mRNA-Impfung schützt Mäuse vor MS |
Christina Hohmann-Jeddi |
08.01.2021 16:00 Uhr |
In einem Mausmodell für MS zeigte eine Impfung mit modifizierter mRNA, die für erkrankungsrelevante Selbstantigene kodiert, Wirkung. / Foto: Fotolia/BillionPhotos.com
Die von einem Team um Christina Krienke der Translationalen Onkologie an der Universitätsmedizin in Mainz (TRON) zusammen mit dem Mainzer Unternehmen Biontech entwickelte Vakzine basiert ebenso wie Biontechs Covid-19-Impfstoff Tozinameran (Comirnaty®) auf Boten-RNA (mRNA), die in Körperzellen des Geimpften in ein Protein übersetzt wird. Das Prinzip wurde nun an Mäusen erfolgreich getestet, wie die Forscher im Fachjournal »Science« berichten.
In der gegen Multiple Sklerose (MS) gerichteten Vakzine ist in Lipid-Nanopartikel verpackte modifizierte mRNA enthalten, die für erkrankungsrelevante Selbstantigene kodiert. Diese Fragmente von körpereigenen Proteinen lösen bei der Autoimmunerkrankung den Immunangriff auf die eigenen Gewebe aus. Im Körper der Geimpften sollen durch die Impfung diese Selbstantigene produziert werden und zu einer Toleranz führen. Diese entsteht, wenn die Antigene von spezialisierten Zellen (APC) präsentiert werden, ohne dass costimulatorische Signale exprimiert werden. Bei Entwicklung der Vakzine wurde darauf geachtet, dass diese keine inhärente adjuvante Aktivität hat, also die Immunantwort nicht verstärkt.
Den Impfstoff testete das Team an mehreren Mausmodellen für MS, die normalerweise eine autoimmune Enzephalitis entwickeln. Wie die Forschenden zeigen konnten, werden die durch die mRNA kodierten Autoantigene auf dendritischen Zellen präsentiert, ohne eine entzündliche Immunreaktion auszulösen.
Die neue Antigen-Toleranz führte zu einer Expansion von regulatorischen T-Zellen (Treg), die den Angriff auf die körpereigenen Antigene – im Fall der MS die Myelinschicht – unterdrückten. Auch die Infiltration von proinflammatorischen Effektor-T-Zellen (Teff) in Gehirn und Rückenmark sowie die Demyelinisierung des Rückenmarks wurden deutlich reduziert, heißt es in einer Mitteilung von Biontech.
In allen untersuchten Mausmodellen konnte der Impfstoff eine symptomatische Erkrankung verhindern oder, in Mäusen mit bestehender MS im Frühstadium, das Fortschreiten der Krankheit verhindern und motorische Funktionen sogar wiederherstellen.
Weiterhin induzierten die Treg-Zellen in allen MS-Mausmodellen einen starken, immunsuppressiven »Bystander«-Effekt. Dies bedeutet, dass die Treg-Zellen, einmal durch ihr Ziel-Antigen aktiviert, bei komplexen Erkrankungen auch Teff-Zellen, die gegen andere Antigene gerichtet sind, im entzündeten Gewebe unterdrücken können. Dies ist wichtig, um auch polyklonale Erkrankungen, die auf verschiedenen, zum Teil unbekannten Antigenen basieren, sowie um die interindividuelle Heterogenität zwischen einzelnen Patienten adressieren zu können.
Bis ein solcher Impfstoff zugelassen wird, ist es noch ein weiter Weg. Der Kandidat muss noch in Untersuchungen beim Menschen der Phase I bis III auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet werden. Die Forschenden sehen aber ein großes Potenzial für immunmodulierende mRNA-Vakzinen: Da mRNA-Impfstoffe rasch produziert werden können, könnten sie auch auf die bei einzelnen Patienten vorkommenden Antigene angepasst werden. Somit wäre eine personalisierte Therapie möglich, heißt es in der Publikation.
Auf die Veröffentlichung der Studie reagierte das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) mit einer Stellungnahme. Die Untersuchung sei »wissenschaftlich von größter Bedeutung« und dokumentiere das Potential der mRNA-Vakzinierungsstrategie insgesamt. Allerdings seien die Ergebnisse bei Modellmäusen nicht so einfach auf die Autoimmunerkrankung beim Menschen zu übertragen. Das Hauptproblem sei, dass beim Menschen – im Gegensatz zum Tiermodell – die Zielantigene bei der MS nicht bekannt seien, heißt es in der Stellungnahme. Es sei der Forschung bislang nicht gelungen, diese krankheitsrelevanten Antigene für MS zu identifizieren.
Die Erkrankung gelte heute als komplexe Störung immunregulatorischer Netzwerke. Die Gabe einer Auswahl von Antigenen zur Therapie einer Autoimmunerkrankung könne sogar zu einer fehlgesteuerten Aktivierung von Abwehrzellen führen. »Denn im Verlauf der Erkrankung gibt es offensichtlich sehr viele Antigene sowie HLA-Moleküle, die den T Zellen helfen, anhand der zellulären Oberflächenstruktur kranke von gesunden Zellen zu unterscheiden, und diese sind individuell unterschiedlich.« Es sei somit nicht verwunderlich, dass weder bei MS noch bei anderen Autoimmunerkrankungen bislang kein Antigen-spezifischer Therapieansatz erfolgreich war.
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