Neue Option bei fortgeschrittenem Nierenkrebs |
Kerstin A. Gräfe |
30.04.2025 07:00 Uhr |
Tumorerkrankungen der Nieren sind häufig ein Zufallsbefund. Belzutifan ist für Betroffene mit einem fortgeschrittenem Krebsstadium unter bestimmten Voraussetzungen eine neue Therapieoption. / © Getty Images/ PonyWang
Der Transkriptionsfaktor Hypoxie-induzierbarer Faktor (HIF) ist ein wichtiger Regulator bei der Sauerstoffversorgung von Zellen. Dabei gibt es eine enge Verzahnung zwischen dem Von-Hippel-Lindau-(VHL-)Gen beziehungsweise dem VHL-Protein und dem HIF-Signalweg: Bei normaler Sauerstoffversorgung und intaktem VHL-Gen bindet HIF an das funktionsfähige VHL-Protein. Dadurch wird HIF kontinuierlich im Proteasom abgebaut. Bei einem Sauerstoffmangel bleibt HIF stabil und es werden Gene aktiviert, die Erythropoese, Glykolyse und Angiogenese stimulieren.
Beim erblichen VHL-Syndrom (in allen Zellen) und bei mehr als 90 Prozent der klarzelligen Nierenzellkarzinome (nur in den Tumorzellen) ist das VHL-Gen verändert. In der Folge akkumuliert HIF und die zellulären Hypoxie-Anpassungsprogramme sind dauerhaft aktiviert. Das führt zu ungebremster Zellteilung, Tumorwachstum und der Entstehung neuer Blutgefäße.
Belzutifan (Welireg® 40 mg Filmtabletten, MSD) ist ein Inhibitor der HIF-Isoform 2α (HIF-2α). Der neue Arzneistoff bindet an HIF-2α und blockiert dadurch die Dimerisierung von HIF-2α mit HIF-1β. In der Folge kann HIF-2α seine Zielgene nicht mehr aktivieren, was letztlich zu einer Hemmung des Krebswachstums führt.
Belzutifan ist zugelassen als Monotherapie zur Behandlung des fortgeschrittenen klarzelligen Nierenzellkarzinoms bei Erwachsenen, deren Erkrankung nach zwei oder mehreren Therapien, darunter ein PD-(L)1-Inhibitor und mindestens zwei zielgerichtete VEGF-Therapien, fortgeschritten ist. Zudem ist der Wirkstoff als Monotherapie zur Behandlung des VHL-Syndroms bei Erwachsenen angezeigt, die eine Therapie für assoziierte lokale Nierenzellkarzinome, Hämangioblastome des Zentralnervensystems oder neuroendokrine Pankreastumoren benötigen und für die lokale Therapien ungeeignet sind.
Die empfohlene Dosis beträgt 120 mg Belzutifan (drei 40-mg-Tabletten), die einmal täglich immer zur gleichen Zeit eingenommen werden. Die Behandlung sollten die Patienten so lange fortsetzen, bis die Krankheit fortschreitet oder eine unzumutbare Toxizität auftritt.
Hat der Patient die Einnahme einer Dosis versäumt, kann diese am gleichen Tag so bald wie möglich nachgeholt werden. Am nächsten Tag sollte die reguläre Tagesdosis wieder aufgenommen werden. Es sollten keine zusätzlichen Tabletten eingenommen werden, um die vergessene Dosis nachzuholen. Falls nach der Einnahme erbrochen wird, sollte keine erneute Einnahme erfolgen, sondern die nächste Dosis am nächsten Tag eingenommen werden.
In der Fachinformation finden sich detaillierte Empfehlungen zur Dosisanpassung des Medikaments aufgrund von Nebenwirkungen, etwa Anämie und Hypoxie. Zu beiden Nebenwirkungen gibt es einen Warnhinweis. So sollten Patienten vor Beginn der Belzutifan-Behandlung und in regelmäßigen Abständen während der Behandlung auf Anämie überwacht werden. Mit Blick auf eine potenzielle Hypoxie sollte die Sauerstoffsättigung der Patienten vor Beginn der Behandlung und währenddessen in regelmäßigen Abständen mittels Pulsoximetrie überwacht werden.
Unter der Behandlung wurden ZNS-Blutungen, auch mit tödlichem Ausgang, bei Patienten mit VHL-Syndrom-assoziierten Hämangioblastomen des ZNS beobachtet. Ärzte sollten bei diesen Patienten auf Symptome oder Anzeichen von ZNS-Blutungen achten.
Die gleichzeitige Gabe von Belzutifan mit empfindlichen CYP3A4-Substraten sollte vermieden werden. Ist das nicht möglich, sollte die Dosis des empfindlichen CYP3A4-Substrats erhöht werden. Inhibitoren von UGT2B17 oder CYP2C19 können die Belzutifan-Exposition erhöhen und das Risiko für Nebenwirkungen steigern.
Zudem kann die Einnahme von Belzutifan die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva verringern. Patientinnen, die entsprechende Präparate verwenden, sind anzuweisen, während der Behandlung eine alternative nicht hormonelle Verhütungsmethode einzusetzen. Eine Schwangerschaft ist bei Frauen im gebärfähigen Alter vor Therapiestart mit einem Test auszuschließen. Während der Behandlung sowie für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis ist eine hochwirksame Verhütungsmethode anzuwenden.
Belzutifan darf während der Schwangerschaft nicht zum Einsatz kommen, es sei denn, die Behandlung eines Nierenzellkarzinoms mit dem Wirkstoff ist aufgrund des klinischen Zustandes der Frau erforderlich. Bei VHL-Syndrom-assoziierten Tumoren ist der Arzneistoff während der Schwangerschaft kontraindiziert. Es wird geraten, dass Frauen während der Behandlung mit Belzutifan und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis nicht stillen.
Die bedingte Zulassung in der Indikation Nierenzellkarzinom basiert auf der Phase-III-Studie LITESPARK-005 an 746 Patienten mit nicht resezierbarem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem klarzelligen Nierenzellkarzinom. Sie erhielten randomisiert entweder einmal täglich 120 mg Belzutifan oder 10 mg Everolimus. Die beiden primären Endpunkte waren das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben.
Bei der ersten Zwischenanalyse nach median 18,4 Monaten war das Progressions- oder Sterberisiko in der Belzutifan-Gruppe signifikant um 25 Prozent gegenüber Everolimus reduziert. Die Ergebnisse der zweiten Interimsanalyse waren konsistent mit denen der ersten: Nach median 25,7 Monaten war das Progressions- oder Sterberisiko unter Belzutifan 26 Prozent geringer als unter Everolimus. In puncto Gesamtüberleben zeigte Belzutifan gegenüber Everolimus zwar eine tendenzielle Verbesserung; das Ergebnis erreichte jedoch keine statistische Signifikanz.
Basis der Zulassung bei VHL-assoziierten Tumoren bildet die offene Phase-II-Studie LITESPARK-004 mit 61 Patienten. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war die objektive Ansprechrate. Nach median 21,8 Monaten zeigten 49 Prozent der Patienten mit Nierenzellkarzinom ein objektives Ansprechen. Ein Ansprechen wurde auch bei 77 Prozent der Patienten mit Pankreasläsionen und bei 30 Prozent der Patienten mit Hämangioblastomen des zentralen Nervensystems beobachtet.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Belzutifan zählen neben Anämie und Hypoxie Ermüdung/Fatigue, Übelkeit, Dyspnoe und Schwindelgefühl.
Ist beim Nierenzellkarzinom oder Von-Hippel-Lindau-(VHL-)Syndrom-assoziierten Tumoren das VHL-Gen verändert und fällt das VHL-Protein aus, ist ein außer Kontrolle geratener HIF-Signalweg die Folge. Der Hypoxie-induzierbare Faktor (HIF) akkumuliert, was zu einer Proliferation von Zellen, Tumorwachstum und gesteigerten Angiogenese führt.
Mit Belzutifan ist der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse auf dem Markt eingeführt. Als erster HIF-2α-Hemmer stellt Belzutifan eindeutig eine Neuerung in der onkologischen Pharmakotherapie dar. Allein der neue Wirkmechanismus rechtfertigt die vorläufige Einordnung bei den Sprunginnovationen. Hervorzuheben ist dabei auch, dass HIF-2α ein Transkriptionsfaktor ist, eine Kategorie von Molekülen, an denen sich Medikamentenforscher auch heute noch oft die Zähne ausbeißen und in diesem Zusammenhang sogar das Wort »undruggable« benutzen.
Auch die Studienergebnisse des Neulings können sich sehen lassen. So war Belzutifan in der LITESPARK-005-Studie bei Nierenkrebspatienten dem mTOR-Inhibitor Everolimus überlegen. Die aktuelle Leitlinie empfiehlt allerdings in der Rezidivsituation Everolimus nicht als Monotherapie, sondern mit dem Kinasehemmer Lenvatinib. Diesen Vergleich hat LITESPARK-005 nicht vorgenommen.
Interessant wird sein, wie es mit Belzutifan weitergeht. Der Einsatz in früheren Therapielinien, in Kombination mit anderen Medikamenten und bei anderen Tumorarten wird derzeit geprüft.
Sven Siebenand, Chefredakteur