Ein Beispiel: Zwei Personen streiten sich und der eine knallt die Tür und verlässt den Raum. Wenn man Menschen danach befragt, wie sie diese Situation auf einer Skala von 1 (pure Harmonie) bis 10 (maximale Eskalation) bewerten, dann antworten diese meistens mit einem Wert zwischen 2 und 9.
»Für manche ist es völlig ok, den Raum zu verlassen, um sich abzureagieren und ruhiger zu werden, und für andere ist es fast gleichbedeutend mit einem finalen Kontaktabbruch«, erläutert der Wissenschaftler. Die Konsequenz: »Wenn eine 2 den Raum verlässt und hat eine 9 sitzen lassen und kommt nach 20 Minuten zurück und fragt: 'Was wollen wir denn heute essen?' Dann ist die 9 natürlich völlig irritiert.«
Grundsätzlich gehe es beim Streiten auch immer ums Ausbalancieren und darum, ob ich dem anderen Raum gebe, ihm zuhöre und versuche, ihn zu verstehen – oder ob ich mich selbst abgrenze und Position beziehe. »Beides ist wichtig. Und zwar abhängig von der Situation mal mehr das eine oder das andere«, sagt Boeser.
Dafür braucht es jedoch ein wohlwollendes Interesse gegenüber dem anderen und Zugewandtheit. Und vor allem: Freundlichkeit. »Sie kann magische Wirkung haben, tut uns gut und verwandelt Beziehungen«, sagt die Autorin. Wer zudem die »Königsdisziplin der Freundlichkeit« beherrscht, das Zuhören, hat gute Chancen, dass ein Streit nicht eskaliert, sondern sich der andere ernster genommen und besser verstanden fühlt.
Und noch etwas ist wichtig: »Wir brauchen eine Fehlertoleranz dem anderen und auch uns selbst gegenüber«, so Boeser. Sprich: Mit gewisser Großzügigkeit mit Fehlern umgehen. »Sonst reicht es schon, dass einer nur die Augenbraue hochzieht – und der andere ist direkt sauer.«
Und es gibt natürlich auch absolute No-Gos, sagt der Forscher: »Wenn ich den anderen als Feind betrachte, den es zu vernichten gilt, ist etwas schiefgelaufen in der Kommunikation. Dann gibt es ganz typische Teufelskreisläufe, dass sich etwas immer weiter hochschaukelt und eskaliert.« Voraussetzung, um gut streiten zu können, sei seiner Ansicht nach eines: Wertschätzung. Jeder verdiene Respekt.
Dabei kann und sollte man auch auf sich schauen, wenn nötig auch kritisch: »Wichtig ist, dass man gesprächsfähig bleibt und versucht, dem anderen deutlich zu machen, warum ist mir das wichtig. Und sich gleichzeitig dafür interessiert, warum manches für den anderen nicht von Bedeutung ist«, so der Streitforscher.
Denn scheinbare Belanglosigkeiten wie die legendäre Zahnpastatube oder mal ein kleines Zuspätkommen, sind nicht die eigentlichen Ursachen für den Streit, sondern nur der Auslöser, ein Symbol für andere Probleme. Meistens gehe es dabei eher um die Frage: Respektierst du mich und meine Bedürfnisse? Und oft auch um Selbstbestimmung nach dem Motto: Glaubst du ernsthaft, du kannst mir vorschreiben, was ich zu tun habe?