Neuer JAK-Hemmer bei kreisrundem Haarausfall |
Kerstin A. Gräfe |
01.11.2023 07:00 Uhr |
Unter Ritlecitinib wurden schwerwiegende Infektionen wie Appendizitis, Covid-19 (einschließlich Pneumonie) und Sepsis beobachtet. Die Patienten sind während und nach der Behandlung engmaschig auf Anzeichen und Symptome einer Infektion zu überwachen. Besondere Aufmerksamkeit gilt hier älteren Menschen und Diabetikern, da sie per se eine höhere Inzidenz für Infektionen haben. Die Behandlung sollte unterbrochen werden, wenn ein Patient eine schwerwiegende oder opportunistische Infektion entwickelt. Sie kann wieder aufgenommen werden, sobald die Infektion unter Kontrolle ist.
Vor Therapiebeginn sollten die Pateinten auf TB untersucht werden. Bei Patienten mit neu diagnostizierter latenter TB oder zuvor unbehandelter latenter TB sollte vor der Einleitung der Behandlung eine Anti-TB-Therapie begonnen werden. Letztere ist bei Patienten mit negativem Test auf latente TB, aber mit hohem TB-Risiko in Betracht zu ziehen. Für diese Patienten sollte während der Behandlung ein TB-Screening erwogen werden.
Zudem wird vor Behandlungsbeginn empfohlen, alle Immunisierungen in Übereinstimmung mit den geltenden Impfempfehlungen auf den aktuellen Stand zu bringen. Dies gilt auch für prophylaktische Herpes-zoster-Impfungen.
Ritlecitinib ist ein mäßig starker Inhibitor von CYP3A. Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Anwendung mit CYP3A-Substraten, bei denen mäßig starke Konzentrationsveränderungen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können. Empfehlungen zur Dosisanpassung für CYP3A-Substrate sollten beachtet werden. Gleiches gilt für CYP1A2-Substrate, da Ritlecitinib auch ein mäßig starker Inhibitor von CYP1A2 ist.
Bei jedem fünften Patienten beginnt der kreisrunde Haarausfall bereits vor dem 18. Lebensjahr. / Foto: Adobe Stock/sommersby
Die Zulassung basiert auf der placebokontrollierten Phase-IIb/III-Studie ALLEGRO, in der Ritlecitinib bei Patienten ab zwölf Jahren mit Alopecia areata mit 50 Prozent oder mehr Haarausfall auf der Kopfhaut, einschließlich Patienten mit Alopecia totalis (totaler Haarausfall auf der Kopfhaut) und Alopecia universalis (Haarausfall am ganzen Körper), untersucht wurde. Eingeschlossen waren insgesamt 718 Patienten. Als primärer Endpunkt war die Rate an Patienten definiert, die in Woche 24 einen SALT-Score (Severity of Alopecia Tool) von ≤ 10 erreichten. Das entspricht einer mindestens 90-prozentigen Bedeckung der Kopfhaut mit Haaren. Diesen erreichten 13,4 Prozent der Erwachsenen und Jugendlichen verglichen mit 1,5 Prozent unter Placebo.
Darüber hinaus wurde in dieser Studie als einer der sekundären Endpunkte das Ansprechen der Patienten (Patient Global Impression of Change, PGI-C) gemessen. In Woche 24 berichteten 49,2 Prozent der Teilnehmer über eine mäßige bis starke Verbesserung ihrer Alopecia areata im Vergleich zu 9,2 Prozent unter Placebo.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Durchfall, Akne, Infektionen der oberen Atemwege, Urtikaria, Hautausschlag, Follikulitis und Schwindel.
Ritlecitinib ist nicht der erste Januskinase-Hemmer zur systemischen Behandlung von Alopecia areata. Im vergangenen Jahr hat auch Baricitinib (Olumiant®) die Zulassungserweiterung in dieser Indikation erhalten. Dennoch kann Ritlecitinib vorläufig als Schrittinnovation bezeichnet werden. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens natürlich die gute Wirksamkeit in der zulassungsrelevanten Studie. Zweitens das zugelassene Anwendungsgebiet: Anders als Baricitinib darf Ritlecitinib schon ab einem Alter von zwölf Jahren zum Einsatz kommen. Das ist eine sehr gute Nachricht. Denn schätzungsweise 20 Prozent der Menschen mit Alopecia areata erhalten diese Diagnose vor dem 18. Lebensjahr; sie dürften besonders unter dieser sichtbaren Erkrankung leiden. Ein früher Therapiestart und -erfolg ist dank Ritlecitinib nun möglich. Drittens ist der neue Wirkstoff nicht nur ein Januskinase-Hemmer, sondern auch ein Hemmstoff von Enzymen aus der Familie der TEC-Kinasen. Auch TEC-vermittelte Signalwege sind offenbar an der Pathogenese der Alopecia areata beteiligt. Ob das auch zu einer besseren Wirksamkeit führt, kann man ohne einen direkten Vergleich mit Baricitinib aber nicht sagen. Abschließend sei erwähnt, dass Ritlecitinib derzeit auch bei anderen Erkrankungen, etwa Vitiligo, klinisch erprobt wird. Gut möglich also, dass man von diesem Wirkstoff auch zukünftig noch hören wird.
Sven Siebenand, Chefredakteur