Migräne kommt häufiger im Gesundheitswesen vor |
Alexandra Amanatidou |
29.09.2025 14:00 Uhr |
Laut dem aktuellen Morbiditäts- und Sozialatlas des Barmer-Instituts für Gesundheitssystemforschung weise kein anderer Berufszweig einen so hohen Anteil an Menschen mit Kopfschmerzen oder Migräne auf wie das Gesundheits- und Sozialwesen. / © Getty Images/Phynart Studio
Der aktuelle bifg der Krankenkasse macht Unterschiede zwischen Regionen, Branchen und Einkommen sichtbar. Die Daten stammen aus dem Jahr 2023. Routinedaten der Barmer wurden unter Einbeziehung von soziodemografischen Faktoren, Regionalität und Morbidität auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands hochgerechnet.
Neben den Prävalenzen der verschiedenen Krankheiten und Krankheitskategorien werden im Morbiditäts- und Sozialatlas auch die Anzahl der verordneten Arzneimittel und die Verordnungsmengen dargestellt. Zur Klassifikation der Arzneimittel wird die Anatomisch-Therapeutisch-Chemische (ATC)-Klassifikation mit definierten Tagesdosen (DDD, Defined Daily Doses) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verwendet, wobei die Auswertung auf Ebene der Wirkstoffe und nicht auf Ebene der Handelspräparate erfolgt.
»Die Krankheitslast in Deutschland ist nicht gleich verteilt, weder geografisch noch beruflich. Das muss bei bestehenden Präventionsstrategien stärker berücksichtigt werden«, sagt Barmer-Chef Christoph Straub. So zeigt die aktuelle Analyse erhebliche regionale Unterschiede bei der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen. Neben geografischen Unterschieden analysiere die Barmer auch branchenspezifische Belastungen.
Laut der Analyse weise kein anderer Berufszweig einen so hohen Anteil an Menschen mit Kopfschmerzen oder Migräne auf wie das Gesundheits- und Sozialwesen. Im Jahr 2023 sollen 73 von 1.000 Erwerbstätigen in dieser Branche deswegen ärztliche Hilfe gesucht haben.
Aber Menschen in diesem Berufszweig sollen auch von anderen Erkrankungen häufiger betroffen sein, etwa von Adipositas, Angststörungen, Bandscheibenerkrankungen, chronischen Schmerzen, Depressionen, Essstörungen, Hypotonie oder Struma.
»Im Gesundheits- und Sozialwesen arbeiten besonders viele Frauen. Erkrankungen, die mit Kopfschmerzen einhergehen, treten bei ihnen dreimal häufiger auf als bei Männern«, sagt Barmer-Chef Straub. Die erfassten Krankheitsraten seien vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. »Gerade in besonders belasteten Branchen müssen Unternehmen riskostratifizierte und gendergerechte Gesundheitsangebote entwickeln, damit ihre Beschäftigten möglichst langfristig leistungsfähig und gesund bleiben.«
Bei der Analyse von Barmer fällt auf, dass der Erkrankungsanteil umso höher ist, je niedriger das Einkommen ist. Konkret betrifft dies Einkommen unter 15.000 Euro oder zwischen 15.000 und 20.000 Euro pro Jahr.
Von Abhängigkeiten und chronischen Erkrankungen sind laut der Analyse überwiegend Menschen mit niedrigem Einkommen betroffen. Dazu zählen Alkoholmissbrauch, Angststörungen, chronische Hepatitis, chronische Schmerzen, Depressionen, chronisch obstruktive Bronchitis, Epilepsie, Essstörungen, AIDS und Kokainmissbrauch sowie Migräne.
Auch Herzinfarkte, Schlaganfälle und Herzstillstand sollen häufiger einkommensschwächere Gruppen treffen. Das soll auch für Krankheiten wie bösartige Neubildungen der Brustdrüse, Multiple Sklerose, Sepsis/SIRS und Skoliosen gelten. Sogar der Anteil an Asthma bronchiale steige bei niedrigeren Einkommen.
Auch zwischen Ost- und Westdeutschland weist der Atlas Unterschiede auf. Das gilt insbesondere für Herz-Kreislauf-Leiden. So ist laut Erhebung der Anteil der Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen im Jahr 2023 rund 75 bis 90 Prozent höher als der Bundesdurchschnitt. In diesen Ländern litten demnach zwischen 70 und 77 von 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner an Herzinsuffizienz.
Hamburg und Bremen schnitten laut dem Atlas deutlich besser ab. Hier lag die Zahl der Betroffenen lediglich bei 25 beziheungsweise 26 pro 1.000 Einwohner. Die unterschiedliche Betroffenheit von Herzinsuffizienz ist demnach Ausdruck der unterschiedlichen Altersstruktur in den Ländern. »Da die Krankheit vor allem mit steigendem Alter und auch infolge anderer Herzerkrankungen auftritt, sollten die regionalen Unterschiede bei entsprechenden Versorgungsstrukturen vor Ort beachtet werden«, sagt Barmer-Chef Straub.
Auch bei Migräne und anderen Kopfschmerzerkrankungen, von denen besonders häufig Frauen betroffen sind, zeigen sich Auffälligkeiten. Während in Bremen und Hamburg je 33 von 1.000 Menschen betroffen sind, liegt die Quote in Thüringen bei 41. Auf Ebene der Landkreise reichte die Spannweite von 26 bis 57 Betroffenen pro 1.000 Menschen im Vergleich zwischen dem Altmarkkreis Salzwedel und dem Landkreis Hildburghausen. »Deutliche regionale Unterschiede bei der Häufigkeit einzelner Erkrankungen dürfen nicht als Zufall betrachtet und hingenommen werden. Sie zeigen, wo in Deutschland gezielte Gesundheitsförderung dringend notwendig ist«, so Straub.