Nach 12 Jahren immer noch in Remission |
Theo Dingermann |
04.02.2022 14:30 Uhr |
Doug Olson (Mitte vorn) war einer der zwei ersten Patienten, die eine CAR-T-Zelltherapie erhielten. Seitdem hat der Leukämie-Patient sechs Halbmarathons absolviert. / Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Es war das Jahr 2010, in dem Ärzte am Abramson Cancer Center und der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, darunter die hochdekorierten Professoren Dr. Carl June und Dr. David Porter, den an chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) erkrankten Patienten Bill Ludwig und Doug Olson eine damals experimentelle Krebstherapie anboten. Bei Olson war die Leukämie im Jahr 1996 diagnostiziert worden. Ludwig hatte seine Diagnose im Jahr 2000 erhalten.
Bis 2010 waren die Krebserkrankungen der beiden Patienten durch die vielen Behandlungsschemata so mutiert, dass ihre Tumorzellen gegenüber allen damals verfügbaren Therapieoptionen eine Resistenz entwickelt hatten. Beide standen also mit dem Rücken zur Wand. Es blieb nur der Griff nach einem damals kontrovers diskutierten experimentellen Therapieansatz.
Der Anspruch der neuen, bis dahin noch nicht am Menschen erprobten Behandlung war kein geringerer, als die Leukämie im Endstadium dieser beiden Patienten zu heilen. Das Ärzteteam bot den beiden Patienten an, ihre Tumorzellen von einer bestimmten Fraktion ihrer eigenen Zellen angreifen zu lassen, nachdem man diese im Labor für diesen Angriff ganz speziell aufgerüstet hatte.
So funktioniert die CAR-T-Zelltherapie. / Foto: PZ/Spitzer
Das in gewisser Weise als »lebendes Medikament« zu bezeichnende Spezialtherapeutikum ist heute unter dem Begriff »CAR-T-Zellen« bekannt. CAR-T-Zellen sind modifizierte, autologe T-Zellen des zu therapierenden Patienten, die einen chimären T-Zell-Rezeptor (CAR) exprimieren. Dieser Rezeptor erkennt über eine Antigen-/Antikörperbindung das CD19-Protein auf der Oberfläche von B-Zellen und somit auch die von B-Zellen abgeleiteten CLL-Zellen. Durch die Bindung wird dann das typische Tötungsprogramm der zytotoxischen T-Zellen induziert und die Tumorzellen (und alle anderen B-Zellen) im Idealfall komplett eliminiert.
Das in dieser Therapie von Novartis entwickelte Therapeutikum Tisagenlecleucel (Kymriah®) erhielt im Jahr 2018 den PZ-Innovationspreis.
Über dieses fast unglaublich klingende Maximalziel konnten sich beide Pioniere dieser Therapie zusammen mit den Therapeuten und der großen Gruppe der Tumorpatienten tatsächlich freuen. Ludwig und Olson erreichten noch im Jahr der Therapie – also im Jahr 2010 – eine vollständige Remission.
Olson, ein ehemaliger Wissenschaftler, feiert in diesem Jahr den 12. Jahrestag seines Siegs über die Leukämie, wie die das Klinikum der University of Pennsylvania in einer aktuellen Pressemeldung berichtet. Er hat mit dem Langstreckenlauf begonnen und zwischenzeitlich sechs Halbmarathons absolviert. Außerdem sammelt er Spenden für die Leukämie- und Lymphom-Gesellschaft und hilft neu diagnostizierten Patienten.
Ludwig, ein pensionierter Justizvollzugsbeamter, reiste mit seiner Frau in einem Wohnmobil durch das Land und freute sich über seine Enkelkinder. Anfang 2021 starb er nach einem schweren Covid-19-Verlauf.
»Diese langfristige Remission ist bemerkenswert, und die Tatsache, dass die Patienten krebsfrei leben, ist ein Beweis für die enorme Wirksamkeit dieses ›lebenden Medikaments‹, das effektiv gegen Krebszellen wirkt«, sagt der Pathologe und Labormediziner an der Penn-University, Professor Dr. J. Joseph Melenhorst. »Zu sehen, wie gut unsere Patienten auf diese innovative Zelltherapie ansprechen, macht all unsere Bemühungen so lohnenswert. Wir können ihnen mehr Zeit zum Leben geben und sie mit ihren Lieben verbringen.«
In einer wissenschaftlichen Arbeit, die pünktlich zu Jubiläum jetzt in »Nature« publiziert wurde, haben die Forscher um Melenhorst und June weitere interessante Daten zu CAR-T-Zellen veröffentlicht. Sie konnten zeigen, dass sich bei den Patienten mit der Zeit eine hoch aktivierte CD4+-Zellpopulation herausbildete und dominant wird. Offensichtlich durchlaufen die Zellen bei den Patienten zwei unterschiedliche Phasen der CAR-T-Zelltherapie, wobei die Anfangsphase von Killer-T-Zellen dominiert wird und die langfristige Remission von CD4+-T-Zellen kontrolliert wird.
Darüber hinaus ließ sich zeigen, dass sich über die Zeit sogenannte »gamma-delta-CAR-T-Zellen« etablieren, die sich bei einem Patienten während der anfänglichen Ansprechphase zusammen mit CD8+-CAR-T-Zellen stark vermehrte. Diese Daten bieten neue Einblicke in die CAR-T-Zellmerkmale, die mit dem Ansprechen auf Krebs und der langfristigen Remission bei Leukämie in Verbindung gebracht werden.
Noch konzentrieren sich die CAR-T-Zell-Therapien auf Tumore, die den CD19-Zellmarker tragen. Ganz aktuell hat vergangene Woche Lisocaptagen maraleucel (Breyanzi®), das von der Firma Bristol-Myers-Squibb entwickelt wurde, eine Zulassungsempfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur als CAR-T-Zell-Therapeutikum für die Behandlung bestimmter Formen des Non-Hodgkin-Lymphoms bekommen.
Interessant wäre es natürlich, auch andere Tumore mit CAR-T-Zellen zu therapieren. Hier ist man momentan wegen der enormen Langlebigkeit der CAR-T-Zellen in den Patienten noch vorsichtig. Denn unbedingt muss verhindert werden, dass die aggressiven CAR-T-Zellen an andere Zellen als die Tumorzellen andocken können. Solche »Off-Target«-Effekte könnten sich fatal auswirken.
Unter diesem Aspekt ist es erwähnenswert, dass mit Idecabtagen vicleucel (Abecma®), das ebenfalls von Bristol-Myers-Squibb entwickelt wurde, ein CAR-T-Zell-Therapeutikum in der EU zugelassen wurde, das mit dem B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) ein anderes Target als seine Vorgänger ansteuert und beim Multiplen Myelom eingesetzt wird.
Verschiedene Strategien werden entwickelt, dieses Problem der »Off-Target-Toxizität« zu umgehen versuchen. Erst kürzlich machte ein Ansatz auf sich aufmerksam, der die Möglichkeit einer transienten Expression von CAR-T-Zellen aufzeigte.