Nitrosamine, kaputte Pens und verklebte Flaschen |
Daniela Hüttemann |
26.09.2025 16:20 Uhr |
Es lässt sich kaum beziffern, wie viel Schaden die AMK dank der meldenden Apotheken von Patienten seit ihrer Gründung 1975 abwenden konnte. AMK-Vorsitzender Professor Dr. Martin Schulz gab einen Rückblick mit einigen Highlights und Kuriositäten der vergangenen 50 Jahre. / © PZ/Daniela Hüttemann
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker wurde vom Berufsstand am 26. August 1975 in Frankfurt am Main gegründet – mit dem Ziel, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen. Bereits im ersten Jahr gingen 691 Meldungen zu potenziellen Arzneimittelrisiken aus den deutschen Apotheken ein. 2024 waren es knapp 11.000 – und der AMK-Vorsitzende Professor Dr. Martin Schulz geht immer noch von einem großen Underreporting aus, vor allem bei Medikationsfehlern.
»Denken Sie nie, dass Patienten das mit ihrem Arzneimittel tun, was Sie denken, was sie damit tun!«, riet er den Gästen der Jubiläumsfeier am gestrigen Donnerstag in der Hörsaalruine der Berliner Charité. Zum Beispiel kleben sie sich statt des transparenten Wirkstoffpflasters beim Präparat Estramon conti® das hautfarbene Trocknungsmittel auf die Haut (das geht!). Die AMK nimmt solche Hinweise auf, wirkt auf den Hersteller für eine klarere Kennzeichnung ein und bittet die Apotheken, bei der Abgabe entsprechend zu beraten (so geschehen 2019).
Ob brüchige Tabletten, verbogene Kanülen oder verwirrende Bezeichnungen: Oft sind es die Apotheken, die Qualitäts- und Kennzeichnungsmängel feststellen. Jede einzelne Meldung sei wichtig und helfe, Schaden von den Patientinnen und Patienten abzuwenden, betonte Schulz, ob vermutete Nebenwirkung, ein Qualitätsmangel oder Anwendungsfehler. Der erste gemeldete Fall war übrigens die Meldung zu einem Schwangerschaftstest, bei dem die Gebrauchsanweisung fehlte.
Die AMK sichtet alle eingegangenen Meldungen sorgfältig, fragt gegebenenfalls bei der meldenden Apotheke nach, fasst ähnliche Meldungen zusammen, konfrontiert den Hersteller damit oder beauftragt das Zentrallabor der Deutschen Apotheker (ZL) mit einer Untersuchung. Anschließend gibt die AMK die Informationen an das Bundesinstitut für Arzneimittelbehörden (BfArM) und internationale Behörden weiter – und natürlich auch an die Apothekerschaft.
In der ersten AMK-Nachricht vom 1. April 1976 wurde in der PZ vor unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Aminophenazon-haltigen Arzneimitteln gewarnt, wenn sie im Magen auf Nitrit treffen, da kanzerogene Nitrosamine entstehen könnten. Ausgerechnet Nitrosamine waren es dann auch 2018 im sogenannten »Valsartan-Skandal«, bei dem die AMK ihre Stärken ausspielte. »Das war eines der größten Dinge, die wir je gemanagt haben: Etwa 900.000 Patientinnen und Patienten waren betroffen. Wir haben Rückrufe gemacht, die Apotheken haben die Patientinnen und Patienten umgestellt und es ist nichts Größeres passiert. Das System hat funktioniert und seine Resilienz gezeigt.«
Daneben ist die AMK auch bei der Erstellung medizinischer Leitlinien beteiligt, hat einen Leitfaden zum Umgang bei Verdacht auf Arzneimittelmissbrauch und die Handlungsempfehlungen zur »Pille danach« mit erstellt und während der Coronapandemie die Äquivalenz-Dosis-Tabellen entwickelt. Sie wirkt zudem in den Sachverständigenausschüssen zur Apotheken- und Verschreibungspflicht und im Beirat zu Lieferengpässen am BfArM mit und hat noch weitere Aufgaben.
Professor Dr. Martin Schulz ist Vorsitzender der AMK; Dr. André Said leitet die Geschäftsstelle in Berlin. / © PZ/Daniela Hüttemann
Neben Evergreens wie den Nitrosaminen oder Fälschungen von Schlankheitsmitteln gebe es auch immer wieder Neues: Ob zuletzt die massenhafte Meldung von verklebten Metamizol-Tropfen, ein Lieferengpass durch einen neuen Trend zum Missbrauch von Tropicamid-Augentropfen oder Anleitungen zur Manipulation von Mounjaro® KwikPens auf Tiktok. Zu letzterem stehe die AMK immer noch im Schriftwechsel mit dem Hersteller. Denn neben den vier deklarierten und gut zu entnehmenden Dosen bleibt eine Restmenge im Pen. Da das teure Medikament meist aus eigener Tasche gezahlt werden muss, versuchen findige Patienten, mithilfe von Internetanleitungen eine fünfte Dosis zu entnehmen – und beschweren sich mitunter in den Apotheken, wenn es nicht gelingt.
Der AMK sei bewusst, dass Apotheken noch viel mehr Dinge im Alltag detektierten, aber aus Zeit- und Personalmangel nicht melden würden. Schulz warb dafür, sich die Zeit zu nehmen und dankte allen meldenden Apotheken, den Referenzapotheken und natürlich auch den Mitgliedern der AMK-Geschäftsstelle. Zugleich wünscht er sich mehr Öffentlichkeit dafür, wie viel die Apotheken vor Ort täglich im Hintergrund für die Arzneimittelsicherheit leisten.
BfArM-Vizepräsident Professor Dr. Werner Knöss / © PZ/Daniela Hüttemann
»Wir brauchen die Expertise der AMK«, betonte so auch der BfArM-Vizepräsident Professor Dr. Werner Knöss in einem Grußwort. Jährlich gingen rund 1700 Spontanmeldungen von der AMK ans BfArM. »Wir schätzen die hohe Qualität dieser Meldungen und danken allen, die daran mitwirken – nicht nur denen, die in den Gremien sitzen, denn dahinter steht eine Vielzahl von Apothekerinnen und Apothekern.«
»Ein halbes Jahrhundert im Dienst der Arzneimitteltherapiesicherheit – das ist nicht nur ein runder Geburtstag, das ist ein Meilenstein«, sagte ABDA-Präsident Thomas Preis. Durch ihren wissenschaftlichen Ansatz wirke die AMK weit über die Standesgrenzen hinaus und trage entscheidend dazu bei, dass die Arzneimittelversorgung in Deutschland zu den sichersten der Welt gehört. »Die AMK ist ein Symbol für das, was unseren Berufsstand ausmacht: wissenschaftliche Kompetenz, Verantwortung für die Patientinnen und Patienten und gelebte Arzneimitteltherapiesicherheit.«
An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben Schulz und Knöss noch Dr. Georg Kippels, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, und Dr. Armin Hoffmann, Präsident der Bundesapothekerkammer, teil.