Neue Therapien mit längerer Wirkdauer |
Brigitte M. Gensthaler |
10.06.2022 07:00 Uhr |
Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung einer Makuladegeneration. Medikamente können das Fortschreiten der feuchten Form und den Sehverlust meist aufhalten. Für die trockene Form gibt es keine Therapie – bislang. / Foto: Getty Images/andresr
Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist die häufigste Ursache für schweren Sehverlust in Industrienationen. Bei der sogenannten feuchten Form wachsen krankhafte brüchige Gefäße in die Stelle des schärfsten Sehens (Makula) ein und können Ödeme und Blutungen verursachen. Bei der trockenen Form gehen Netzhautzellen unmittelbar zugrunde.
»Der therapeutische Durchbruch bei der feuchten Form gelang mit den VEGF-Inhibitoren, die aber wiederholt monatlich oder zweimonatlich in den Glaskörper des Auges eingespritzt werden müssen«, berichtete Professor Dr. Frank G. Holz, Vorsitzender der Stiftung Auge, bei einer Online-Pressekonferenz der Stiftung. Die Angiogenese-Hemmer fangen den Wachstumsfaktor VEGF ab und stoppen damit die pathologische Gefäßneubildung. Bei AMD werden das Fusionsprotein Aflibercept sowie die monoklonalen Antikörper Ranibizumab und off Label Bevacizumab eingesetzt.
»Das war ein Riesengewinn für den Erhalt der Sehfähigkeit, aber viele Patienten nehmen die vereinbarten Spritzentermine nicht konsequent wahr«, so der Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn. In der Folge könne es zu irreversiblem Sehverlust kommen. Neue Therapieansätze zielten daher auf eine längere Wirkdauer ab. Dies sei mit dem Angiogenese-Hemmer Brolucizumab (Beovu®) gelungen, der vor zwei Jahren für Patienten mit feuchter AMD zugelassen wurde. Laut Studien kämen etwa 75 Prozent der Patienten mit Injektionen im Dreimonatsabstand aus. Gleichzeitig werde ein stärker trocknender Effekt auf das Makulaödem beobachtet.
Als neuen Ansatz stellte Holz den bispezifischen Antikörper Faricimab vor, der in zwei krankheitsrelevante Stoffwechselwege eingreift, indem er neben VEGF auch Angiopoetin 2 hemmt. Zwei aktuelle Phase-III-Studien verglichen die Wirksamkeit und Sicherheit von intravitreal appliziertem Faricimab (6,0 mg bis zu 16-wöchentlich) mit der von Aflibercept (2,0 mg alle acht Wochen) (»The Lancet«, DOI: 10.1016/S0140-6736(22)00010-1). »Die Sehkraft konnte bei einem hohen Anteil der Patienten mit viermonatlichen Injektionsintervallen gehalten werden.« Mit einer Zulassung in Europa werde gerechnet; in den USA sei das Präparat bereits zugelassen.
Ganz neu ist ein permanentes nachfüllbares Implantat, das mikrochirurgisch ins Auge eingebracht und an der Augenhöhle verankert wird. Dieses Port-Delivery-System (PDS) gibt kontinuierlich den VEGF-Hemmer Ranibizumab in das Augeninnere ab. Das System, das in den USA bereits verfügbar ist, könne nach sechs bis neun Monaten wieder aufgefüllt werden, berichtete der Augenarzt. In einer offenen Phase-III-Studie war das PDS (Wiederbefüllung nach 24 Wochen) der monatlichen Ranibizumab-Injektion nicht unterlegen (»Ophthalmology«, DOI: 10.1016/j.ophtha.2021.09.016).
Für die trockene Form der AMD, die sogenannte geographische Atrophie, gibt es noch kein zugelassenes Medikament. »Diese AMD-Form würden wir alle bekommen, wenn wir nur alt genug werden; sie führt zur Erblindung«, berichtete Holz.
»Jetzt gibt es erstmals positive Studiendaten mit dem Komplement-hemmenden Protein Pegcetacoplan, das ins Auge gespritzt wird.« Das Komplementsystem spiele eine wichtige Rolle bei der Entstehung der AMD. In einer Phase-II-Studie konnte die monatliche oder zweimonatliche intravitreale Injektion von 15 mg Pegcetacoplan das Fortschreiten der Degeneration retinaler Zellen gegenüber einer Scheininjektion verlangsamen (»Ophthalmology«, DOI: 10.1016/j.ophtha.2019.07.011). Dabei werde zwar die zentrale Sehschärfe nicht verbessert, aber der Bereich der Makula als Stelle des schärfsten Sehens länger geschützt, informierte der Augenarzt. Allerdings traten unter Verum dosisabhängig häufiger makuläre Neovaskularisationen (exudative AMD) auf.
Pegcetacoplan ist seit April 2022 in der EU zugelassen, und zwar für Patienten mit der sehr seltenen Erkrankung paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. Der Komplement-C3-Inhibitor muss in dieser Indikation regelmäßig subkutan infundiert werden.
Für beide AMD-Spätformen werden auch Gentherapien erprobt, bei denen eine einmalige Behandlung lebenslang wirken soll. Mit Voretigen Neparvovec (Luxturna®) gibt es bereits ein gentherapeutisches Arzneimittel in der Ophthalmologie; es ist seit 2019 zugelassen zur Behandlung einer schweren erblichen Netzhautdegeneration, die auf einem bestimmten Gendefekt beruht.