Overwiening: »Wir haben keinen Spielraum zum Sparen« |
Jennifer Evans |
03.06.2022 14:00 Uhr |
Das Leistungsspektrum der Apotheken sei inzwischen enorm breit, betonte die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening bei der Pressekonferenz zum diesjährigen »Tag der Apotheke« in Berlin. / Foto: PZ/Screenshot
Eigentlich ist jeder Tag ein »Tag der Apotheke«, meint ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Schließlich seien die 159.783 Beschäftigten in den 18.461 öffentlichen Apotheken hierzulande täglich von früh bis spät im Einsatz, um jeden Tag im Schnitt drei Millionen Patienten zu versorgen. Bei der heutigen Pressekonferenz in Berlin belegte Overwiening das Engagement ihres Berufsstands auch mit Zahlen, die aus dem neuen Statistischen Jahrbuch der ABDA stammen. So haben die Vor-Ort-Apotheken im vergangenen Jahr rund 1,29 Milliarden Arzneimittelpackungen ausgegeben, für gesetzlich Versicherte 12,07 Millionen individuelle Rezepturen angefertigt und 440.000 Nacht- und Notdienste sowie 29,92 Millionen Botendienste geleistet.
Um die vielen Facetten der pharmazeutischen Versorgung in Deutschland zu zeigen, hatte die ABDA den »Tag der Apotheke« erstmals im Jahr 1998 ins Leben gerufen. Seitdem findet er jedes Jahr am 7. Juni statt, um auf die Leistungen der Offizinen aufmerksam zu machen.
Insbesondere während der Covid-19-Pandemie seien viele neue Aufgaben hinzugekommen, auf die der Berufsstand stolz sein könne und die auch »viel Zeit, Energie und Kompetenz« erfordert hätten, so Overwiening. Damit spielt sie etwa auf das Ausstellen von insgesamt 97 Millionen digitalen Impf- und Genesenen-Zertifikaten an, die Auslieferung von 89,8 Millionen Corona-Impfdosen an Arztpraxen und Betriebsärzte sowie das Durchführen von deutschlandweit 100.000 Corona-Impfungen sowie das Angebot von Covid-19-Schnelltests in jeder vierten Apotheke.
Möglich sind diese Zusatzaufgaben der ABDA-Präsidentin zufolge nur deshalb gewesen, weil die Apotheken »voll digitalisiert« sind. Inzwischen seien 98 Prozent von ihnen an die Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen und daher mit E-Health-Konnektoren, elektronischen Heilberufsausweisen und Institutionenkarten ausgestattet. Lediglich einige Softwarehäuser müssten noch ein paar Module in den Betrieben installieren und einzelne Apotheken-Mitarbeiter noch ihre Schulungen absolvieren, damit am 1. September 2022 alle Apotheken E-Rezept ready sind.
Um sich in Zukunft als »aktiver Helfer« und »analoger und digitaler Vollversorger« zu positionieren, sei für die Apotheken aber nicht nur die Digitalisierung wichtig, sondern auch die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen. Die zusätzlichen Angebote sollen das Spektrum der Apotheken deutlich verbreitern sowie die »Defizite in der Patientenversorgung« ausgleichen. Overwiening: »Die freiberuflich geführten Apotheken vor Ort werden wegen ihrer Gesundheitsexpertise, ihrer Unabhängigkeit, ihres niedrigschwelligen Zugangs und ihrer sozialen Funktion geschätzt.«
Konkret zählte die ABDA-Präsidentin drei Bereiche auf, in die sich Apotheken künftig einbringen wollen: die unzureichende Arzneimitteltherapiesicherheit bei Menschen mit Polymedikation, die oft mangelhafte Adhärenz bei schwerwiegenden Erkrankungen sowie in Sachen Prävention bei Volkskrankheiten. Die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen bieten laut Overwiening nicht nur »eine großartige Chance, die Versorgung der Menschen zu verbessern«, sondern zugleich das »pharmazeutische Profil im Arbeitsalltag der Apotheke zu schärfen«.
Nicht unerwähnt ließ sie, dass für die Stabilisierung der Apotheke vor Ort vonseiten der Politik »verlässlich Geld fließen muss«, denn »Versorgung kostet selbstverständlich etwas«. In dem Zusammenhang wies sie darauf hin, dass die Apotheken in Deutschland »sehr effizient« arbeiteten und »alles andere als ein Kostentreiber« seien. Im Gegenteil: Der Anteil, den sie an den Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hätten, sei »langfristig rückläufig« und habe im Jahr 2021 sogar mit 1,9 Prozent einen Tiefstand erreicht. Abgerechnet sind natürlich die »kurzfristigen Pandemie-Effekte«.
Vor diesem Hintergrund zeigte sich der Berufsstand kürzlich umso mehr überrascht, als das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Referentenentwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorlegte. »Wir haben uns nicht nur über die Form, sondern auch über die Inhalte gewundert«, berichtete Overwiening. Das BMG hatte unter anderem vor, den Apothekenabschlag deutlich zu erhöhen, was eine Honorarkürzung für die Apotheken bedeuten würde, sowie die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken, wodurch der Nettobetrag des Apothekenabschlags steigen würde. Kurze Zeit später verschwand der Entwurf wieder.
Dennoch machte Overwiening am heutigen Freitag deutlich: »Wir haben keine Spielräume mehr zum Sparen«. Neben steigenden Energiekosten, der Inflation sowie wachsenden Personalausgaben aufgrund der neuen Tarifverträge seien alle Ressourcen ausgeschöpft. Auch die immer anspruchsvollere Grundversorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln plus etwaige kurzfristige Sonderaufgaben stellten eine zusätzliche Belastung dar. »Stattdessen brauchen die Apothekerinnen und Apotheker eine echte Perspektive für die Zukunft – gesellschaftspolitisch, volkswirtschaftlich und naturwissenschaftlich«, sagte sie. Das sei jedoch nur mit ausreichend finanziellen Mitteln und verlässlichen politischen Rahmenplanungen möglich, um den »engagierten pharmazeutischen Nachwuchs« zu gewinnen und zu halten.
Overwiening bot einen Gegenvorschlag zu den Sparideen des BMG an, die ihrer Ansicht nach ohnehin im Widerspruch zu dem Versprechen der Ampel-Koalitionäre stehen. Die hatten nämlich vor, die lokalen Strukturen zu stärken. Sie plädierte für mehr interprofessionelle Zusammenarbeit und damit weniger Reibungsverluste, einen stärkeren Einsatz digitaler Hilfsmittel sowie das Voranbringen der elektronischen Patientenakte (EPA), um mit Letzterer unter anderem doppelte Erfassungsarbeit von Daten zu vermeiden.
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