Metamizol zurückhaltend einsetzen |
Annette Rößler |
21.12.2022 14:00 Uhr |
Bei starken akuten Schmerzen nach einer Verletzung kann Metamizol gegeben werden. Während der Anwendung sollten wegen möglicher schwerwiegender Nebenwirkungen regelmäßig die Blutwerte kontrolliert werden. / Foto: Adobe Stock/Elnur
Im aktuellen »Bulletin zur Arzneimittelsicherheit« gibt eine Gruppe von BfArM-Mitarbeitern um Apothekerin Dr. Charlotte Lübow ein Update zu möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen des Analgetikums und Antipyretikums Metamizol. Dies sind vor allem eine Agranulozytose und ein arzneimittelbedingter Leberschaden sowie bei parenteraler Gabe auch eine hypotensive Reaktion.
Die Agranulozytose ist eine schwere Form der Neutropenie mit weniger als 500 neutrophilen Granulozyten pro µl Blut. Durch den extremen Mangel an Neutrophilen steigt die Infektanfälligkeit des Patienten. Symptome wie eine Verschlechterung des Allgemeinzustands, Fieber, Schüttelfrost, Schleimhaut- und Mandelentzündungen treten meist erst dann auf, wenn es zu einer Infektion gekommen ist, können aber auch fehlen, wenn der Patient gleichzeitig ein Antibiotikum anwendet.
Infektionen können bei Patienten mit Agranulozytose lebensbedrohlich verlaufen: Dem BfArM wurden im Jahr 2020 insgesamt 65 Fälle einer Agranulozytose mit vermutetem Zusammenhang mit einer Metamizol-Einnahme gemeldet, von denen vier einen tödlichen Verlauf nahmen. Bei jedem Verdacht auf eine Agranulozytose ist Metamizol sofort abzusetzen und danach nicht wieder zu verwenden. Mit dem Abbruch der Behandlung dürfe nicht gewartet werden, bis die Ergebnisse einer Blutuntersuchung vorliegen, betonen die Autoren.
Da eine Agranulozytose prinzipiell jederzeit während der Behandlung mit Metamizol auftreten kann, auch gleich zu Beginn, müssen Patienten für mögliche Anzeichen sensibilisiert werden. Eine rasche Entwicklung einer Agranulozytose nach Behandlungsstart wurde insbesondere bei Patienten beobachtet, die in der Vergangenheit schon einmal Metamizol angewendet hatten. Ein tödlicher Ausgang war bei Älteren und bei Patienten, die gleichzeitig Methotrexat anwendeten, häufiger, weshalb die Komedikation mit dem Folsäure-Antagonisten vermieden werden sollte. Bei allen Patienten sollte unter der Behandlung mit Metamizol regelmäßig ein Differenzialblutbild erstellt und die Anwendung bereits bei Vorliegen einer Neutropenie (<1500 Neutrophile/µl Blut) sofort beendet werden.
Außer dem Blutbild sollten bei Patienten unter Metamizol-Einnahme auch die Leberwerte bestimmt werden, um eine weitere potenziell schwerwiegende Nebenwirkung frühzeitig zu erkennen: einen arzneimittelbedingten Leberschaden (Drug-Induced Liver Injury, DILI). Auch dieser kann bereits wenige Tage nach Behandlungsbeginn auftreten, aber auch erst nach Monaten. Typische Symptome sind erhöhte Leberenzymwerte im Serum mit oder ohne Ikterus sowie unter anderem Hautausschlag und Fieber. Auch beim Auftreten eines Metamizol-bedingten DILI gilt: Das Medikament sofort absetzen und nie mehr erneut anwenden.
Im Gegensatz zur Agranulozytose, die als Nebenwirkung von Metamizol schon seit Langem bekannt ist, wurde ein Zusammenhang mit DILI erst 2019 festgestellt. Nachdem die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den Verdacht bestätigt hatte, gab es 2020 einen entsprechenden Rote-Hand-Brief und die Aufnahme von DILI als mögliche Nebenwirkung in die Fach- und Gebrauchsinformationen von Metamizol-haltigen Präparaten.
Sowohl die Agranulozytose als auch DILI sind sehr seltene Nebenwirkungen bei der Anwendung von Metamizol. Zwischen 2010 und 2020 wurden dem BfArM insgesamt 37 Verdachtsfälle eines DILI im Zusammenhang mit Metamizol gemeldet; in der Fachinformation wird die Nebenwirkung mit der Häufigkeit »nicht bekannt« geführt. Dennoch hält es das BfArM für notwendig, erneut darauf hinzuweisen, da Metamizol so häufig verordnet wird. Im ambulanten Bereich habe sich die Zahl der zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordneten Tagesdosen in zehn Jahren mehr als verdoppelt, nämlich von circa 123 Millionen im Jahr 2010 auf 259 im Jahr 2020.
Auch stationär werde Metamizol häufig eingesetzt, obwohl hier konkrete Zahlen fehlten. Mit Blick auf die parenterale Anwendung von Metamizol, die zumeist stationär erfolgt, weisen die BfArM-Autoren noch auf eine weitere potenziell schwerwiegende Nebenwirkung hin: eine hypotensive Reaktion. Um dieses Risiko zu minimieren, solle Metamizol parenteral nur gegeben werden, wenn eine orale oder rektale Anwendung nicht möglich ist, und dann auch nur langsam und bei kreislaufstabilen Patienten.
Last, but not least solle Metamizol nur bestimmungsgemäß eingesetzt werden, also nur zur Behandlung von starken akuten Schmerzen nach einer Verletzung oder Operation, bei Koliken oder bei Tumorschmerzen sowie bei hohem Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht. Bei anderen starken akuten oder chronischen Schmerzen dürfe Metamizol nur angewendet werden, wenn andere therapeutische Maßnahmen nicht angezeigt sind.
Dieser Hinweis auf die indikationsgemäße Anwendung scheint ganz und gar nicht überflüssig, denn es gibt Anzeichen dafür, dass jede vierte Metamizol-Verordnung nicht indikationsgemäß erfolgt. Die BfArM-Autoren betonen aber auch, dass Metamizol bei bestimmungsgemäßer Anwendung ein wirksames Analgetikum und Antipyretikum mit positivem Nutzen-Risiko-Verhältnis sei.