»Motivation kommt nicht nur durch das Gehalt« |
| Kerstin Pohl |
| 27.10.2022 15:00 Uhr |
»Geld ist nicht alles«, hieß es gestern bei der Jahreshauptversammlung der TGL Nordrhein. Mitarbeiter könnten auch mit mehr offener Kommunikation und mehr Wertschätzung für ihre Leistungen motiviert werde, sagte eine Referentin von der Treuhand Hannover. / Foto: Adobe Stock/Fokussiert
Der 1. Vorsitzende der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter (TGL) Nordrhein, Constantin Biederbick, schilderte zunächst die aktuelle Situation der Apotheken, die in den letzten zwei Jahren bedingt durch die Coronapandemie eine Herausforderung für die Apotheker war. Sie hätten in dieser Zeit enorm viel geleistet und ihre Kompetenz als Heilberufler wiederholt unter Beweis gestellt. Für Kunden und Mitarbeiter seien die Apotheken nach wie vor »ein Fels in der Brandung«, betonte Biederbick.
Die alten Herausforderungen seien immer noch da, aktuell seien aber neue hinzugekommen. So die Arzneimittelpreisverordnung, die baldige Erhöhung des Apothekenabschlages auf 2 Euro, die Inflation sowie eine Gesundheitspolitik der aktuellen Regierung, die keine Planungssicherheit biete. Außerdem die Probleme der Energiekrise, der holprige Start des E-Rezeptes sowie die Konkurrenz durch Online-Versender und die Kapitalmarktgesteuerten Lieferdienste. Hinzu komme das Dispensierrecht der Ärzte für die Abgabe von Paxlovid TM, die mit 15 Euro je abgegebener Verpackung vergütet wird.
Obwohl die inhabergeführte Apotheke in Deutschland in einer Krise stecke, biete sie aber auch immer eine Chance, so der 1. Vorsitzende. Das seien beispielsweise die Pharmazeutischen Dienstleistungen, die auch eine Zeitenwende beschreiben. »Wir, die Apotheker, werden erstmalig nicht nur als Kaufleute, sondern auch als Heilberufler vergütet«, sagte Biederbick. Er zeigte sich überzeugt, dass dieses Leistungsspektrum in Zukunft erweitert werden wird. Deshalb empfahl er aus strategischen und auch wirtschaftlichen Gründen, diese Dienstleistungen anzubieten.
Das Thema Legalisierung von Genuss-Cannabis sieht Biederbick kritisch. Ihm zufolge sollte es im Auge behalten werden. »Apotheken sind keine Coffee-Shops oder Cannabis-Kioske, dennoch entsteht ein komplett neuer Markt und der Zugang zu einer neuen Kundengruppe. Diese sollten wir uns für die Zukunft genauestens anschauen.«
Die Einführung des E-Rezeptes sieht der 1. Vorsitzende positiv. Damit sicherten Apotheker ihre Zukunft und könnten Prozesse verschlanken, die menschliche Fehlerquote werde weiter gesenkt und das Retaxrisiko sei damit ausgeschlossen. Somit bleibe mehr Zeit für die Kundenbetreuung.
Sebastian Berges, 2. Vorsitzender der TGL Nordrhein, beschrieb den Arbeitsmarkt gestern und heute im Vergleich. Der Arbeitsmarkt heute ist demnach zunehmend arbeitnehmerorientiert und weist einen Fachkräftemangel auf, nicht nur in Apotheken. Die demografische Entwicklung komme zum Tragen, die Arbeits- und Leistungsbereitschaft der Nachfolgegeneration habe spürbar nachgelassen. Die Zahl der Abiturienten und Studierenden nehme zu, immer weniger Schüler gingen in die Handwerks- und Ausbildungsberufe. Das treffe besonders auf Apotheken zu, deren Attraktivität als Arbeitgeber gelitten habe.
Berges kritisierte, dass das »Bürokratiemonster« in Apotheken immer mehr zunehme und die betriebswirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund sinkender Betriebsergebnisse abnähmen. Das zeige sich in der Entwicklung der Apothekenvergütung, die deutlich unter der Inflationsrate liegt, während die Tariflöhne in Apotheken über der Inflationsrate liegen. Insgesamt schrumpften die Betriebsergebnisse und der Spielraum für zusätzliche Gehaltserhöhungen.
Der »Kampf um die Köpfe hat begonnen«, so Berges, sprich die Suche nach qualifiziertem Personal. Sie nehme teilweise skurrile Formen an durch Head Hunter mit aggressiven Abwerbepraktiken oder Zusatzleistungen von Mitbewerbern wie Fitness-Studios. An den Grenzen zur Nordrhein würden die höheren Tarife des ADA auch gerne mal als Wettbewerbsinstrument eingesetzt.
Die Tarifpolitik der TGL heute befinde sich in einem Dilemma. Mitarbeiter leisteten gute Arbeit, die aber immer weniger bezahlt werden könne, da die Betriebserlöse zurückgingen. Das Ziel der TGL sei es deshalb, mehr Flexibilität und Transparenz nach außen zu schaffen. Tatsächlich gezahlte Gehälter sollten deutlich höher ausfallen und sich im Tarif widerspiegeln.
Ein weiteres Ziel sei die Verfolgung innovativer Konzepte, sagte der 2. Vorsitzende. So sei in den letzten Jahren in eine leistungsorientierte Bezahlung (LOB) investiert worden, die aber nur 5 Prozent des Gehaltes abdecke. »Das ist viel Arbeit mit wenig Ertrag für beide Partner«, sagte Berges. »Insgesamt gesehen ist die LOB nice to have, wird aber in der Praxis selten genutzt.«
Das Fazit: Die Gewerkschaft Adexa ist vielen Argumenten der TGL nicht gefolgt, trotzdem wurde für beide Seiten eine akzeptable Lösung gefunden.
Die Tarifpolitik der TGL für morgen wolle zukunftsfähige Lösungen entwickeln hinsichtlich Umsetzbarkeit und Planungssicherheit, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit. Die Tarifentwicklung anderer Branchen mit zweistelligen Lohnerhöhungsforderungen, Mitarbeiterstreiks oder Sonderzahlungen – solche Szenarien bereiteten den Apotheken Sorgen, so Berges. Die Attraktivität des Arbeitsplatzes solle deshalb stärker in die Öffentlichkeit gebracht und der Nachwuchs vermehrt angesprochen werden.
Die Gastreferentin, Diplom-Ökonomin Anke Kunigkeit von der Treuhand Hannover, schilderte Möglichkeiten der Gehaltsgestaltung der Mitarbeiter. Ab dem 1. Januar 2023 wird laut Rahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter im Kammerbezirk Nordrhein der Tarif um 2 Prozent erhöht.
Anhand eines Rechnungsbeispiels schilderte Kunigkeit die Möglichkeit, die Gehaltserhöhung entweder als Zuschlag auf das Bruttogehalt zu zahlen oder in Form eines Warengutscheins oder einer Geldkarte. Diese Gutscheine oder Geldkarten berechtigen ausschließlich zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen in einzelnen Geschäften in begrenzten regionalen Gebieten. Der Vorteil dieser Warengutscheine, die maximal 50 Euro betragen dürfen: Dieser Sachbezug sei steuer- und sozialversicherungsfrei. Wenn die Sachbezüge 50 Euro überschritten, werde der gesamte Betrag allerdings steuer- und sozialversicherungspflichtig. Diese Gutscheine oder Geldkarten seien ein beliebter Benefit und für den Arbeitgeber eine unkomplizierte, günstige Gehaltserhöhung. Auch das Ansparen eines Guthabens sei auf diese Weise möglich. Kunigkeit machte allerdings auch die Vorgaben im Einkommensteuergesetz deutlich, nach denen unter anderem der Aspekt der Zusätzlichkeit gegeben sein muss. Heißt konkret: Solche Leistungen dürfen nicht anstelle einer Gehaltserhöhung angeboten werden. Auch Petra Gemsjäger, Justiziarin beim Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken, wies auf die Zusätzlichkeit hin und erinnerte daran, dass arbeitsrechtliche Fragestellungen immer im Einzelfall geklärt werden müssten.*
Aber ist Geld tatsächlich alles, was motiviert? »Geld ist nicht alles und Motivation kommt nicht nur durch das Gehalt«, so die Referentin. Kunigkeit betonte, dass es vor allem auch um die offene Kommunikation mit dem Mitarbeiter und die Wertschätzung seiner Leistung geht. Darüber hinaus sollten ihm Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb geboten werden wie beispielsweise eine Filialleitung oder abwechslungsreiche Aufgaben und Weiterentwicklungsmöglichkeiten für PTA und PKA.
Generell ist das Gehalt frei verhandelbar, nach dem Motto »mehr Netto vom Brutto«, so Kunigkeit. Seit dem 26. Oktober können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und sozialversicherungsfrei eine Inflationsprämie bis zu 3.000 Euro bis Ende 2024 zahlen. Dieser Betrag wird zusätzlich steuerfrei zum normalen Gehalt gezahlt. Ob die Summe auf einmal oder in kleinen »Portionen« beispielsweise á 50 Euro gezahlt wird, bleibt dem Arbeitgeber überlassen.
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*Hinweis der Redaktion: Wir haben den Beitrag nachträglich mit dem Aspekt der Zusätzlichkeit aktualisiert.