Noch ein Faktor VIII |
Wenn kleine Kinder mobil werden, brauchen sie eine funktionierende Blutgerinnung. Patienten mit Hämophilie A müssen dann meist mit einer Faktor-VIII-Prophylaxe beginnen. / Foto: Getty Images/doble-b
Mit Turoctocog alfa pegol (Esperoct® 500 I.E., 1000 I.E., 1500 I.E., 2000 I.E. und 3000 I.E. Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung, Novo Nordisk) kam jetzt ein weiteres Faktor-VIII-Präparat auf den deutschen Markt. Es handelt sich um die pegylierte Variante des ebenfalls von Novo Nordisk hergestellten Turoctocog alfa (NovoEight®), eines rekombinanten Blutgerinnungsfaktors VIII. Wie NovoEight darf Esperoct eingesetzt werden zur Behandlung und Prophylaxe von Blutungen bei Patienten mit angeborenem Faktor-VIII-Mangel (Hämophilie A). Im Gegensatz zu NovoEight ist aber Esperoct nur für Patienten ab zwölf Jahren zugelassen.
Esperoct wird individuell dosiert. Zur Prophylaxe beträgt die empfohlene Anfangsdosis 50 I.E. pro kg Körpergewicht alle vier Tage und die maximale Einzeldosis 75 I.E. pro kg Körpergewicht. Abhängig vom Faktor-VIII-Spiegel und der Blutungsneigung kann das Dosierintervall verlängert werden; in Studien wurde unter anderem eine einmal wöchentliche Gabe getestet. Verglichen mit nicht modifizierten Faktor-VIII-Präparaten hat Esperoct durch die Pegylierung eine um den Faktor 1,6 verlängerte Halbwertszeit.
Die prophylaktische Wirkung von Esperoct wurde in einer Studie an 175 Patienten mit schwerer Hämophilie A gezeigt. Die geschätzte annualisierte Blutungsrate (ABR) für alle Blutungen (einschließliche traumatische und spontane Blutungen sowie Gelenkblutungen) lag bei 3,70. Bei 70 Patienten (40 Prozent) traten keine Blutungen auf. Bei der Behandlung von Blutungsepisoden betrug die Gesamterfolgsrate 87,7 Prozent. 94,4 Prozent aller Blutungen konnten mit 1 bis 2 Injektionen von Esperoct gestoppt werden.
Häufige Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Injektionsstelle sowie Ausschlag, Erythem und Juckreiz. Gelegentlich kam es zu Überempfindlichkeitsreaktionen. Ein 18-jähriger, vorbehandelter Patient entwickelte unter Esperoct-Prophylaxe Hemmkörper, also neutralisierende Antikörper gegen Faktor VIII. Laut Fachinformation gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass das Risiko der Hemmkörper-Bildung unter Esperoct höher ist als bei Anwendung anderer Faktor-VIII-Präparate.
Da Hämophilie A eine X-chromosomal-rezessiv vererbte Erkrankung ist, gibt es nahezu keine weiblichen Patienten. Die Frage nach der Sicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit stellt sich somit nicht.
Esperoct ist in der Originalverpackung bei 2 bis 8 °C im Kühlschrank aufzubewahren. Es kann einmalig für bis zu zwölf Monate bei Raumtemperatur (bis zu 30 °C) gelagert werden. Die rekonstituierte Lösung muss klar und farblos sein und sollte sofort, jedoch spätestens nach vier Stunden bei Lagerung bei Raumtemperatur beziehungsweise spätestens nach 24 Stunden bei Kühlschranklagerung, verwendet werden.
Im Vergleich zu Turoctocog alfa hat die pegylierte Weiterentwicklung des Wirkstoffs ein verbessertes pharmakokinetisches Profil mit einer verlängerten Halbwertszeit. Das bietet die Möglichkeit, die Injektionsfrequenz unter Beibehaltung eines guten Blutungsschutzes individuell anzupassen. Gewiss ist das ein Vorteil, aber bei Weitem kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Neben dem ersten Hämophilie-A-Antikörper Emicizuamb kam in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer, verbesserter Hämophilie-A-Medikamente auf den Markt. Der Innovationsgrad von Turoctocog alfa pegol ist daher nicht allzu groß und Esperoct® bei den Analogpräparaten einzustufen.
Sven Siebenand, Chefredakteur