Mit welchen Medikamenten behandelt man Long Covid? |
Daniela Hüttemann |
24.11.2023 18:00 Uhr |
Eine der bekanntesten Langzeitfolgen einer Corona-Infektion ist die Fatigue. / Foto: Adobe Stock/brizmaker
Long Covid ist kein einheitliches Krankheitsbild. Rund 200 Symptome werden darunter gelistet, die während oder nach einer akuten Covid-19-Erkrankung auftreten und über Wochen und Monate nach dem Virusinfekt bestehen bleiben können. Welche Symptome eindeutig Folgen der SARS-CoV-2-Infektion sind, ist wissenschaftlich umstritten. Auch die Zahl der Betroffenen.
Fakt ist jedoch: Viele Menschen suchen Hilfe. Während es bei manchen keinen ursächlichen Zusammenhang geben mag, erhalten andere, vor allem jüngere Frauen, den Stempel »psychosomatische Beschwerden« und werden nicht ernst genommen, berichtete Professor Dr. Jördis Frommhold, die vor einem Jahr das private Institut Long Covid in Rostock gegründet hat, diesen Monat bei der Scheele-Tagung in Binz. »Manche werden Monate lang mit ihren Symptomen allein gelassen und entwickeln dann eine Depression.« Ihr Institut schätzt, dass bis zu 10 Prozent der Corona-Infizierten unter Langzeitfolgen leiden, auch wenn die akute Erkrankung milde verlaufen ist. Frommhold spricht im Titel ihres populärwissenschaftlichen Buches sogar von »Long Covid – die neue Volkskrankheit«.
Es werde wohl nicht die eine Ursache für die Vielzahl der beklagten Symptome geben, so die Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie. Manchmal mag eine zugrunde liegende Disposition dahinterstecken, die durch die Infektion getriggert wird. Das kennt man bereits von anderen Virusinfektionen wie Epstein-Barr und Grippe. Eine Hypothese ist, dass es in der Folge im Körper zu entzündlichen Reaktionen kommt.
Unabhängig davon, ob die Covid-19-Infektion nun der Auslöser war: Bei anhaltenden Beschwerden wie Fatigue, Schmerzen, kognitiven Einschränkungen und Depressionen sollte der Arzt zunächst abklären, ob noch eine andere Ursache oder Erkrankung dahintersteckt und falls ja, diese leitliniengerecht behandeln.
Ansonsten werde symptomorientiert und multimodal behandelt, betonte Frommhold und gab den Stand der Dinge für einige der Hauptsymptome wieder. »Wir haben jetzt so viele Menschen mit Problemen, die Hilfe brauchen. Da können wir nicht auf Studienergebnisse warten. Wenn wir sie damit allein lassen, versuchen sie eine Eigentherapie.«
Bereits 2021 hatte die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie eine S1-Leitlinie initiiert. Die aktuelle Version hat den Stand 17. August 2022 und war bis zum 21. August 2023 gültig. Daran waren 28 medizinische Fachgesellschaften und Organisationen beteiligt. Am 10. Oktober wurde ein Manuskript der aktualisierten Leitlinie eingereicht. Der Review-Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Bei Fatigue-Patienten könnten sich gute und schlechte Phasen abwechseln. »Die Betroffenen neigen dazu, in den guten Phasen über ihre Belastungsgrenze hinauszugehen«, berichtete Frommhold, die zuvor Chefärztin der Median-Klinik Heiligendamm war. Eine Aktivierung sei gut und richtig. Aber: »Sie müssen eine Überlastung vermeiden und versuchen, die Amplitude zwischen dem Auf und Ab zu senken.« Bei Fatigue gebe es auch das Problem der Latenz: Die Verstärkung der Beschwerden komme oft nicht direkt nach der Belastung. Das mache es den Patienten schwer, rechtzeitig Pausen einzulegen.
Häufig gebe es aber Symptomkaskaden, was sich auch nutzen lasse. Ähnlich wie bei einer Migräne gelte es frühe Anzeichen für einen Leistungseinbruch zu bemerken und früh zu intervenieren, damit es gar nicht erst so weit kommt. »Wir nennen das Pacing. Das ist bei Fatigue die Methode der Wahl, auch schon bevor Corona kam«, erklärte Frommhold. Das sei oft besonders für die jüngeren Patienten, die mitten im Berufs- und Familienleben stehen, schwierig. Daher müsse man hier die Familie miteinbeziehen, um den Patienten zu unterstützen und vielleicht auch manchmal zu bremsen.
Gesellschaftlich wird eine akute Covid-19-Erkrankung mittlerweile annähernd wie andere Infektionskrankheiten behandelt. Strikte Quarantäne-Regeln gibt es nicht mehr. Wer einen negativen Test hat und symptomfrei ist, darf und soll wieder zur Arbeit oder Schule. Die Long-Covid-Expertin Frommhold rät aber dazu, virale Atemwegsinfekte immer ernst zu nehmen und auszukurieren, erst recht eine akute SARS-CoV-2-Infektion. »Gerade Frauen mittleren Alters sind durch soziologische Faktoren und einer erhöhten Neigung zu Autoimmunerkrankungen gefährdet und sollten auf sich achten.«
Long Covid-Patienten führten oft ausufernde Symptom-Tagebücher. Von einer solchen Fokussierung auf die Symptome rät Frommhold ab. Fatigue-Patienten sollten stattdessen einfach nur zwei Dinge notieren: Ihr tägliches Befinden auf einer Skala von 1 bis 10 und ihr Aktivitätsniveau an dem Tag (geistig und körperlich). Diese zwei Kurven könne man dann übereinanderlegen. »Wenn die Kurven abfallen, kann man niedrig dosiertes Prednisolon als Crash-Prophylaxe geben«, so die Ärztin: 5 mg täglich für ein bis drei Tage. »Aus Studien mit CFS-Patienten weiß man, dass sie niedrige Cortisol-Spiegel haben«, erklärte Frommhold die Rationale dahinter. CFS steht für Chronic Fatigue Syndrome.
Bei muskulärer Fatigue könne man das indirekt wirkende Parasympathomimetikum Pyridostigmin versuchen und das atypische Neuroleptikum Aripiprazol bei Fatigue mit kognitiven Einschränkungen. Daneben arbeitet das Long-Covid-Institut bei Fatigue-Patienten unter anderem mit manueller Therapie, nicht aktivierender Physiotherapie sowie Osteo- und Kryotherapie.
Die medikamentöse Therapie von Schmerzen bei Long Covid erfolge komplett off Label und es gebe hierzu keine Leitlinie. „Die klassischen Analgetika zeigen oft kaum Wirkung. Manchmal funktioniert Metamizol“, so Frommholds Erfahrung. Hochpotente Opioide sollte man auf jeden Fall vermeiden. Eine Alternative sei eine einschleichende Behandlung mit Pregabalin. Vor allem bei ausgeprägten Kopfschmerzen kann manchmal eine Prednisolon-Stoßtherapie Linderung verschaffen. Versucht werden könne auch Amitriptylin oder niedrig dosiertes Naltrexon.
Bei Schlafstörungen rät Frommhold zum allgemein üblichen Vorgehen: Schlafhygiene, Entspannungsmethoden und Phytopharmaka. Reicht das nicht aus, könne man es mit Melatonin 2 bis 5 mg oder Mirtazapin 7,5 mg versuchen. Oft gut funktionieren würde die Kombination aus Melatonin und Antihistaminika. Liegen die Schlafstörungen an Problemen mit der Atemmuskulatur, könne eventuell eine Masken-Therapie (CPAP) Linderung verschaffen.
Bei Problemen mit der Atemmechanik gilt es, an Atemmuskulatur und -Technik zu arbeiten, mit Logopädie, Yoga oder Techniken wie Lippenbremse und Kutschersitz, wie sie aus der Asthma-Therapie bekannt sind. Inhalatoren brächten dagegen in der Regel nichts.
Bei Long-Covid-Patienten würden auch gehäuft Histamin-Intoleranzen beobachtet. »Eine Histamin-arme Ernährung muss hier meist nicht dauerhaft sein«, so Frommhold. Als Medikamente kommen Desloratadin, Famotidin und Cromoglicinsäure infrage.
Bei kardialen Symptomen wie einer Perimyokarditis oder einem posturalen Tachykardie-Syndrom (POTS) behandle man mit Candesartan, Atorvastatin oder Rosuvastatin, NSAR oder Colchicin und speziell bei POTS auch mit Ivabradin.
Neigt der Patient zu Mikroembolien, sei Ginkgo das Mittel der Wahl. Alternativen seien ASS oder Clopidogrel, Heparin s.c. oder ein DOAK. »Hier darf man aber keine Off-Label-Triple-Therapie machen«, warnte Frommhold.
Steckt sich ein Long-Covid-Patient erneut mit Corona an, könne man es mit Paxlovid versuchen. Laut Frommhold sei der Nutzen einer »therapeutischen Corona-Impfung«, also eines Boosters, noch nicht bestätigt.
Das sieht Frommhold kritisch. »Die Patienten kommen oft mit Bergen von Nahrungsergänzungsmitteln zu uns. Wir raten ihnen dann, erst einmal zu pausieren. Gerade hier wird viel Schindluder getrieben«, so die Ärztin mit Blick auf die Vermarktung. Probiotika können aus ihrer Sicht sinnvoll sein, »alles andere eher nicht«.
Von teuren Selbstzahler-Leistungen wie einer Help-Apharese (gegebenenfalls bei Gerinnungsstörungen) oder hyperbaren Sauerstofftherapie (nur bei kognitiven Problemen, nicht bei Fatigue) riet sie eher ab – »das kommt erst in Frage, wenn alle anderen Möglichkeiten inklusive der Physio-, Ergo- und Psychotherapie ausgeschöpft sind«.
Wichtig sei, zwar eine gewisse Krankheitsakzeptanz zu entwickeln, aber die Symptome auch nicht einfach hinzunehmen, sondern Hilfe zu suchen und eine Behandlung zu beginnen, denn zumindest eine Linderung sei meist möglich. »Wir haben zwar noch keine zugelassenen Medikamente, aber dass man gar nichts machen kann, stimmt auch nicht.« Dabei sollte man stufenweise vorgehen und eine Multimedikation möglichst vermeiden. »Medikamente sollten ohnehin nur Teil eines Gesamtkonzepts sein«, erinnerte Frommhold.
Die Patienten seien in der Regel sehr motiviert, auch in Eigenregie Übungen zu machen. Zudem gibt es für Long-Covid-Patienten mit Fatigue die Fimo Health App für das Selbstmanagement. Sie ist nicht im DiGA-Verzeichnis gelistet, einige Krankenkassen übernehmen jedoch die Kosten. Bei kognitiven Einschränkungen sei die App NeuroNation empfehlenswert, ein Gedächtnistraining, das in der limitierten Version kostenlos ist.