Neues zu Amitriptylin beim Reizdarmsyndrom |
| Laura Rudolph |
| 18.10.2023 17:00 Uhr |
Typische Symptome eines Reizdarmsyndroms umfassen etwa anhaltende Bauchschmerzen, Krämpfe und Durchfall oder Verstopfung. / Foto: Getty Images/Rattankun Thongbun
Schätzungsweise zwölf Millionen Menschen in Deutschland leiden am Reizdarm-Syndrom (RDS). Neben Empfehlungen zu Ernährungsumstellung, Probiotika, Pfefferminzöl und gegebenenfalls psychotherapeutischen Verfahren findet sich in der S3-Leitlinie »Reizdarmsyndrom« auch niedrig dosiertes Amitriptylin wieder. Dieses ist zwar nicht zur Therapie des RDS, aber zur Therapie chronischer Schmerzen im Rahmen eines Gesamttherapiekonzepts zugelassen.
Frühere, kleinere Studien legten bereits einen möglichen Nutzen von niedrig dosierten trizyklischen Antidepressiva bei im Krankenhaus behandelten RDS-Patienten nahe. Nun haben Forschende um Professor Dr. Alexander Ford vom Universitätsklinikum in Leeds, England, erstmals untersucht, wie niedrig dosiertes Amitriptylin als Zweitlinientherapeutikum die Gesamtsymptomatik des RDS in der rein hausärztlichen Versorgung beeinflusst.
Die Ergebnisse der randomisierten, placebokontrollierten ATLANTIS-Studie sind kürzlich im Fachjournal »The Lancet« erschienen. Demnach berichteten die Studienteilnehmenden, die Amitriptylin erhielten, fast doppelt so häufig über eine Gesamtbesserung ihrer Symptome als diejenigen, die Placebo erhielten.
An der Studie nahmen 463 erwachsene Patientinnen und Patienten (315 weiblich, 148 männlich) aus 55 Hausarztpraxen in England teil, die trotz Ernährungsumstellung und Erstlinientherapien anhaltende RDS-Symptome aufwiesen. Auf der RDS-Schweregrad-Skala »IBS-SSS«, die etwa Schmerzen, Veränderungen im Stuhlgang oder Blähungen berücksichtigt, wiesen die Teilnehmenden im Durchschnitt 273 von 500 Punkten auf. Je höher die Punktzahl, desto ausgeprägter die Reizdarm-Symptome.
Sie wurden per Zufallsprinzip einer Verum- oder Kontrollgruppe zugeordnet und starteten mit einer Tablette pro Tag (entsprechend 10 mg Amitriptylin oder Placebo) und erhielten die Anweisung, die Dosis bei Bedarf eigenständig schrittweise über drei Wochen auf bis zu drei Tabletten täglich zu steigern (entsprechend 30 mg Amitriptylin oder Placebo). Bei der Dosistitration unterstütze sie medizinisches Fachpersonal sowie ein Dokument zur Dosisanpassung.
Während der sechsmonatigen Studiendauer gaben die Teilnehmenden wöchentlich an, ob die Therapie ihre Reizdarmsymptome ausreichend linderte. Zu Studienbeginn sowie nach drei, sechs und zwölf Monaten füllten sie zudem einen ausführlicheren Fragebogen zu ihrem Gesundheitszustand aus.
Der primäre Endpunkt der Studie war die Veränderung des IBS-SSS-Scores nach sechs Monaten. Bei den Teilnehmenden der Amitriptylin-Gruppe reduzierte sich der Wert um durchschnittlich 27,0 Punkte mehr als bei Teilnehmenden der Placebo-Gruppe. Da die Angst- und Depressionswerte über die Studiendauer unverändert blieben, vermuten die Forschenden, dass die positiven Effekte von Amitriptylin über den Darm und nicht über seine antidepressive Wirkung erfolgten.
»Amitriptylin ist eine wirksame Behandlung für das Reizdarmsyndrom und ist sicher und gut verträglich. Diese neue Studie zeigt, dass Hausärzte Patienten in der Primärversorgung dabei unterstützen sollten, niedrig dosiertes Amitriptylin auszuprobieren, wenn sich ihre IBS-Symptome mit den empfohlenen Erstlinienbehandlungen nicht gebessert haben«, kommentiert Erstautor Ford in einer Pressemitteilung.