Neue Kombi bei erektiler Dysfunktion |
Kerstin A. Gräfe |
08.04.2022 07:00 Uhr |
Etwa 20 Prozent aller Männer leiden im Laufe ihres Lebens an behandlungsbedürftigen Erektionsproblemen. Mit Invicorp® gibt es seit März eine neue Behandlungsoption. / Foto: Fotolia/Africa Studio
Invicorp (25 µg/2 mg Injektionslösung, Evolan Pharma AB) ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung der erektilen Dysfunktion bei erwachsenen Männern aufgrund von neurogenen, vaskulären, psychogenen oder gemischten Ursachen. Das Präparat enthält die Wirkstoffe Aviptadil (25 µg) und Phentolaminmesilat (2 mg), die sich in ihrer Wirkung ergänzen. Phentolamin bewirkt als kurzfristig wirkender nicht selektiver α-Adrenozeptor-Antagonist eine Vasodilatation und erhöht den Blutfluss in die Schwellkörper des Penis. Aviptadil, eine synthetische Formulierung des vasoaktiven intestinalen Peptids (VIP), verhindert den venösen Abfluss des Blutes. Die Rationale dahinter: Die durch die Relaxation der glatten Muskulatur bedingte venöse Okklusion scheint VIP-beeinflusst zu sein.
Vor Therapiebeginn sollten zugrundeliegende medizinische Ursachen diagnostiziert und behandelt werden. Invicorp wird unter sterilen Bedingungen intrakavernös, das heißt direkt in das Schwellkörpergewebe des Penis appliziert. Die bevorzugte Injektionsstelle liegt dorsolateral im proximalen Drittel des Penis. Eine Injektion in sichtbare Venen sollte vermieden werden. Bei jeder Applikation sollten sowohl Penisseite als auch Injektionsstelle gewechselt werden. Pro Tag sollte maximal eine Injektion erfolgen; pro Woche werden nicht mehr als drei Injektionen empfohlen.
Die ersten Invicorp-Injektionen müssen durch medizinisches Personal durchgeführt werden. Nach einer entsprechenden Schulung ist eine Applikation in Eigenregie möglich. Vor allem zu Beginn der Selbstinjektionstherapie wird eine regelmäßige Untersuchung des Patienten, zum Beispiel alle drei Monate, empfohlen.
Nicht angewendet werden darf das neue Präparat bei Männern, für die eine sexuelle Aktivität aufgrund organischer Erkrankungen nicht empfehlenswert oder kontraindiziert ist. Gleiches gilt für Männer mit anatomischer Deformation des Penis oder Penisprothese sowie für solche mit Krankheitsbildern, die für Priapismus prädisponieren können. Zudem ist Invicorp kontraindiziert bei einer gleichzeitigen Anwendung mit Antikoagulanzien.
Nach intrakavernöser Anwendung von Invicorp sind eine anhaltende Erektion und/oder Priapismus möglich. Patienten sollten jede Erektion melden, die einen längeren Zeitraum – beispielsweise vier Stunden oder länger – anhält. Die Behandlung des Priapismus sollte innerhalb von sechs Stunden beginnen und gemäß der gängigen medizinischen Praxis erfolgen. Zudem können Penisfibrose einschließlich Krümmung, Schwellkörperfibrose, fibrotische Knötchen und Peyronie-Krankheit auftreten. Regelmäßige Nachuntersuchungen der Patienten werden dringend empfohlen.
Invicorp ist nicht zur gleichzeitigen Anwendung mit anderen Behandlungsformen der erektilen Dysfunktion geeignet.
Die Zulassung basiert unter anderem auf den Studien VP004 und VP005 mit rund 2700 beziehungsweise 1200 Teilnehmern. Die Probanden erhielten entweder 25 µg Aviptadil /2 mg Phentolamin, 25 µg Aviptadil/ 1 mg Phentolamin oder Placebo. Die Anzahl der Grad-3-Responder – definiert als Patienten mit einer für die vaginale Penetration ausreichenden Erektion (klinische Beurteilung) oder Geschlechtsverkehr im häuslichen Bereich – lag in der Verumgruppe von VP004 bei 1674 Männern (74 Prozent) und in der Placebogruppe bei 53 Männern (12 Prozent). Ein ähnliches Ergebnis hatte die VP005-Studie: In der Verumgruppe erreichten 747 Patienten (73 Prozent) das Therapieziel, in der Placebogruppe 26 (13 Prozent).
Bei etwa 10 Prozent der Behandelten kam es zu Nebenwirkungen. Als häufigste unerwünschte Wirkung traten Hitzegefühle auf. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Tachykardie und Palpitationen. Zudem können an der Injektionsstelle Blutungen und Blutergüsse auftreten.
In der Therapie der erektilen Dysfunktion haben die oral verfügbaren PDE-Hemmer den höchsten Stellenwert. Allerdings sprechen nicht alle Männer darauf an oder es bestehen Kontraindikationen. Daher ist es gut, dass für die medikamentöse Therapie auch die intraurethrale und intrakavernöse Applikation von Wirkstoffen als mögliche Alternativen zur Verfügung stehen. Auch das neue Präparat Invicorp® wird in den Schwellkörper injiziert. Die Wirkstoffkombination enthält mit Phentolamin einen alten Bekannten und mit Aviptadil einen zumindest für den deutschen Markt neuen Wirkstoff. Die Kombination wirkt bei erektiler Dysfunktion synergistisch und Aviptadil wartet mit einem neuartigen Wirkprinzip auf, sodass eine Einstufung als Schrittinnovation berechtigt ist. Dies untermauern auch Studiendaten. Sie sind zwar nicht sehr umfassend, aber zeugen bisher von einer guten Wirksamkeit und Verträglichkeit. Direkte Vergleiche mit anderen Therapien bei erektiler Dysfunktion wären wünschenswert.
Ganz so neu ist Aviptadil übrigens nicht. Die synthetische Formulierung des vasoaktiven intestinalen Peptids besitzt in der EU seit mehreren Jahren den Orphan-Drug-Status, unter anderem zur Behandlung des akuten Atemnotsyndroms. Um die Lunge zu schützen, wird Aviptadil auch für die Therapie schwer erkrankter Covid-19-Patienten untersucht. Hier ergibt sich für den Wirkstoff also möglicherweise noch ein weiteres Einsatzgebiet und dann gegebenenfalls eine Einstufung als Sprunginnovation.
Sven Siebenand; Chefredakteur