Pharmazeutische Zeitung online
Akademische Wirkstoffforschung

Neue Medikamente aus der Uni

Die Arzneimittelentwicklung wird immer teurer und schwieriger – Zeit, sich auf die Möglichkeiten der akademischen Forschung rückzubesinnen, meint DPhG-Präsident Professor Dr. Stefan Laufer.
Daniela Hüttemann
08.07.2019  08:00 Uhr

Das Geschäftsmodell, sich auf große Blockbuster zu verlassen, wird für die Phamaindustrie schwieriger, konstatierte Laufer, Professor für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, kürzlich beim 600. Vortrag der DPhG-Landesgruppe Hamburg beim dortigen Tag der Pharmazie. Große Pharmafirmen setzen vermehrt auf teure Nischenprodukte, die zwar oft therapeutische Durchbrüche sind, jedoch nur wenigen Patienten zu Gute kommen. Dabei steigen die Kosten für Forschung und Entwicklung stetig: 2018 waren es schätzungsweise 130 Milliarden Dollar, die Big Pharma dafür ausgab. Beim Output macht sich dies bezüglich der Quantität jedoch nicht im selben Maßen bemerkbar: Mittlerweile liegen die Entwicklungskosten für ein Medikament mit neuem Wirkstoff bis zur Zulassung bei zwei bis drei Milliarden US-Dollar.

Um die Ertragszahlen zu verbessern, werde die frühe Forschung innerhalb der Unternehmen zurückgefahren, erläuterte Laufer. In den vergangenen 10 bis 15 Jahren habe die klassische Pharmaindustrie vielerorts erheblich bei der präklinischen Forschung gekürzt. »Um den Nachschub sicherzustellen, werden frühe Projekte von Start-ups und akademischen Kooperationen einlizensiert«, so der Pharmazieprofessor. »Mittlerweile stammen 60 Prozent der Phase-I-Projekte nicht mehr aus der internen Forschung von Big Pharma, sondern von den Unis und deren Spin-Offs.« Vier von zehn der zahlreichen Kinase-Hemmer in den Pipelines kommen aus dem akademischen Bereich, nannte Laufer als Beispiel.

Die Entwicklung sei nach Ansicht von Analysten unumkehrbar – und eine Riesenchance für die akademische Forschung. Denn immer mehr große Firmen suchen Kollaborationspartner in Start-ups oder Universitäten. »Allein in den letzten drei Jahren sind mehr als 20 solcher Kollaborationen in den USA entstanden«, berichtete der Pharmazeutische Chemiker. Dort wurden seit 2006 vielerorts sogenannte Academic Drug Discovery Centers an Unistandorten gegründet, die sich im Academic Drug Discovery Consortium (ADDC) zusammengeschlossen haben.

Targets besser validieren

Das Besondere daran: Während Big Pharma lieber hinter verschlossenen Türen arbeitet oder gar gezielt Desinformationen streut, setzen die akademischen Forscher auf regen Wissensaustausch. »Klassischerweise setzt die Wirkstoffforschung an den Unis auf die Target-Identifizierung und ist hier sehr gut«, erklärt Laufer, der vor seiner Unikarriere einige Jahre in der Pharmazeutischen Industrie tätig war. Die große Schwierigkeit, das sogenannte Tal des Todes, liege jedoch darin, diese präklinischen Erkenntnisse aus Zellkultur und Tierversuch auf den Menschen zu übertragen. Hier scheiterten früher die meisten Projekte. »Die entdeckten Targets werden nicht gut genug validiert«, bringt Laufer das Problem auf den Punkt. »Die Substanzen machen beim Menschen nicht das, was Versuche an Ratte und Maus vorhergesagt haben.«

Angetrieben davon, möglichst viele hochrangige Publikationen mit neuen, spektakulären Erkenntnissen zu erreichen, mangele es der akademischen Forschung oft an Validierungsarbeiten und Relevanz, meint Laufer. »Was wir brauchen sind klare Benchmarks, klare Regeln, klare Anreizsysteme und eine gemeinsame Kommunikationsbasis zwischen akademischer und industrieller Forschung.« Zumal wurden die Unis zumindest in Deutschland früher von der Industrie als reine Target-Pipeline gesehen, die gerne zur Target-Identifizierung und später aufgrund ihrer Patientenkohorten in großen klinischen Studien genutzt wurden, bei patentrelevanten Arbeiten jedoch gern herausgehalten wurden.

Es geht aber auch anders, wie Beispiele aus europäischen Nachbarländern zeigen: So schafften es Wissenschaftler um Professor Dr. Camille Wermuth von der Pharmazeutischen Fakultät der Louis-Pasteur-Universität Straßburg, drei Medikamente bis zur Marktreife zu bringen, darunter den MAO-Hemmer Minaprin (1996 vom Markt genommen) und das NSAR Oxaceprol. Unter Federführung von Professor Dr. Roberto Pellicciari von der Uni Perugia wurde die Obeticholsäure als selektiver Agonist am Farnesoid-X-Rezeptor zur Marktreife entwickelt (seit 2017 als Ocaliva® in der EU auf dem Markt). Professor Dr. Beat Ernst von der Uni Basel hat zusammen mit der US-Biotechfirma GlycoMimetics sogenannte Glykomimetika entwickelt. Heißer Kandidat ist Rivipansel (GMI-1070), das nun mit Pfizer in einer Phase-III-Studie zur Behandlung vasookklusiver Krisen bei einer Sichelzellanämie getestet wird. Als Selektin-Antagonist verhindert die Substanz die Adhäsion von Blutzellen an das Gefäßendothel.

Wirkstoffforschung in Deutschland

Und in Deutschland? Auch hierzulande wird derzeit an vielen Pharmazie-Standorten kräftig an Wirkstoffen gearbeitet, erläuterte Laufer. An seiner Uni in Tübingen laufen unter dem Kürzel TüCAD2 als Teil der Exzellenzinitiative gleich mehrere Wirkstoffentwicklungsprogramme. Basierend auf RNAi-Screens werden neue Targets identifiziert, die dann chemisch-pharmakologisch validiert werden. Außer der Toxikologie können durch Kooperation von Pharmazie, Medizin und dem Institut für klinische Pharmakologie in Stuttgart alle Schritte bis zum Patienten gegangen werden. Neben rein akademischen Entwicklungen habe es auch bereits Venture-Kapital-basierte Ausgründungen gegeben. Gearbeitet wird unter anderem an Kinase-Hemmern mit neuem Wirkmechanismus im Bereich der Hepatologie.

Auf Basis der Genomentschlüsselung gehen Forscher davon aus, dass es im menschlichen Körper rund 3.000 potenzielle Angriffspunkte gibt, das sogenannte Druggable Genom. »Die weltweit rund 4.000 zugelassenen Wirkstoffe greifen jedoch an weniger als 600 molekularen Targets an«, illustrierte Laufer. Damit gebe es für circa 80 Prozent der theoretisch möglichen Targets noch keine Arzneistoffe. »Es gibt also noch viel zu „entdecken“ – für die Industrie und für die Universitäten!«

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa