Neue Konjugat-Impfstoffe mit breiterer Abdeckung |
Christina Hohmann-Jeddi |
20.09.2022 07:00 Uhr |
Alle Menschen über 60 Jahre sollen sich laut Ständiger Impfkommission gegen Pneumokokken impfen lassen. / Foto: Adobe Stock/ryanking999
Bei Pneumokokken handelt es sich um grampositive Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae, die meist als Diplokokken vorliegen und von einer Polysaccharid-Kapsel umgeben sind. »Diese Kapsel ist der wichtigste Virulenzfaktor«, berichtete Dr. Mark van der Linden vom Nationalen Referenzzentrum für Streptokokken bei einer von Pfizer unterstützen Veranstaltung beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Dies bedeutet, dass die Polysaccharid-Zusammensetzung der Kapsel die krankmachende Wirkung der Erreger ausmacht. Sie kommt in etwa 100 verschiedenen Ausprägungen, den sogenannten Serotypen, vor.
Pneumokokken seien normale Bewohner des Nasen-Rachenraums; sie fänden sich bei mehr als 50 Prozent der Kleinkinder unter fünf Jahren und etwa 5 bis 10 Prozent der Erwachsenen. Wenn sich die Bakterien aus dem Nasen-Rachenraum hinaus ausbreiteten, könnten sie Probleme machen, so van der Linden. Je nach Alter seien die durch Pneumokokken ausgelösten Krankheitsbilder unterschiedlich: Bei Kindern komme es vor allem zu Mittelohrentzündungen, seltener zu Pneumonien und in ganz seltenen Fällen zu Sepsis und Meningitis. »Bei Erwachsenen sieht das Bild anders aus«, berichtete van der Linden. Hier führten Pneumokokken fast ausschließlich zu Pneumonien, wobei drei Viertel nicht bakteriämisch seien und bei einem Viertel Bakterien im Blut gefunden würden. Die Infektionen könnten zudem auch zu Sepsis und Meningitis führen.
»Etwa 100.000 Menschen mit Pneumokokken-Pneumonien müssen in Deutschland jedes Jahr im Krankenhaus behandelt werden«, berichtete Professor Dr. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie an der Universitätsmedizin Essen. Zwischen 4000 und 16.000 Menschen sterben pro Jahr an den Folgen. Den Erkrankungen lässt sich durch eine Schutzimpfung vorbeugen, die Polysaccharide der Kapsel als Impfantigene enthält. Laut Ständiger Impfkommission (STIKO) ist die Pneumokokken-Impfung für alle ab 60 Jahren als Standardimpfung vorgesehen. Als Indikationsimpfung wird sie zudem Menschen mit speziellen Vorerkrankungen oder mit Immunschwäche empfohlen.
Zur Verfügung standen über lange Zeit vor allem zwei Impfstoffe: ein 23-valenter Polysaccharid-Impfstoff (PPSV23, Pneumovax®), der Polysaccharide von 23 Serotypen enthält, und ein 13-valenter Konjugat-Impfstoff (PCV13, Prevenar®), bei dem die enthaltenen Polysaccharide chemisch an ein Protein gebunden (konjugiert) vorliegen. Zusätzlich gibt es speziell für Kinder bis fünf Jahre einen Konjugat-Impfstoff gegen zehn Serotypen (PCV10, Synflorix®).
In diesem Jahr kamen zwei weitere Konjugat-Impfstoffe hinzu: Im Januar 2022 erhielt Vaxneuvance®, ein 15-valenter Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff (PCV15) von MSD, eine EU-Zulassung, im Februar folgte der 20-valente Konjugat-Impfstoff Apexxnar® (PCV20) von Pfizer. Beide dürfen bei Personen ab 18 Jahren zum Schutz vor invasiven Pneumokokken-Erkrankungen und Pneumonien, die durch Streptococcus pneumoniae verursacht werden, eingesetzt werden.
Für Vaxneuvance liegen Daten aus einer doppelblinden, aktiv kontrollierten Vergleichsstudie mit 1205 gesunden, vorher nicht gegen Pneumokokken geimpften Erwachsenen im Alter ab 50 Jahren vor. Demnach war die durch Vaxneuvance vermittelte Immunantwort gegenüber PCV13 hinsichtlich der 13 gemeinsamen Serotypen nicht unterlegen. Diese Ergebnisse basieren auf Resultaten der Opsonophagozytose-Aktivität (OPA), einem Maß für impfstoffinduzierte funktionelle Antikörper, 30 Tage nach der Impfung. Zudem war die Immunantwort von Vaxneuvance gegenüber PCV13 überlegen bezogen auf den gemeinsamen Serotyp 3 sowie die beiden Serotypen 22F und 33F, die nur in Vaxneuvance enthalten sind, nicht jedoch in PCV13. Es wurden keine Studien zur Beurteilung der klinischen Wirksamkeit von PCV15 durchgeführt.
Von den bekapselten Pneumokokken existieren etwa 100 verschiedene Serotypen. / Foto: Adobe Stock/Sagittaria
Ganz ähnlich wurde auch der zweite neue Impfstoff Apexxnar getestet. Es erfolgte ebefalls keine klinische Prüfung der Wirksamkeit, sondern ein Vergleich der Immunantworten von PCV20 und PCV13. Mehr als 6000 Erwachsene ab 18 Jahren, darunter auch Menschen ab 65 Jahren, nahmen an den Phase-III-Studien teil. Eingeschlossen waren Personen mit chronischen Erkrankungen sowie Erwachsene, und zwar sowohl zuvor ungeimpfte als auch geimpfte. »PCV20 konnte eine Nichtunterlegenheit zeigen für alle Serotypen, die der Impfstoff mit PCV13 gemeinsam hat«, sagte Witzke. Er sei somit etwa so wirksam wie PCV13 und decke sieben Serotypen zusätzlich ab.
In den USA seien die beiden neuen Pneumokokken-Vakzinen bereits in die Impfempfehlungen eingearbeitet, berichtete der Mediziner. In Deutschland sei das noch nicht passiert – man warte aber auf eine Aktualisierung der Empfehlung durch die STIKO. Er wünsche sich eine Vereinfachung der derzeit geltenden Vorgaben, die für die drei Risikogruppen unterschiedliche Impfregime vorsehen. Denn die Impfquoten seien in den Risikogruppen bundesweit sehr schlecht: Bei den Immunsupprimierten liegt sie bei etwa 10 Prozent. Bei den Über-60-Jährigen ist etwa jeder Vierte geimpft und bei den Personen mit Vorerkrankungen etwa 18 Prozent.
Laut STIKO sollten Personen über 60 Jahre eine PPSV23-Impfung erhalten und gegebenenfalls eine Auffrischung mit diesem Impfstoff nach mindestens sechs Jahren. Immunsupprimierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollten sequenziell mit zunächst PCV13 gefolgt von PPSV23 im Abstand von sechs bis zwölf Monaten geimpft werden, wobei letzterer Impfstoff erst ab einem Alter von zwei Jahren eingesetzt werden darf. Gleiches gilt für Personen mit anatomisch bedingtem Risiko für schwere Pneumokokken-Erkrankungen und Kinder im Alter von zwei bis 15 Jahren mit Grunderkrankungen wie chronischen Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen. Personen ab 16 Jahren mit diesen Grunderkrankungen sollten einmalig PPSV23 erhalten.