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Selbstbestimmtes Sterben

14.06.2004  00:00 Uhr
. Pharmacon Meran 2004

Selbstbestimmtes Sterben

Mit dem Thema Patientenautonomie am Ende des Lebens griff der Wissenschaftliche Beirat der Bundesapothekerkammer wiederum ein ethisch-philosophisch und juristisch gleichermaßen ungeklärtes und umstrittenes Thema auf. Der Philosophieprofessor Dr. Franz Josef Wetz, Gießen, fokussierte seine Betrachtung auf die aktive Sterbehilfe, während der Mannheimer Jurist Professor Dr. Jochen Taupitz auch auf Patientenverfügung und Bestellung eines Gesundheitsbevollmächtigten einging.

Die ausführliche Diskussion unter Leitung von Dr. Ulrich Geiger, der die erste Hälfte des Kongresses moderierte, zeigte das tiefe Interesse der Apotheker an diesem Thema.

In der Diskussion um die Legitimität der Sterbehilfe geht es vorrangig um den Konflikt zwischen sinnvoller Lebensrettung und unzumutbarer Lebensverlängerung. Zudem müssen mögliche Gefahren gegenüber wirklichem Leid abgewägt werden. Sowohl die passive als auch die indirekte Sterbehilfe, also der Einsatz schmerzlindernder Medikamente trotz des Risikos einer Lebensverkürzung, sind in Deutschland zulässig oder zumindest geduldet, erläuterte Wetz. Auch die "Beihilfe zur Selbsttötung" ist straffrei.

Dagegen ist jede aktive Form einer Tötung auch auf Verlangen verboten. Obwohl eine Neuregelung eine breite öffentliche Diskussion erfordert, werde diese kaum geführt. Zu sehr fürchten Politik und Gesetzgebung eine Spaltung der Gesellschaft an den schwierigen Fragen, erklärte Wetz.

Argumentativ sei der Zwiespalt nicht zu lösen, sagte Wetz und sprach von einer "Ohnmacht der Argumente". Zu jedem Argument der Gegner der aktiven Sterbehilfe könne man Gegenpositionen formulieren. Gegner befürchten eine ungewollte Aufweichung des ärztlichen Respekts vor dem Leben sowie einen starken psychischen Druck auf schwerst kranke Menschen und ihre Angehörigen und Pfleger. Sie warnen davor, dass die Spaßgesellschaft Leid und Verzweiflung verdränge und den Hilferuf der Betroffenen nicht mehr höre. Befürworter weisen unter anderem daraufhin, dass aktive und passive Sterbehilfe zum gleichen Ergebnis, nämlich zum Tod des qualvoll Lebenden, führen. Zudem ließen sich Elend und Leid gar nicht aus dem Leben verbannen, und auch eine gute Palliativtherapie könne nicht alle Probleme des Leidenden lösen.

Im Disput berufen sich heute fast alle Seiten auf das Prinzip der Menschenwürde. Doch die Idee der Würde – unabhängig davon, ob man sie von einer göttlichen Berufung, vernunftabhängigen Bestimmung oder menschlicher Bewertung ableitet – sei viel zu allgemein, als dass man damit eine eindeutige Position festlegen könne, sagte der Philosoph. Bei allen drei Vorstellungen zu Wesen und Begründung der Menschenwürde gebe es Möglichkeiten, die aktive Sterbehilfe zu begründen oder abzulehnen. Hier werde eine "Ohnmacht der Prinzipien" deutlich.

Bei soviel Unklarheit plädierte der Philosoph für eine pragmatische Lösung, einen Kompromiss. Diesen sieht er im ärztlich assistierten Suizid, der unter bestimmten Grundvoraussetzungen erlaubt werden solle. Danach lässt der Kranke sich vom Arzt ein tödlich wirkendes Mittel geben, mit dem er sich selbst das Leben nehmen kann, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hält. Dies sei mit dem ärztlichen Ethos vereinbar. Allerdings kann der Patient vom Arzt die Unterstützung gegen dessen Willen und Verantwortung nicht verlangen. Auf die Gefahr des Missbrauchs müsse man bei jeder Form der Sterbehilfe achten, schloss der Referent.


Autonomie als höchstes Gut

An diesen Punkten knüpfte Jurist Taupitz an. Entgegen häufiger Vermutung sei das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, seine Autonomie, und nicht das Leben selbst das höchste, von der Verfassung geschützte Gut. Ohne Einwilligung des Patienten darf keine Behandlung und auch keine Weiterbehandlung erfolgen. Dieser "verbietende Charakter der Patientenautonomie ist schrankenlos". Allerdings folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht kein Anspruch auf eine bestimmte ärztliche Behandlung. Hinzu kommen muss immer die ärztliche Indikation und Entscheidung.

Mit der Menschenwürde lasse sich die aktive Sterbehilfe weder begründen noch ablehnen, stimmte der Jurist dem Philosophen zu. Diese sei zu Recht in Deutschland verboten. Selbstbestimmung bedeute jedoch zugleich Selbstverantwortung. Es sei allerdings fraglich, ob ein Mensch in existenziell so bedrängender Situation diese Last auch tragen und dem moralischen Druck der Gesellschaft standhalten könne. Man sollte die Erfahrungen anderer Länder abwarten und verfolgen, wie Menschen mit dieser Selbstverantwortung am Ende des Lebens umgehen können, schlug Taupitz vor.

Ein weiteres Problem betrifft die Einwilligungsfähigkeit. Man geht heute davon aus, dass Menschen einwilligungsfähig sind, wenn sie Wesen, Bedeutung und Tragweite einer medizinischen Maßnahme verstehen. Ob eine Person diese Kriterien erfüllt, muss der Arzt in eigener Verantwortung, ohne rechtlichen Rahmen, entscheiden – eine schwere Bürde, für Taupitz ein „Skandal“. Problematisch wird es, wenn Menschen sich gar keinen Willen bilden können, weil sie beispielsweise bewusstlos sind. Hier greift die Pflicht des Staates und des Arztes zu Schutz, Fürsorge und Hilfe. Angelehnt am Selbstbestimmungsrecht des Patienten orientiert man sich in diesen Situationen am Rechtskonstrukt der „mutmaßlichen Einwilligung“. Dazu fragt man beispielsweise nach früheren Äußerungen, Einstellung und religiöser Bindung des individuellen Menschen.

Eine Bestimmung, welche Maßnahmen man in bestimmten Situationen wünscht oder ablehnt, kann man in einer "Patientenverfügung" niederschreiben. In Deutschland habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass diese Verfügung für den Arzt bindend ist, berichtete der Jurist. "Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten begrenzt die Hilfeleistungspflicht des Arztes." Die Willenserklärung verliere ihre Gültigkeit auch nicht nach Ablauf einer gewissen Zeit. Gleichwohl unterstreiche es die Authentizität der Verfügung, wenn der Verfasser diese regelmäßig wieder unterschreibt.

Taupitz wies auf eine Besonderheit hin: Wie jede Zustimmung zu einer medizinischen Maßnahme ist auch eine im Voraus verfügte Einwilligung nur wirksam bei erfolgter ärztlicher Aufklärung. Wer eine Maßnahme für sich selbst ablehnt, kann dies ohne Aufklärung verbindlich tun. Wird diese Unterlassung allerdings voraussichtlich zum Tod führen, sollte eine ärztliche Aufklärung erfolgen und dokumentiert werden, damit der Wunsch als verbindlich geachtet wird.

Flankierend sollte jeder Patient einen Vertrauten zum Gesundheitsbevollmächtigten bestellen, der ebenfalls über einen Eingriff entscheiden kann, riet Taupitz dringend. Nach seiner Ansicht ist jedoch bei jeder „Lebensentscheidung für andere“ die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einzuholen. Dabei dürfe das Gericht nur eine Missbrauchskontrolle vornehmen. /

 

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