Nebenwirkungen von Antidepressiva im Vergleich |
| Theo Dingermann |
| 23.10.2025 18:00 Uhr |
Antidepressiva sind eine wichtige Errungenschaft in der Pharmazie. Sie können jedoch Parameter wie den Blutdruck oder bestimmte Laborwerte verändern. / © Getty Images/Mladen Zivkovic
Antidepressiva helfen Millionen von Menschen mit Depressionen und Angstzuständen, ihren Alltag zu meistern. Das hat allerdings auch seinen Preis, denn die Medikamente sind nicht frei von Nebenwirkungen, darunter Gewichtszunahme, Veränderungen der Herzfrequenz, der Cholesterinhomöostase und des Blutdrucks.
Kürzlich veröffentlichte ein Team um Dr. Toby Pillinger vom King’s College in London eine Metaanalyse im Fachjournal »The Lancet«. In der Arbeit wurde untersucht, wie stark verschiedene Antidepressiva bei kurzfristiger Einnahme Herz-Kreislauf- und weitere metabolische Parameter der Anwender veränderten.
Eingeschlossen in die Analyse waren randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) zu einer akuten Monotherapie bei Erwachsenen mit psychischen Störungen, darunter schwere Depressionen, Angststörungen, bipolare Störungen und Fibromyalgie. Insgesamt beurteilten die Forschenden 30 Wirkstoffe, mit denen 58.534 Patienten behandelt wurden, anhand von Verum- und Placebodaten.
Primäre Endpunkte waren Veränderungen des Körpergewichts, der Gesamtcholesterol- und Glucosekonzentrationen, der Herzfrequenz, des systolischen und diastolischen Blutdrucks, der QTc-Zeit, der Natrium-, Kalium-, Harnstoff- und Kreatininspiegel sowie der relevanten Leberenzym-Aktivitäten (AST, ALT, ALP).
Es zeigte sich, dass selbst bei einer recht kurzen Einnahmedauer von im Median acht Wochen signifikante Veränderungen der untersuchten Parameter nachweisbar waren. Die Auswirkungen auf das Gewicht variierten zwischen den Wirkstoffen deutlich. Zum Beispiel verloren Menschen, die mit Agomelatin behandelt wurden, im Durchschnitt etwa 2,5 kg Körpergewicht, während diejenigen, die die Trizyklika Maprotilin oder Amitriptylin einnahmen, 1,82 kg beziehungsweise 1,60 kg zunahmen.
Auch die Therapie mit Mirtazapin (+ 0,87 kg) und Fluvoxamin (+ 0,96 kg) resultierte in einer Gewichtszunahme, wohingegen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer/Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI/SNRI) eher in Richtung Gewichtsabnahme tendierten, zum Beispiel Fluoxetin (– 0,81 kg), Venlafaxin (– 0,74 kg) und Duloxetin (– 0,63 kg).
Die Autoren kalkulierten auch die Wahrscheinlichkeit für eine klinisch relevante Gewichtsänderung. Demnach lag das Risiko für eine Gewichtszunahme um mehr als 2 kg für Maprotilin bei etwa 48 Prozent und für Amitriptylin bei etwa 46 Prozent. Die größten Chancen für eine Gewichtsreduktion um mehr als 2 kg ergaben sich mit etwa 55 Prozent bei einer Therapie mit Agomelatin. In den Placebogruppen lagen die Wahrscheinlichkeiten für Gewichtsveränderungen bei jeweils etwa 19 Prozent.
Höhere Gesamtcholesterolspiegel beobachteten die Autoren bei Patienten, die beispielsweise mit Desvenlafaxin (+ 0,27 mmol/L), Venlafaxin (+ 0,22 mmol/L), Duloxetin (+ 0,17 mmol/L) oder Paroxetin (+0,16 mmol/L) behandelt wurden.
Hinsichtlich des Anstiegs der Glucosekonzentration im Blut fiel nur Duloxetin mit einem konsistenten Anstieg von 0,30 mmol/L auf. Störungen der Elektrolytkonzentrationen ließen sich aus den analysierten Daten nicht ableiten. Lediglich bei Duloxetin nahmen die Natriumspiegel ab – allerdings in einem klinisch nicht relevanten Maß (– 0,82 mmol/L beziehungsweise – 0,71 mmol/L). Für QTc-Veränderungen fanden die Forschenden keine robuste, klinisch relevante Verlängerung.
Besonders unter noradrenerg wirksamen Substanzen treten Interferenzen mit der Herzfunktion auf, sowohl hinsichtlich der Herzfrequenz als auch des Blutdrucks. So nahm die Herzfrequenz mit 13,77 Schlägen pro Minute (bpm) am stärksten unter Nortriptylin zu, gefolgt von Clomipramin, Imipramin, Amitriptylin, Doxepin sowie den SNRI Levomilnacipran (+ 7,67 bpm), Desvenlafaxin (+ 3,51 bpm), Venlafaxin (+ 2,38 bpm) und Duloxetin (+ 2,09 bpm). Demgegenüber senkten Fluvoxamin (– 8,18 bpm) und Moclobemid (– 4,49 bpm) die Herzfrequenz.
Der systolische Blutdruck stieg unter der Therapie mit folgenden Antidepressiva an: Amitriptylin (+ 4,86 mmHg), Levomilnacipran (+ 3,36 mmHg), Venlafaxin (+ 2,78 mmHg), Imipramin (+ 2,57 mmHg), Desvenlafaxin (+ 1,93 mmHg), Duloxetin (+ 1,59 mmHg) und Fluoxetin (+ 2,94 mmHg). Demgegenüber senkte Nortriptylin den Blutdruck um etwa 6,68 mmHg. Bezüglich der Änderung der diastolischen Werte fiel Maprotilin auf, das ein deutliches Plus von 7,18 mmHg verursachte. Auch tendieren die Antidepressiva Levomilnacipran, Venlafaxin, Imipramin, Desvenlafaxin und Duloxetin zu einem Anstieg der diastolischen Blutdruckwerte.
Bei folgenden Arzneistoffen stiegen die Werte der Leberenzyme AST und ALT an: Duloxetin (AST + 2,08 IU/L, ALT + 2,20 IU/L), Levomilnacipran (AST + 1,78, ALT + 1,97) und Desvenlafaxin (ALT + 1,43). Die Aktivität der ALP stieg bei vielen Substanzen, am stärksten unter Reboxetin (+ 13,19 IU/L), Desvenlafaxin (+ 7,25 IU/L), Sertralin (+ 6,53 IU/L) und Levomilnacipran (+ 4,55 IU/L). Allerdings sind diese Steigerungen, vor allem mit Blick auf die absoluten Größenordnungen, eher moderat und meist klinisch nicht relevant.
Die Forschenden betonen ausdrücklich, dass Verbesserungen der depressiven Symptomatik nicht mit metabolischen Veränderungen korrelieren, das heißt eine wirksame Behandlung führt nicht zwingend zu einer Verschlechterung des Stoffwechsels.
Alles, was in dieser Metaanalyse systematisch zusammengetragen wurde, ergibt pharmakologisch betrachtet Sinn: So treten Gewichtszunahmen besonders bei H1- und 5-HT2C-Antagonisten wie Mirtazapin oder mehreren Trizyklika auf, während eine noradrenerge Wiederaufnahmehemmung (SNRI, Reboxetin, teils trizyklische Antidepressiva) mit einem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks einhergeht.
Die Muster der Leberwerte unter einzelnen SNRI ähneln einer milden Cholestase. Die Forschenden betonen allerdings, dass die Kurzzeitdaten der Studie, das mittlere Alter der Teilnehmenden von 44,7 Jahren sowie die Beschränkung der Analyse auf Monotherapien die realen Risiken für ältere, multimorbide und/oder polypharmazeutisch behandelte Patienten unterschätzen können.
Insgesamt sprechen die Befunde für eine differenzierte, patientenzentrierte Wirkstoffwahl und ein zielgerichtetes Monitoring. Mit Blick auf das Risiko für Hypertonie oder Tachykardie ist eher Vorsicht bei SNRI und trizyklischen Antidepressiva angeraten. Bezüglich des Adipositasrisikos ist von Maprotilin, Amitriptylin und Mirtazapin abzuraten – stattdessen sollten hier gewichtsneutrale oder -senkende Optionen wie Agomelatin, Bupropion oder Fluoxetin in Erwägung gezogen werden. Beim Einsatz von SNRI ist es wichtig, Cholesterol-, Glucose- und Leberwerte zu überprüfen.
In einem kommentierenden Beitrag auf der Plattform »The Conversation« verweisen die Forschenden auf eine frühere Analyse, in der sie ein frei verfügbares Tool beschreiben, das Ärzte und Patienten gemeinsam nutzen können, um sich für das richtige Antidepressivum zu entscheiden.
Auch meinen die Autoren, dass mit Blick auf die Resultate ihrer Analyse die Leitlinien überprüft werden sollten. Sie weisen jedoch darauf hin, dass Effekte, die sich jenseits der Akutphase einstellen, ähnlich systematisch erfasst werden sollten.