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Alternsforschung

Organspezifische biologische Alternsuhren identifiziert

Es wurden bereits viele Methoden zur Messung des molekularen Alterns des Menschen entwickelt. Allerdings sind die meisten dieser biologischen Uhren so ausgelegt, dass sich nur das biologische Alter für den gesamten Organismus ableiten lässt. Dies ist wohl eine zu grobe Messlatte, um tatsächlich auch Handlungsoptionen aus den Messungen ziehen zu können – denn die einzelnen Organe des Menschen altern nicht synchron, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Theo Dingermann
29.12.2023  15:00 Uhr

Die Alternsforschung ist sich einig, dass sich das »biologische Alter« einer Person von dem »chronologischen Alter« unterscheiden kann. Verschiedene Ansätze wurden entwickelt, um diese Diskrepanz konkret mit Zahlen zu belegen. Eines der bekannteren Beispiele ist die epigenetische Alternsuhr, die darauf beruht, dass sich mit fortschreitendem biologischen Alter DNA-Methylierungsmuster, die Teil der epigenetischen Signatur eines jeden Menschen sind, ändern. Analysen auf diesem erstaunlich genauen Prinzip liefern allerdings nur einen Biomarker, der sich auf den ganzen Organismus bezieht.

Dies ist wohl eine zu grobe Messlatte, wie jetzt Forschende um Hamilton Se-Hwee Oh vom Wu Tsai Neurosciences Institute an der Stanford University, Stanford, USA, in einer Arbeit zeigen, die im Wissenschaftsjournal »Nature« publiziert wurde. Ein Hauptergebnis dieser Arbeit ist, dass die menschlichen Organe nicht synchron altern. Will man daher in den Alterungsprozess eingreifen, sollte man den Alterungsverlauf der einzelnen Organe kennen, anstatt sich auf einen Querschnittsmarker, wie er beispielsweise mit Hilfe der epigenetischen Uhr ermittelt werden kann, zu verlassen.

Identifizierung »organangereicherter« Proteine

Zu dieser Schlussfolgerung kamen die Forschenden, nachdem sie zunächst Proteine identifizierten, die vornehmlich organspezifisch, konkret in elf Organen des Menschen, exprimiert werden. Die Forschenden begrenzten ihre Analysen zunächst auf Fettgewebe, Arterien, Gehirn, Herz, Immunstrukturen, Darm, Niere, Leber, Lunge, Muskel und Bauchspeicheldrüse. Deren Beitrag zu Alterskrankheiten ist relativ gut bekannt und in den Kohorten, die als Basis für diese Studie dienten, liegen relevante altersbezogene Phänotyp-Daten vor.

Zunächst screenten die Forschenden 4979 Proteine bei insgesamt 5676 Probanden aus fünf unabhängigen und gut dokumentierten Kohorten. Die Proteine wurden als »organangereichert« klassifiziert, wenn die kodierenden Gene in einem Organ mindestens viermal höher exprimiert werden als in jedem anderen Organ.

Von den 4979 untersuchten menschlichen Proteinen konnten 893 Proteine (18 Prozent) einem Organ zugewiesen werden, wobei die höchste Anzahl der organangereicherten Proteine aus dem Gehirn stammte.

Zur Quantifizierung der Plasmakonzentrationen der identifizierten Proteine bedienten sich die Forschenden der sogenannten SomaScan-Plattform. Diese bietet eine Vielzahl modifizierter Aptamere, bestehend aus synthetischen Einzelstrang-DNA-Sequenzen mit proteinähnlichem Additionsprodukt, die spezifisch an ein bestimmtes Zielprotein festbinden. Dann trainierten die Forschenden einen maschinellen Lernalgorithmus, um das Alter einer Person auf der Grundlage der Werte dieser Proteine vorherzusagen. Ihr Modell validierten sie mit Blutproben von mehr als 4000 anderen Menschen.

So entwickelten die Forschenden letztlich Proteom-Alterssignaturen, die das chronologische Alter der untersuchten Organe für die Teilnehmer vorhersagen können. Ihre Ergebnisse verglichen sie mit anderen Altersbiomarkern wie Telomerlänge und DNA-Methylierung.

Stark beschleunigtes Altern eines einzelnen Organs bei jedem Fünften

Die Ergebnisse der umfangreichen Analysen sind bemerkenswert. Zunächst zeigte sich, dass die identifizierten Alterungsproteine für Proteine angereichert waren, die mit Entzündung, Immunantwort, extrazellulärer Matrix, Blutgerinnung, Komplementsystem, Lipidstoffwechsel und Zelladhäsion zusammenhängen. Diese Alterungsproteine bilden offensichtlich ein dichtes Interaktionsnetzwerk aus funktionell miteinander verbundenen Proteinen. Diese Proteine wurden reproduzierbar in den untersuchten Kohorten identifiziert, auch bezogen auf die Organspezifität. Zudem ließ sich für die Alterungsproteine auch eine Korrelation mit der Mortalität, der Multimorbidität, der körperlichen und kognitiven Funktion und der Lebensspanne der Teilnehmer zeigen.

Bei fast 20 Prozent der Bevölkerung identifizierten die Forschenden ein stark beschleunigtes Altern eines einzelnen Organs. Etwa 1,7 Prozent der Studienteilnehmer wurden als »Multiorgan-Ager«, das heißt als Personen identifiziert, bei denen mehrere Organe von einem zu schnellen Altern betroffen sind. Die beschleunigte Organalterung führt zu einem um 20 bis 50 Prozent höheren Sterberisiko, zudem ist sie mit organspezifischen Erkrankungen assoziiert.

Bei etwa 2 Prozent der Studienteilnehmer zeigte sich etwa eine beschleunigte Herzalterung. Bei diesen Personen unterschieden sich die Blutproteinspiegel erheblich von denen anderer Menschen gleichen Alters. Die Autoren leiteten aus ihren Daten ab, dass ein vorzeitig gealtertes Herz mit einem um 250 Prozent erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz verbunden war.

Auf Basis einer speziellen Kohorte für Demenzpatienten ließ sich zeigen, dass eine beschleunigte Gehirn- und Gefäßalterung das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit (AD) ähnlich exakt wie der Biomarker Plasma-pTau-181 vorhersagen ließ. Durch die Vermessung der für das Gehirn spezifischen Proteine werden Parameter für Gefäßverkalkung, Veränderungen der extrazellulären Matrix sowie die Ausscheidung synaptischer Proteine mit einem frühen kognitiven Verfall in Verbindung gebracht. Daraus ergibt sich eine einfache und interpretierbare Methode, um beispielsweise die Alterung von Organen anhand von Plasmaproteomikdaten zu untersuchen und Krankheiten und Alterungseffekte vorherzusagen.

Gewaltiges Potential 

Mit Blick auf die identifizierten organangereicherten Proteine entdeckten die Forschenden Proteine, von denen bekannt ist, dass sie an verschiedenen biologischen Prozessen beteiligt sind, die mit Alterung, Entzündung, Immunantwort und extrazellulärer Matrix zusammenhängen. Die Funktion etlicher anderer Proteine, die in die Proteommodelle einfließen, ist allerdings noch unbekannt. Die Autoren präsentieren eine einfache und interpretierbare Methode, um das Organalter mit Hilfe von Plasmaproteomdaten zu studieren und Krankheiten und Alterungseffekte vorherzusagen.

Allerdings betonen die Forschenden, dass es noch notwendig sein wird, die kausalen Beziehungen zwischen den Proteinen und dem Altern aufzuklären, die Rolle von Umwelt- und Lebensstilfaktoren in die Studie mit einzubeziehen und die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf andere Populationen zu testen. Schließlich sollten die biologischen Mechanismen entschlüsselt werden, die hinter den Proteom-Alterssignaturen stehen, um daraus dann sinnvolle Interventionsmaßnahmen ableiten zu können.

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