Neue Therapieoption bei Lymphom |
Am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) erkranken vor allem ältere Menschen. Für bestimmte Patienten mit diffus großzelligem B-Zell-Lymphom, dem häufigsten NHL, gibt es jetzt eine neue Therapieoption. / Foto: Adobe Stock/GordonGrand
Das Non-Hodgkin-Lymphom ist mit jährlich etwa 18.400 Neuerkrankungen in Deutschland die häufigste bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems. Anders als das Hodgkin-Lymphom, vom dem vor allem junge Menschen betroffen sind, ist das Non-Hodgkin-Lymphom überwiegend eine Erkrankung des höheren Lebensalters: Frauen sind bei Diagnose im Mittel 72, Männer 70 Jahre alt. Von den verschiedenen Krebserkrankungen, die unter dem Dachbegriff »Non-Hodgkin-Lymphom« zusammengefasst werden, ist das diffus großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) mit rund 30 Prozent das häufigste.
Die Standardtherapie des DLBCL besteht aus der Chemoimmuntherapie R-CHOP (Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon), je nach Allgemeinzustand des Patienten über unterschiedlich viele Zyklen. Sie erzielt eine Heilungsrate von 60 bis 70 Prozent. Für diejenigen Patienten, die nicht darauf ansprechen oder bei denen der Tumor nach vorübergehendem Verschwinden schnell zurückkommt (refraktäres oder rezidiviertes DLBCL), kann eine Stammzelltransplantation eine Option darstellen. Kommen sie aufgrund ihres Alters oder Komorbiditäten hierfür nicht infrage, ist die Prognose schlecht.
Polatuzumab Vedotin ist eine neue Therapieoption für genau diese Patienten. Es ist zunächst ausschließlich zugelassen in Kombination mit dem Zytostatikum Bendamustin und dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab. Wie bei der Launch-Pressekonferenz von Roche in Berlin deutlich wurde, laufen aber bereits Studien, in denen Polivy auch mit anderen Kombinationspartnern und bei anderen Non-Hodgkin-Lymphomen getestet wird. Darunter sind auch Chemotherapie-freie Regimes.
Polivy besteht aus dem Anti-CD79b-Antikörper Polatuzumab, der über einen Peptid-Linker an den hoch potenten Mitosehemmstoff Monomethyl-Auristatin E (MMAE) gekoppelt ist. Dieses Spindelgift ist allein zu toxisch für eine systemische Anwendung. Die Bindung an einen Antikörper, der gegen ein Krebszell-spezifisches Oberflächenmerkmal gerichtet ist, reduziert jedoch die Toxizität, sodass MMAE auch im bereits zugelassenen Brentuximab Vedotin (Adcetris®) enthalten ist. Der Namenszusatz »Vedotin« steht für MMAE plus den Linker.
Polatuzumab Vedotin bindet spezifisch an CD79b auf B-Zellen, worauf die Tumorzelle den Rezeptor samt Antikörper-Wirkstoff-Konjugat internalisiert. Im Zellinneren spalten lysosomale Proteasen den Linker auf, MMAE wird freigesetzt und führt zur Apoptose. »Die Chemotherapie findet ausschließlich in der Tumorzelle statt«, erklärte Professor Dr. Bertram Glaß vom Helios Klinikum Berlin-Buch den Wirkmechanismus. Nach dem Zerplatzen der Zelle gelange MMAE zwar auch in den Blutkreislauf, werde dort aber so stark verdünnt, dass die Toxizität akzeptabel sei.
Wirksamkeit und Sicherheit des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats wurden in der randomisierten, offenen Phase-Ib/II-Studie GO29365 gezeigt. »Geplant war eigentlich, dass sich noch eine Phase-III-Studie mit größeren Patientenzahlen anschließt, aber die Ergebnisse dieser Studie waren so eindeutig, dass damit gleich die Zulassung beantragt werden konnte«, sagte Glaß.
Polivy wurde in GO29365 als Add-On zu Bendamustin plus Rituximab mit der alleinigen Gabe dieser Kombination verglichen. Im Vergleich zum Kontrollarm verdoppelte Polivy die Rate kompletter Remissionen (40 versus 17,5 Prozent) und verlängerte das mediane progressionsfreie Überleben (9,5 versus 3,7 Monate) sowie das Gesamtüberleben (12,4 versus 4,7 Monate).
Die häufigsten Nebenwirkungen der Grade 3 und 4 waren Infektionen und Zytopenien. So traten etwa Neutropenie mit 46,2 versus 33,3 Prozent und Thrombozytopenie mit 41,0 versus 23,1 Prozent deutlich häufiger unter der Dreifach- als unter der Zweifachkombination auf. Febrile Neutropenie war jedoch mit 10,3 versus 12,8 Prozent sogar etwas seltener.
»Polatuzumab Vedotin führt verglichen mit den bisher verfügbaren Therapien zu einer Verdopplung der Ansprechraten und der Komplettremissionen bei einer Gruppe von Patienten mit bislang nur sehr unbefriedigenden Therapieergebnissen«, fasste Glaß zusammen. Welchen Stellenwert das Präparat etwa im Verhältnis zur ebenfalls bei DLBCL zugelassenen CAR-T-Zelltherapie bekommen werde, bleibe abzuwarten. Er könne sich etwa ein Bridging mit Polivy bei Patienten vorstellen, die für eine CAR-T-Zelltherapie noch nicht infrage kommen, so der Onkologe.
»CAR-T-Zelltherapien sind wegen der sehr guten Wirksamkeit bei einem Teil der Patienten derzeit in aller Munde, aber man darf nicht vergessen, dass sie auch Nachteile haben«, sagte Glaß. Einer dieser Nachteile sei die enorme Logistik, die dahinterstecke. Die T-Zellen müssen dem Patienten entnommen, in einem spezialisierten Labor des Herstellers aufgereinigt, verändert und vermehrt werden und anschließend zurück zum Patienten transportiert werden. Das dauert im Durchschnitt zwei Wochen. »Etwa 20 Prozent der Patienten schaffen es gar nicht so lange.« Polatuzumab Vedotin sei dagegen sofort verfügbar und könne den Patienten unter Umständen so stabilisieren, dass eine anschließende CAR-T-Zelltherapie möglich werde.