Neues zur Entstehung der Mikrobiota |
Carolin Lang |
26.06.2024 18:00 Uhr |
Dass auch Väter frühzeitig Haut-Haut-Kontakt mit ihrem neugeborenen Baby haben sollten, bekräftigt eine aktuelle Studie. / Foto: Getty Images/FatCamera
Ein Mensch beherbergt mehr Mikroben, als er eigene Körperzellen hat – sei es etwa auf der Haut, in der Mundhöhle oder im Darm. Die Gesamtheit dieser Bakterien, Viren und Pilze nennt sich Mikrobiota, die Gesamtheit ihrer Gene Mikrobiom. Mit ihren vielfältigen Funktionen ist die Mikrobiota essenziell für die Gesundheit. Im Darm etwa ist sie an der Verdauung oder an der Immun- und Infektabwehr beteiligt, eine intestinale Dysbiose wird mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Feten allerdings haben noch keine eigene Mikrobiota, was sich mit dem Tag der Geburt ändert. Nach und nach werden Mikroben auf die Neugeborenen übertragen. Dies geschieht bei einer vaginalen Geburt bereits, während das Kind den Geburtskanal der Mutter passiert. Frühere Studien zeigen, dass Mütter einen Großteil der Stammzusammensetzung der Darmmikrobiota ihres Säuglings während des ersten Lebensjahres prägen. Ein Kaiserschnitt oder eine Antibiotikagabe während der Geburt können diese Übertragung der Mikroben von der Mutter auf das Kind stören.
Eine Arbeitsgruppe um Erstautor Léonard Dubois von der Universität Trient, Italien, hat nun mittels Metagenomanalyse untersucht, inwiefern auch der Vater die Besiedlung des kindlichen Darms während des ersten Lebensjahres nach einer vaginalen Geburt oder nach einem Kaiserschnitt beeinflusst. Die Analyse bezog Stuhlproben von 74 Kindern (53 vaginal und 21 per Kaiserschnitt entbunden) jeweils im Alter von drei Wochen sowie drei, sechs beziehungsweise zwölf Monaten sowie von ihren Eltern ein.
Das Team stellte fest, dass der Vater unabhängig von der Entbindungsart einen stabilen Beitrag zur Etablierung der Darmmikrobiota seines Kindes leistet, wobei dieser nach einem Jahr in Summe mit dem der Mutter vergleichbar war. »Auch zeigt die Forschungsgruppe, dass die Transmission von der Mutter auf das Kind im Vergleich zur Übertragung von dem Vater auf das Kind nur in den ersten sechs Monaten höher ist – und das auch nur nach vaginaler Geburt, nicht nach einem Kaiserschnitt«, erläutert Professor Dr. Mathias Hornef, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Uniklinik RWTH Aachen, die Studienergebnisse gegenüber dem Science Media Center.
»Während in den ersten Wochen die mikrobielle Übertragung eher mütterliche Bakterien beinhaltet, entspricht im Alter von zwölf Monaten des Kindes der väterliche Beitrag in der Summe dem mütterlichen Beitrag. Im Vergleich zu den wenigen Vorstudien mit unterschiedlichen Aussagen zum väterlichen Einfluss ist dies die erste Studie mit größerer Fallzahl, die doch eine klarere Sprache spricht«, ordnet Professor Dr. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Würzburg, ein.
Die Forschenden fanden darüber hinaus nur wenige Überschneidungen zwischen den von beiden Elternteilen erworbenen Mikroben-Stämmen. »Das väterliche Mikrobiom ist also ein komplementärer Faktor für die Mikrobiom-Entwicklung des Kindes, eine zentrale Erkenntnis, die das intuitiv richtige Ansinnen unterstützt, dass auch die Väter frühzeitig Haut-Haut-Kontakt mit ihrem neugeborenen Baby haben sollten – ein ‚Pro‘ für Elternzeit der Väter bereits im Säuglingsalter«, so Härtel weiter. Abzuwarten bleibe, ob dieser Beitrag zum frühen Mikrobiom schützend für die Langzeitentwicklung des Kindes ist.
Bei sieben Mutter-Kind-Paaren hat das Forschungsteam außerdem den Einfluss einer mütterlichen fäkalen Mikrobiota-Transplantation (FMT) nach einem Kaiserschnitt untersucht. Dabei erhält das Neugeborene einmalig mit der Muttermilch gereinigte Darmmikroben der Mutter, was die Entwicklung eines diversen Darmmikrobioms fördern soll.
Die Forschenden berichten, dass die FMT das durch den Kaiserschnitt gestörte mütterliche Seeding kompensieren konnte, was eine Proof-of-Concept-Studie aus dem Jahr 2020 bereits suggeriert hatte. Damals wurde das Mikrobiom der Babys bis drei Monate nach der Geburt ausgewertet, in der aktuellen Studie waren es zwölf Monate. Das Team konnte nun zeigen, dass das Verfahren über diesen Zeitraum zu einem erhöhten mikrobiellen Artenreichtum und einer geringeren Besiedlung mit pathogenen Keimen führte, räumt jedoch ein, dass die kleine Kohorte die Aussagekraft der Studie limitiere.
Durch die geringe Fallzahl könnten keine Aussagen darüber getroffen werden, ob die mikrobiellen Unterschiede wirklich eine Bedeutung für die Gesundheit haben, meint auch Härtel. Und weiter: »Dies betrifft auch die unzureichende Aussagekraft über Sicherheitsaspekte – wie eine eventuelle Keimübertagung – des FMT, die in einem größeren Kontext – idealerweise an mehreren Studienstandorten – untersucht werden sollten.«
In einer zweiten Studie analysierte eine Forschungsgruppe um Erstautorin Dr. Marta Selma-Royo, ebenfalls von der Universität Trient, den Einfluss verschiedener Geburtsumgebungen und -Methoden auf die Entstehung des Darmmikrobioms bei Neugeborenen im ersten Lebensjahr. Sie untersuchte die mütterliche Übertragung der Mikrobiota im Krankenhaus geborener (vaginal oder per Kaiserschnitt) und zu Hause geborener (vaginal) Säuglinge bei 34 Mutter-Kind-Paaren.
Die Gruppe kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Geburtsort auf den Zeitpunkt der Transmission auswirkt – bei Hausgeburten ist er früher. Der Einfluss des Entbindungsortes auf das Mikrobiom war auch nach sechs Monaten noch signifikant, während dies bei der Geburtsmethode nicht mehr der Fall war.
»Wie erwartet zeigen Kinder nach Hausgeburt eine deutlich frühere Akquise von mütterlichen Bakterienstämmen als im Krankenhaus geborene Kinder. Die Unterschiede sind auch noch nach sechs Monaten nachweisbar«, kommentiert Härtel. Es blieben allerdings Fragen offen: »Sind die Mikrobiomunterschiede bei Hausgeburt-Kindern durch die Hausgeburt bedingt, oder sind eigentlich andere Faktoren wie der Lebensstil – die mit der mütterlichen Entscheidung zur Hausgeburt einhergehen – die entscheidenden Einflüsse für das kindliche Mikrobiom? Unter anderem stillen Mütter von Hausgeburt-Kindern länger als Mütter, die im Krankenhaus geboren haben.«