Ohne Herstellerverantwortung mehr Verbraucherkosten |
Melanie Höhn |
08.07.2025 15:45 Uhr |
Jutta Paulus, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Die Grünen/EVA im Europäischen Parlament. / © Imago/Future Image
Mit der überarbeiteten Kommunalabwasserrichtlinie (KARL) wurde nicht nur die Einführung einer vierten Reinigungsstufe in kommunalen Kläranlagen zur Entfernung von Spurenstoffen wie Arzneimittelrückständen beschlossen, sondern auch die erweiterte Herstellerverantwortung. Das bedeutet: Die Pharma- und Kosmetikhersteller sollen sich gemäß des Verursacherprinzips zu mindestens 80 Prozent an den Kosten der neuen Klärstufe beteiligen. Bisher wurde die EU-Richtlinie allerdings noch nicht in deutsches Recht umgesetzt.
Die pharmazeutische Industrie zeigt sich alarmiert über neue Auflagen aus Brüssel. Branchenvertreter warnen vor drastischen Folgen: Produktionsverlagerungen ins Ausland und spürbare Preissteigerungen bei Medikamenten könnten die Konsequenz sein. Generikahersteller erwägen sogar, Metformin-haltige Präparate vom Markt zu nehmen, wie der »Spiegel« berichtete. Nun hat die EU-Kommission angekündigt, das umstrittene Vorhaben noch einmal zu prüfen.
Darüber was passiert, wenn die Hersteller ihre Arzneimittelpreise durch die finanzielle Belastung erhöhen müssen, hat Jutta Paulus, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Die Grünen/EVA im Europäischen Parlament, mit dem GKV-Spitzenverband gesprochen: »Der Verband würde dann die Festbeträge anpassen. Das bedeutet, wenn beispielweise Metformin entsprechend teurer wird, würde natürlich auch der GKV-Spitzenverband den Erstattungsbetrag hochsetzen«, sagte sie heute in einem Pressegespräch.
Für die Politikerin ist klar: Wenn Pharma- und Kosmetikhersteller an den Kosten der vierten Reinigungsstufe beteiligt werden, würden die Kosten fairer verteilt, Anreize für umweltfreundlichere Produkte gesetzt und Bürgerinnen und Bürger sowie Kommunen entlastet. Hersteller von Plastikverpackungen würden schon seit Jahrzehnten in die Pflicht genommen, sich finanziell an der Sammlung und Entsorgung des Abfalls zu beteiligen, so die Grünen-Politikerin.
Wenn die EU-Kommission diese Regelung im Rahmen eines Omnibus-Verfahrens jedoch kippe, würden die Kosten für die neue Reinigungsstufe auf Kommunen und Verbraucherinnen und Verbraucher abgewälzt – »mit spürbaren Preissteigerungen für Haushalte und Gewerbe«, warnte Paulus.
Kommunale Abwasserentsorger bekommen durch die Abwasserrichtlinie viele neue Pflichten, wodurch die Gebühren steigen werden: »Die kommunalen Haushalte sind angespannt wie nie und wenn dann jetzt noch zusätzliche Investitionen in die Abwasserreinigung anstehen, dann das ein sehr großes Problem«, so die approbierte Apothekerin, die bereits seit 2019 Mitglied im Europäischen Parlament ist und im Jahr 2024 wiedergewählt wurde. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sei in Abhängigkeit der Anlagengröße im Entsorgungsgebiet mit einer Kostensteigerung der Abwassergebühren in zweistelliger Prozenthöhe zu rechnen. Diese Anhebung träfe alle Haushalte, auch finanziell Schwächere, Gewerbebetriebe und abwasserintensive Industrien und würde sich im Kontext der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten besonders negativ auswirken, so Paulus.
Thomas Abel, Geschäftsführer Abteilung Wasserwirtschaft, Verband kommunaler Unternehmen (VKU), bezeichnete die Herstellerverantwortung im Rahmen von KARL als »guten Kompromiss«. Seinen Berechnungen zufolge müssen in Deutschland durch die vierte Reinigungsstufe etwa 600 Kläranlagen ausgebaut und aufgerüstet werden. Einer Studie im Auftrag des VKU zufolge werden sich die Investitionen in den Ausbau und die jährlichen Betriebskosten für den Ausbau der vierten Reinigungsstufe in Deutschland auf eine Summe von fast 9 Milliarden Euro bis 2045 aufsummieren. Jede Diskussion, die die Umsetzung von KARL in Deutschland verzögere, »schafft unglaubliche Unsicherheit«, so Abel. »Es sind erhebliche Investitionen, die auf die kommunalen Abwasserentsorge zukommen. Solange wir diese Unsicherheit im System lassen, wird das eben gestoppt«.
Jeder, der ein Arzneimittel im Binnenmarkt in den Verkehr bringe, müsse zahlen – auch wenn in China oder Indien produziert werde, forderte Abel. Der Geschäftsführer befürwortete auch, dass noch mehr Sparten in die finanzielle Verantwortung gezogen werden, »wenn sie entsprechend verantwortlich« sind. »Aber auch das ist in der KARL-Richtlinie angelegt. Es gibt eine regelmäßige Überprüfung alle paar Jahre. Deswegen muss man das ganze Verfahren jetzt nicht anhalten und diese Unsicherheit in die Umsetzung hineinbringen. Es gehört zum normalen Prozess, dass das regelmäßig überprüft wird«, erklärte er weiter.
Für Bernd Fuchs, Erster Werkleiter der Münchner Stadtentwässerung, ist Planungs- und Investitionssicherheit ein »ganz wichtiges Gut«, um eine hohe Wasserqualität auch weiterhin sicherstellen zu können, erklärte er im Rahmen des Pressegesprächs. »Nur dann können wir fristgerecht die Investitionen anschieben und auch die Fristen der kommunalen Abwasserrichtlinie und deren Umsetzung einhalten. Die aktuelle Diskussion auf EU-Ebene störe an der Stelle, »weil wir wollen ja loslegen und planen«, sagte er.
Auch Bernd Düsterdiek, Beigeordneter für Städtebau, Vergabe, Umwelt- und Klimaschutz beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), bezeichnete es als einen »Rückfall«, wenn die EU »auf den letzten Metern noch zurückweichen würde. »Die Planungen laufen auf Hochtouren und die Kommunen, die Städte und Gemeinden mit ihren kommunalen Abwasserbetrieben sind Garanten für eine saubere Umwelt in diesem Bereich. Sie wollen planbar und eben auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger für eine kostengerechte Abwasserbehandlung auch in Zukunft sorgen.«