ist es naheliegend, dass Patienten nach der ärztlichen Empfehlung, eine Schwerpunkt- oder Stammapotheke auszusuchen, in die Apotheke gehen, in der sie am häufigsten ihre Rezepte einlösen. Hier liegt die Chance der Vor-Ort-Apotheke.
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Eine Patientin, 63 Jahre, möchte in der Apotheke ein gutes Johanniskrautpräparat kaufen. In der dunklen Jahreszeit im Winter schlafe sie schlecht ein, weil sie immer wieder ins Grübeln gerate. Ihre Gynäkologin habe ihr geraten, etwas Pflanzliches wie Johanniskraut einzunehmen.
Laut Leitlinie der BAK zu Information und Beratung in der Selbstmedikation sollte vor der Abgabe nach dauerhaft eingenommenen Medikamenten und Vorerkrankungen gefragt werden. Da die Patientin eine Kundenkarte hat und regelmäßig die Apotheke aufsucht, hat der Apotheker alle Informationen gespeichert. Es stellt sich heraus, dass die Frau nach einer Bypass-Operation eine Vielzahl von Medikamenten einnimmt, unter anderem Rivaroxaban. Bei einem Interaktionscheck mit der ABDA-Datenbank wird eine pharmakokinetische Interaktion festgestellt. Johanniskraut ist ein CYP3A4-Induktor und kann die Wirkung von Rivaroxaban vermindern.
Aufgrund der Meldung rät der Apotheker von der Einnahme von Johanniskraut ab und empfiehlt stattdessen ein Präparat mit Lavendelöl, das diese Interaktion nicht hervorruft.
Apotheker sollten ihren Kunden die Kundenkarte anbieten und auf die Vorteile der Arzneimitteltherapiesicherheit hinweisen. »Wenn Sie alle Ihre Arzneimittel bei uns kaufen, dann können wir Ihnen jederzeit einen Gesamtüberblick über alle Medikamente geben. Außerdem können wir überprüfen, ob sich die selbst gekauften Arzneimittel mit den vom Haus- oder Facharzt verordneten vertragen. So wie Sie einen Hausarzt haben, können wir Ihre Hausapotheke mit individueller und umfassender Betreuung sein. Da wir mit Ihrem Arzt gut zusammenarbeiten, sorgen wir gemeinsam für eine optimale Arzneimitteltherapiesicherheit!« So könnte das Angebot an die Patienten lauten.
Katja Renner arbeitet seit 2000 als Dozentin für verschiedene Apothekerkammern und die ABDA. Ihr Schwerpunkt ist die praxisnahe Fortbildung zu Themen wie Depression, Kinder- oder Atemwegserkrankungen sowie zu Arzneimitteln in der Schwangerschaft. Renner ist Mitglied des Fort- und Weiterbildungsausschusses der Apothekerkammer Nordrhein und gehört zum Projektteam von ATHINA.