Neues Signalmolekül PACAP im Visier |
Kerstin A. Gräfe |
10.09.2024 16:00 Uhr |
Die Zahl der Migränetage pro Monat zu reduzieren, ist das Ziel der Prophylaxe. Ein neuer PACAP-Hemmer war darin ungefähr so erfolgreich wie Anti-CGRP-Antikörper. / Foto: Getty Images/Doug Armand
An Migräne leiden etwa eine Milliarde Menschen weltweit und die Erkrankung verursacht mehr Lebensjahre mit Beeinträchtigungen als alle anderen neurologischen Erkrankungen zusammen. Der Prophylaxe kommt daher eine große Bedeutung zu. Neben Wirkstoffen wie Propranolol und Topiramat stehen monoklonale Antikörper und Rezeptorantagonisten (Gepante) zur Verfügung, die auf das Neuropeptid CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) abzielen.
Allerdings hätten 40 bis 70 Prozent der Migränepatienten keinen ausreichenden Nutzen (definiert als eine mindestens 50-prozentige Verringerung der Anzahl von Migränetagen pro Monat) von den CGRP-gerichteten Medikamenten, schreiben Forschende um Professor Dr. Messoud Ashina von der Universität Kopenhagen im Fachjournal »The New England Journal of Medicine«. Dies unterstreiche den dringenden Bedarf an Optionen mit neuen Targets.
Vielversprechend in diesem Zusammenhang ist das Signalmolekül PACAP (Pituitary Adenylate Cyclase-activating Peptide), das wie CGRP an der Pathophysiologie der Migräne beteiligt ist. Ähnlich wie bei CGRP konnte in Studien gezeigt werden, dass eine intravenöse Infusion von PACAP bei Migränepatienten Anfälle auslöst. Somit liegt die Vermutung nahe, dass eine Hemmung der PACAP-Signalübertragung ein wirksamer neuer Ansatz zur Migräneprävention ist.
Einen Beleg für diese Hypothese lieferte kürzlich die Phase-IIa-Studie HOPE mit dem PACAP-Inhibitor Lu AG09222 der Firma Lundbeck. Der experimentelle Wirkstoffkandidat ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an beide Isoformen von PACAP bindet und deren rezeptorvermittelte Signalübertragung hemmt.
An der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie nahmen 237 Erwachsene teil, bei denen zwei bis vier vorangegangene präventive Migränebehandlungen fehlgeschlagen waren. Das Durchschnittsalter betrug 42,5 Jahre, 88 Prozent der Teilnehmenden waren Frauen. Die Patienten litten zu Studienbeginn an durchschnittlich 16,7 Migränetagen pro Monat, die während einer vierwöchigen Einführungsphase mit einem Kopfschmerztagebuch dokumentiert wurden.
Sie erhielten entweder eine einmalige Infusion mit 750 mg Lu AG09222, 100 mg Lu AG09222 oder Placebo. Der primäre Endpunkt war die mittlere Veränderung der Anzahl der monatlichen Migränetage in den Wochen 1 bis 4 in der 750-mg-Gruppe von Lu AG09222 im Vergleich zur Placebogruppe. Die 100-mg-Gruppe diente lediglich zu Sondierungszwecken.
Die Infusion des Antikörpers verringerte die Anzahl der Migränetage pro Monat um 6,2 Tage, verglichen mit 4,2 Tagen unter Placebo. Zudem erreichten in der Verumgruppe mehr Patienten eine mindestens 50-prozentige Verringerung der Anzahl der Migränetage pro Monat als in der Placebogruppe (32 versus 27 Prozent).
Als häufigste Nebenwirkungen traten während der zwölfwöchigen Beobachtungszeit Nasopharyngitis und Müdigkeit auf. Insgesamt waren die meisten unerwünschten Wirkungen leicht ausgeprägt. Bei 11 Prozent der Patienten in den Verumgruppen traten Antikörper gegen Lu AG09222 auf.
Die Hemmung der PACAP-Signalübertragung durch Lu AG09222 stelle einen neuen und potenziell wirksamen Mechanismus zur Migräneprävention dar, resümieren die Studienautoren. Sie verweisen aber auch auf Limitationen der Studie: Dies sei lediglich eine Machbarkeitsstudie mit wenigen Teilnehmenden und kurzer Nachbeobachtung. Zudem seien Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgeschlossen gewesen. Größere Studien müssten folgen.
In einem begleitenden Kommentar ordnet Professor Dr. Elizabeth Loder, Neurologin am Brigham and Women’s Hospital in Boston, die Ergebnisse der HOPE-Studie ein. Der beobachtete Unterschied von zwei Migränetagen pro Monat sei vergleichbar mit Ergebnissen aus Studien mit CGRP-Antikörpern und geringer als der Unterschied mit etablierten, nicht antikörperbasierten Migränepräventionsbehandlungen wie Onabotulinumtoxin A oder Topiramat.
Auch wenn der Unterschied geringer als erhofft ausfiel, sei es eine gute Nachricht, dass ein weiterer potenzieller Angriffspunkt für Migräne identifiziert wurde und sich als behandelbar erwiesen habe. Antikörper hätten den Vorteil, dass sie in der Regel schnell und langanhaltend wirken und keine Wechselwirkungen haben. Künftige Studien würden subkutane Formulierungen des PACAP-Antikörpers untersuchen, die vom Patienten selbst verabreicht werden und praktischer seien als Infusionen.