| Cornelia Dölger |
| 02.11.2020 12:00 Uhr |
Lieferengpässe sind ein altbekanntes Thema – die Pandemie verstärkt das Problem noch, wie eine US-amerikanische Studie belegt. / Foto: 2Design
In den USA und Europa seien derzeit 29 von 40 Arzneimitteln, die zur Bekämpfung des Virus eingesetzt werden, knapp, schreibt das Onlineportal Statnews und bezieht sich auf die Autoren vom Center for Infectious Disease Research and Policy an der University of Minnesota (CIDRAP). Und mit steigenden Infektionszahlen und mehr Krankenhausaufenthalten werde sich das Problem im Winter noch verschärfen.
Ohnehin führe die Abhängigkeit der weltweiten Lieferketten von Produktionsländern wie China und Indien regelmäßig zu Lieferengpässen, schreibt Statnews. So gingen derzeit 43 Prozent der Akutarzneimittel, die zur Bekämpfung verschiedener Erkrankungen eingesetzt werden, zur Neige. Betroffen seien zum Beispiel Antibiotika, Blutverdünner oder Beruhigungsmittel. Die Coronavirus-Pandemie sei für die ohnehin teils brüchigen Lieferketten im Herbst und Winter eine echte Herausforderung, zitiert Statnews CIDRAP-Direktor Michael Osterholm.
Die Pandemie enthülle, wie anfällig die Arzneimittelversorgung in den USA für Krisen wie diese sei, heißt es weiter. In jedem neuen Hotspot, in dem das Virus um sich greife, verzeichneten die Krankenhäuser dramatische Anstiege bei Krankenhauseinweisungen und auch bei Patienten, die beatmet werden müssten. Es könne etwa zu einer fünf Mal höheren Nachfrage nach dem Beruhigungsmittel Midazolam kommen, schreiben die Forscher laut Statnews. Sogar zehn Mal höher könnte die Nachfrage nach dem Muskelrelaxans Cisatracurium ausfallen. Als im vergangenen Frühjahr New York von der ersten Coronaviruswelle getroffen wurde, habe es an solchen Arzneimitteln laufend gefehlt.
Und es könnte laut Statnews noch deutlich schlimmer kommen. Lieferengpässe könnten weiter stark zunehmen, wenn die Infektionszahlen an vielen Orten gleichzeitig steigen, wie es jetzt schon passiert. Man spreche dann nicht mehr über fünf oder sechs Hotspots, sondern vielleicht über 30 oder mehr, zitiert Statnews Stephen Schondelmeyer, stellvertretender Direktor von CIDRAP.
Lieferengpässe belasten das amerikanische Gesundheitssystem nachhaltig – und sie nehmen weiter zu. Auf mehr als 500 Millionen US-Dollar (420 Millionen Euro) pro Jahr belaufen sich demnach die Kosten, heißt es weiter, wobei sich die Ursachen für die Engpässe teils unterschieden. So könne es dazu kommen, wenn ein Hersteller einen Wirkstoff für nicht mehr profitabel erachte und deshalb die Produktion einstelle, ohne dass ausreichend Ersatzproduzenten vorhanden seien. Auch komme es vor, dass sich Produzenten von einem bestimmten Markt zurückziehen, weil ihnen die behördlichen Auflagen zu aufwändig sind, schreibt Statnews.
Laut der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA hängt ein Großteil der Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln mit Mängeln bei der Produktqualität oder Problemen bei der Herstellung zusammen. Dies habe eine Untersuchung von 163 Arzneimitteln ergeben, bei denen zwischen 2013 und 2017 Lieferengpässe aufgetreten waren, schreibt Statnews unter Verweis auf die FDA. 63 Prozent der Lieferengpässe seien darauf zurückzuführen gewesen. Die US-Regierung wolle verstärkt auf heimische Produktion setzen, so das Portal. Dafür gelte es Anreize für die Unternehmen zu schaffen. Um bei Arzneimitteln nicht länger komplett von anderen Ländern abhängig zu sein, müsse sich auch die Diskussion darüber ändern, erklärte CIDRAP-Direktor Osterholm Statnews zufolge. Letztlich gehe es auch um nationale Sicherheit.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.