Neues Medikament bei Eierstockkrebs verfügbar |
Kerstin A. Gräfe |
08.01.2025 07:00 Uhr |
Bei Verdacht auf Eierstockkrebs wird unter anderem ein Ultraschall über den Bauch gemacht. Endgültig gesichert wird die Diagnose und das Tumorstadium in der Regel aber erst bei einer Operation. / © Getty Images/ PonyWang
Eierstockkrebs ist nach Brustkrebs die zweithäufigste tödliche gynäkologische Krebserkrankung. Oft verläuft sie lange Zeit symptomfrei. Ovarialkarzinome werden deshalb meist erst in einem fortgeschrittenen Tumorstadium diagnostiziert, was mit einer schlechten Prognose einhergeht. Als Erstlinientherapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms wird in der Regel eine Operation durchgeführt, an die sich eine platinhaltige Chemotherapie anschließt. Bei einem Großteil der Patientinnen rezidiviert die Erkrankung jedoch und häufig entwickeln die Betroffenen im Verlauf Resistenzen gegenüber platinbasierten Chemotherapien. Bislang standen für das platinresistente Ovarialkarzinom nur begrenzt wirksame Behandlungsoptionen zur Verfügung.
Für betroffene Frauen ist mit Mirvetuximab Soravtansin (Elahere® 5 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Abbvie) seit Dezember eine neue Therapie verfügbar. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat wird als Monotherapie zur Behandlung von Folatrezeptor-alpha-(FRα-)positivem, platinresistentem, hochgradigem, serösem, epithelialem Ovarial-, Tuben- oder primärem Peritonealkarzinom angewendet. Voraussetzung ist, dass die Patientinnen zuvor eine bis drei systemische Behandlungslinien erhalten haben.
Der Antikörperteil des Konjugats – Mirvetuximab – ist ein technisch hergestelltes IgG1, das gegen FRα gerichtet ist. FRα wird von etwa 35 Prozent der in der Indikation genannten Krebsarten überexprimiert. Wirkstoff ist der potente Tubulin-Inhibitor DM4, der über einen Linker an den Antikörper gebunden ist. Nach Bindung an FRα wird das Konjugat in die Zelle internalisiert, wo durch proteolytische Spaltung das Zellgift freigesetzt wird. Der Mitosehemmer unterbricht das Mikrotubuli-Netzwerk, was zu einem Stillstand des Zellzyklus und zum apoptotischen Zelltod führt.
Die empfohlene Dosis beträgt 6 mg/kg angepasstes Idealkörpergewicht (Adjusted Ideal Body Weight, AIBW) einmal alle drei Wochen (21-Tage-Zyklus) als intravenöse Infusion bis zur Progression der Erkrankung oder bis zum Auftreten einer inakzeptablen Toxizität. Eine auf dem AIBW basierende Dosierung reduziert die Expositionsvariabilität bei Patientinnen, die entweder unter- oder übergewichtig sind.
Die Fachinformation enthält detaillierte Angaben zu Dosisanpassungen, die aufgrund von Nebenwirkungen vorzunehmen sind. Keine Anpassung der Dosis ist bei Vorliegen einer leichten bis mittelschweren Niereninsuffizienz und leichten Leberinsuffizienz erforderlich. Bei Patientinnen mit mittelschwerer bis schwerer Leberinsuffizienz ist eine Therapie mit Mirvetuximab Soravtansin zu vermeiden.
Die Patientinnen erhalten vor jeder Infusion eine Prämedikation bestehend aus einem Corticoid, einem Antihistaminikum, einem Antipyretikum und einem Antiemetikum, um Häufigkeit und Schwere von Infusionsreaktionen, Übelkeit und Erbrechen zu reduzieren.
Mirvetuximab Soravtansin kann wie andere Antikörper-Wirkstoff-Konjugate schwere Nebenwirkungen am Auge hervorrufen, darunter Sehverschlechterung (vorwiegend verschwommenes Sehen), Hornhauterkrankungen, trockenes Auge, Photophobie und Augenschmerzen. Die Patientinnen müssen daher vor Beginn der Therapie zur Augenuntersuchung. Ferner sind sie darauf hinzuweisen, vor jedem Zyklus alle neuen oder sich verschlechternden derartigen Symptome dem Arzt zu melden. Je nach Schwere der Befunde muss die Elahere-Dosis angepasst werden.
Während der Behandlung sollten benetzende Augentropfen angewendet werden. Bei Patientinnen, die Nebenwirkungen an der Hornhaut von mindestens Grad 2 entwickeln, wird für nachfolgende Zyklen mit dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat die Anwendung von topischen Steroiden am Auge empfohlen. Das Tragen von Kontaktlinsen sollte vermieden werden.
Eine weitere Nebenwirkung ist eine schwere, lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende interstitielle Lungenerkrankung, einschließlich Pneumonitis. Die Patientinnen sind auf pulmonale Anzeichen und Symptome zu überwachen. Bei Patientinnen, die eine anhaltende oder rezidivierende Pneumonitis vom Grad 2 entwickeln, muss die Behandlung ausgesetzt werden, bis die Symptome auf ≤ Grad 1 abgeklungen sind. Zudem ist eine Dosisreduktion in Betracht zu ziehen. Bei Patientinnen mit Pneumonitis von Grad 3 oder 4 ist das Medikament dauerhaft abzusetzen.
Zudem kann unter Mirvetuximab Soravtansin eine periphere Neuropathie auftreten. Die Patientinnen sind auf entsprechende Anzeichen wie Parästhesie, Kribbeln oder Brennen, neuropathische Schmerzen, Muskelschwäche oder Dysästhesie zu überwachen. Bei Patientinnen mit neu auftretender oder sich verschlechternder peripherer Neuropathie ist die Mirvetuximab-Soravtansin-Dosis je nach Schweregrad der peripheren Neuropathie auszusetzen, zu reduzieren oder dauerhaft abzusetzen
Hinsichtlich Wechselwirkungen ist zu bedenken, dass DM4 ein CYP3A4-Substrat ist. Die gleichzeitige Anwendung von Elahere mit starken CYP3A4-Inhibitoren kann die Exposition gegenüber unkonjugiertem DM4 und somit das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen. Lässt sich eine gleichzeitige Gabe mit starken CYP3A4-Inhibitoren nicht vermeiden, sind die Patientinnen engmaschig auf Nebenwirkungen zu überwachen. Umgekehrt können starke CYP3A4-Induktoren die Exposition gegenüber unkonjugiertem DM4 verringern.
Mirvetuximab Soravtansin enthält mit DM4 eine genotoxische Verbindung und kann bei Verabreichung an Schwangere zur Schädigung des Embryos/Fetus führen. Gebärfähige Patientinnen müssen deswegen während der Behandlung und für sieben Monate nach der letzten Anwendung eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Der Einsatz von Elahere bei Schwangeren wird nicht empfohlen und während der Behandlung mit dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat sowie für einen Monat nach der letzten Dosis darf nicht gestillt werden.
Die Zulassung basiert auf den Daten der offenen, randomisierten und kontrollierten Phase-III-Studie MIRASOL. Eingeschlossen waren 453 Frauen mit high-grade serösem, Platin-resistentem Ovarialkarzinom und hoher FRα-Expression, die bereits ein- bis dreifach vortherapiert waren. Sie erhielten randomisiert entweder eine Chemotherapie (Paclitaxel, pegyliertes liposomales Doxorubicin oder Topotecan) nach Wahl des Prüfarztes oder Elahere 6 mg/kg AIBW (n = 227) an Tag 1 eines jeden dreiwöchigen Zyklus. Primärer Endpunkt war das von den Prüfärzten beurteilte progressionsfreie Überleben (PFS).
Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten PFS-Vorteil für die Patientinnen im Mirvetuximab-Soravtansin-Behandlungsarm: Das Risiko für Tumorprogression oder Tod war verglichen mit dem unter einer Chemotherapie um 35 Prozent signifikant reduziert (Median 5,62 versus 3,98 Monate). Zudem verlängerte Elahere signifikant das Gesamtüberleben: Das Risiko zu versterben war in diesem Behandlungsarm um 33 Prozent verringert (Median 16,46 versus 12,75 Monate).
Die häufigsten Nebenwirkungen des neuen Medikaments sind verschwommenes Sehen, Übelkeit, Durchfall, Müdigkeit, Bauchschmerzen, Keratopathie, trockene Augen, Verstopfung, Erbrechen, verminderter Appetit, periphere Neuropathie, Kopfschmerzen, Asthenie, erhöhte Aspartat-Aminotransferase und Arthralgie.
Elahere ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C aufrecht zu lagern.
Seit vielen Jahren gibt es nun wieder ein neues Medikament für die Behandlung des platinresistenten Ovarialkarzinoms. Es kommt dann infrage, wenn der Tumor eine hohe Folatrezeptor-alpha-(FRα-)Expression aufweist. Immerhin circa ein Drittel der Frauen mit hochgradigem serösem Ovarialkarzinom zeigen eine solche hohe FRα-Expression. Für sie ist das neue Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Mirvetuximab Soravtansin als wirklicher Therapiefortschritt zu sehen.
Die vorläufige Einstufung als Sprunginnovation erfolgt nicht nur aufgrund der positiven Studienergebnisse, die einen signifikanten Vorteil beim progressionsfreien Überleben unter Mirvetuximab Soravtansin im Vergleich zu der vom Prüfarzt gewählten Chemotherapie zeigen. Der Neuling ist auch deswegen in diese Kategorie einzusortieren, da es überhaupt das erste Antikörper-Wirkstoff-Konjugat mit einem gegen FRα gerichteten Antikörper ist.
Das neue Medikament ist wirksam, erfordert aber auch eine intensive Beratung und Aufklärung über die Risiken der Therapie. So sollten Patientinnen wegen der möglichen okulären Toxizität vor Therapiebeginn und danach in regelmäßigen Abständen die Augen untersuchen lassen. Gesonderte Warnhinweise in der Fachinformation sind zudem zu den Themen Pneumonitis, periphere Neuropathie und embryofetale Toxizität zu finden.
Sven Siebenand, Chefredakteur