Modell gegen extreme Arzneimittelpreise |
Lukas Brockfeld |
02.02.2024 16:10 Uhr |
Die extremen Preise für einige Medikamente werden zum Problem für die Krankenkassen. / Foto: Adobe Stock/wernerimages
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) schätzt, dass sich die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen für Arzneimittel im Jahr 2024 auf etwa 53 Milliarden Euro belaufen werden. Auf dem VdPP Winterseminar erklärte Helmut Schröder, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, dass die jährlichen Nettoausgaben für Arzneimittel seit 2013 um 88 Prozent gestiegen sind. Gleichzeitig gibt es aber nur 12,6 Prozent mehr Medikamentenverordnungen als vor zehn Jahren.
»Jeder zweite Euro wird für patentgeschützte Präparate ausgegeben«, erläuterte Schröder anhand umfangreicher AOK-Daten. »Gleichzeitig machen sie nur 6,8 Prozent der verabreichten Tagesdosen aus. Wir sehen also, dass sehr viel Geld in relativ wenig Versorgung fließt.« Die meisten Mittel würden aktuell für die Behandlung von Krebs- und Immunerkrankungen aufgewendet. Es sei davon auszugehen, dass die Kosten auch in Zukunft weiter steigen werden.
Besonders für neuentwickelte patentgeschützte Arzneimittel verlangten die Pharmakonzerne laut Schröder oft extreme Preise. Durchschnittlich wären es über 50.000 Euro pro Packung, für einige Präparate würden mehr als eine Millionen Euro fällig. »Bei gut wirksamen Medikamenten sind wir der Industrie hilflos ausgeliefert«, bedauert Schröder. »Jeder Preis wird nach dem Wert eines Arzneimittels ermittelt. Wenn schwer kranke Menschen geheilt oder Leben gerettet werden können, dann ist dieser Wert unermesslich und wir sind natürlich bereit, extreme Kosten auf uns zu nehmen.«
In einem zweiten Vortrag zeigte Andreas Großmann von der AOK Rheinland/Hamburg, dass auch bei vielen etablierten Arzneimitteln erhebliche Preissteigerungen zu beobachten sind. Als Extrembeispiel nannte der Apotheker den Wirkstoff Chenodesoxycholsäure, der seit Jahrzehnten zu Behandlung von Gallensteinen eingesetzt wird. Im Jahr 2002 kosteten 100 Kapseln des Präparates 59,51 Euro. Nach mehreren geringen Veränderungen stieg der Preis des Medikamentes auf 27.513 Euro im Jahr 2022 – ebenfalls für eine Packung mit 100 Kapseln.
Für die Krankenkassen werden die Arzneimittelkosten zum Problem. Doch wie lassen sich Preise ermitteln, die für die Versicherungen und die Pharmaindustrie akzeptabel sind? Helmut Schröder stellte dazu ein mathematisches Modell vor, das von niederländischen Wissenschaftlern entwickelt wurde.
Der Algorithmus addiert die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die Kosten der Produktion des Arzneistoffes und die für den Vertrieb. Hinzu kommt ein Grundgewinn in Höhe von 8 Prozent der bisherigen Kosten. Unter Umständen kann zusätzlich ein Innovationsbonus von bis zu 40 Prozent der bisherigen Kosten gewährt werden. So berechnete Schröder beispielhaft den Preis einer Hepatitis C Therapie und kam auf 904,94€ pro Patient. Der tatsächliche Herstellerpreis liegt aktuell bei 34.980 Euro.
Das Modell ist nicht ohne Schwächen. Es setzt ein hohes Maß an Transparenz voraus, außerdem werden Faktoren wie teure Fehlschläge bei der Entwicklung neuer Arzneistoffe nicht berücksichtigt. Trotzdem zeigt es, wie eine gerechtere Preisgestaltung aussehen könnte und wie weit man aktuell bei einigen Arzneistoffen davon entfernt ist.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des VdPP-Seminars waren sich weitgehend einig, dass es tiefgreifende Veränderungen braucht. »Wir haben eine kleine Population an Menschen, die sehr hochpreisige Arzneimittel brauchen und eine große Menge an Patienten, die preiswerte Medikamente bekommen. Irgendwann wird sich die Frage stellen, wie wir das Geld reinbekommen«, erläuterte Helmut Schröder. Angesichts der aktuellen Entwicklung befürchtet er, dass das Gesundheitswesen irgendwann priorisieren müsse, sodass einige Menschen nicht mehr die benötigten Behandlungen finanziert bekämen. »In so einen Missklang möchte ich nicht geraten«, stellt der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK klar.