Neue Pflichten könnten Engpässe verschärfen |
Pharmahersteller sind seit Jahresbeginn verpflichtet, auch bei Lieferanten im Ausland Risiken etwa bei der Arbeitssicherheit zu erfassen. Hier die Herstellung von Medikamenten gegen Malaria in der Demokratischen Republik Kongo. / Foto: Imago/ThomasxImox
Mit dem »Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten«, kurz Lieferkettengesetz, will die Bundesregierung den Schutz der Menschenrechte und den Umweltschutz in den globalen Lieferketten verbessern. Wie die PZ berichtete, gilt das Gesetz seit 1. Januar dieses Jahres zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten, ab 2024 für Betriebe mit mindestens 1.000 Beschäftigten. Es verpflichtet Unternehmen zur Umsetzung festgelegter Sorgfaltspflichten, die sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken – vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Diese Pflichten gelten für die Betriebe selbst sowie für direkte und indirekte Zulieferer und sind nach dem Grad der Einflussmöglichkeit abgestuft.
Die Unternehmen müssen bei direkten Zulieferern sowie anlassbezogen auch bei indirekten Zulieferern Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung ermitteln, Gegenmaßnahmen ergreifen und diese gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) dokumentieren. Bei Versäumnissen und Verstößen kann das Bundesamt Bußgelder verhängen oder Unternehmen von der öffentlichen Beschaffung ausschließen. Der Bundesrat hatte dem Gesetz bereits am 25. Juni 2021 zugestimmt.
Nach Auskunft des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) betrifft das neue Gesetz nicht nur große Pharmakonzerne, sondern – mittelbar – auch mittelständische und kleinere Unternehmen. »Auch sie müssen sich entsprechend aufstellen«, sagt Andrea Schmitz, Justiziarin und Leiterin der Rechtsabteilung des BAH. Zwar nehme das Gesetz zunächst Konzerne mit 3.000 sowie ab 2024 mit 1.000 Beschäftigten in die Pflicht. Aber beispielsweise Drogerieketten oder andere Handelspartner wälzten die Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes auf alle Hersteller ab, unabhängig von ihrer Größe.
Generell sei das Thema sehr komplex, informiert Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim BAH. Es gebe zwar bereits Zertifizierungen wie die Pharmaceutical Supply Chain Initiative (PSCI), bei denen auch Arbeits- und Umweltaspekte eine Rolle spielten. Die neuen Sorgfaltspflichten einzuhalten, sei für die Hersteller dennoch sehr aufwendig und arbeitsintensiv. Die Lieferketten seien häufig lang und stark verzweigt. Zwar seien den Unternehmen die pharmazeutischen Lieferketten bekannt. Doch beispielsweise nachzuverfolgen, woher das Papier für die Beipackzettel komme und unter welchen Bedingungen Kräuter für eine Kräutermischung gesammelt wurden, sei schwierig. »Ob es in allen Bereichen möglich sein wird, die Arbeits- und Umweltbedingungen bei sämtlichen Lieferanten vollständig nachzuverfolgen, weiß ich nicht. In manchen Bereichen werden Unternehmen da an ihre Grenzen kommen«, befürchtet Kroth.
Der BAH-Geschäftsführer weist auch darauf hin, dass noch in diesem oder im nächsten Jahr ein europäisches Lieferkettengesetz verabschiedet werden soll. Das geplante EU-Gesetz könnte noch strenger werden als das deutsche. »Dadurch wird alles noch komplexer«, erwartet Kroth.
Um seine Mitglieder bei der Umsetzung des neuen Gesetzes zu unterstützen, habe der BAH im vergangenen Jahr eine Informationsveranstaltung zum Thema angeboten. Zudem habe der Bundesverband, der die Interessen von rund 400 überwiegend mittelständisch geprägten Herstellern vertritt, einen Fragebogen entwickelt. Damit können Hersteller in ihren Lieferketten mögliche Risiken erfassen. So können sie bei Partnern im Ausland beispielsweise ermitteln, wie viele Stunden am Tag die Mitarbeiter im Schnitt arbeiten, ob es eine angemessene Bezahlung oder zumindest einen Mindestlohn gibt und ob alle Mitarbeiter bei Krankheit, im Alter und im Mutterschutz abgesichert sind.
Aber auch die Arbeitssicherheit lässt sich erfassen, beispielsweise die durchschnittliche Unfallrate. Erfragt wird zudem, ob Kinderarbeit verboten ist oder ob Minderjährige zumindest die Schule besuchen können und von schwerer und gefährlicher Arbeit ausgeschlossen sind. Gibt es Notfallpläne, zum Beispiel zum Brandschutz, Austritt von Chemikalien und im Fall von Überflutungen? Stellt der befragte Lieferant sicher, dass die persönlichen Rechte von indigenen Einwohnern, lokalen Gemeinschaften oder vulnerablen Gruppen respektiert werden? Ist es den Mitarbeitern freigestellt, einer Gewerkschaft beizutreten? Auch diese Aspekte lassen sich mit dem Fragebogen ermitteln.
Stellt sich heraus, dass Lieferanten gesetzlich vorgegebene Standards nicht einhalten, sei es Aufgabe der Hersteller zu prüfen, inwieweit es möglich ist, die Mängel durch Verbesserungsmaßnahmen abzustellen, informiert Schmitz. »Es ist nicht das vorrangige Ziel, die Vertragsbeziehungen in solchen Fällen sofort zu kappen«, erläutert die Justiziarin. Aufgrund der häufig geringen Zahl an Lieferanten sehen die BAH-Experten hier auch die »Achillesferse« der Arzneimittelherstellung. »Wir haben kein Überangebot an Lieferanten«, sagt Kroth, der Markt sei in vielen Bereichen stark »auf Kante genäht«. »Wenn Unternehmen infolge der neuen gesetzlichen Vorgaben auf Lieferanten verzichten müssen, könnte dies die schon bestehenden Lieferengpässe weiter verschärfen«, warnt der BAH-Geschäftsführer. Er bezweifelt auch, ob es bis ins kleinste Detail sinnvoll sei, unser Modell zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf andere Länder zu übertragen. Beispielsweise könne man Betriebe in Fernost oder anderswo nicht zwingen, einen Betriebsrat aufzustellen.
Arzneimittel wieder in Europa zu produzieren, wäre teuer. Es würde einige Jahre dauern, bis die Hersteller dafür Kapazitäten geschaffen und Fachkräfte gefunden beziehungsweise ausgebildet hätten, gibt Kroth zu bedenken. »Das muss sich anschließend im Preis wiederfinden«, fordert er. Zudem wäre es gut, wenn bei OTC-Präparaten eine entsprechende Kennzeichnung eingeführt würde, die es bisher nicht gebe. Wenn die Kunden erkennen könnten, dass etwa ein Hustensaft nachhaltig und fair hergestellt wurde, seien manche möglicherweise bereit, dafür mehr zu bezahlen, so Kroth.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz seien viele Pharmaunternehmen sehr daran interessiert, die Menschenrechte und den Umweltschutz beispielsweise in Asien zu verbessern, stellt Kroth klar. Wichtige »Treiber« bei diesem Thema seien auch die Kunden, denen Nachhaltigkeit zunehmend wichtig ist, sowie die Mitarbeiter, die in einem verantwortungsbewussten Unternehmen arbeiten möchten.
Schon seit langem gelten für die Pharmaproduktion strenge Kriterien für die Qualitätssicherung, etwa zur bestätigten Identität und Reinheit zugelieferter Wirk- und Hilfsstoffe. Darauf weist der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) auf die Nachfrage der PZ hin, was das Lieferkettengesetz für die Arzneimittelhersteller bedeutet. Dem Verband zufolge haben viele Pharmaunternehmen zudem für sich strenge Maßstäbe für die Zusammenarbeit mit Zulieferern etabliert und über die Jahre weiterentwickelt, die über die genannte Qualitätssicherung hinausgehen. Das Gesetz verlange nun neben den bereits gesetzlich etablierten Qualitätsprüfungen die Nachverfolgung weiterer sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Kriterien.
Der Verband schätzt, dass das Lieferkettengesetz deutschlandweit und branchenübergreifend seit Jahresbeginn etwa 1000 und ab Januar 2024 etwa 5000 Unternehmen erfassen wird. Für wie viele Pharmahersteller es gilt und ab 2024 gelten wird, dazu lägen dem Verband keine Zahlen vor. »Für eine Bewertung, ob das gerade in Kraft getretene Gesetz praxisgerecht ist, sollten ausreichende Erfahrungen abgewartet werden«, erklärt der vfa gegenüber der PZ.
Zur Unterstützung stehen den Unternehmen nach Auskunft des vfa verschiedene Handreichungen zur Verfügung. So werde für die chemische und pharmazeutische Industrie unter dem Dach der Nachhaltigkeitsinitiative »Chemiehoch 3« des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) ein Branchenstandard entwickelt. Mithilfe verschiedener Module sollen den Unternehmen so Handreichungen zur Verfügung stehen, die ihnen bei der Umsetzung der Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes helfen. Darüber hinaus hätten das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Hilfestellungen entwickelt, informiert der vfa.