Pharmazeutische Zeitung online

Forschung an Kindern mit Grundgesetz vereinbar

02.06.2003  00:00 Uhr
Pharmacon Meran 2003

Forschung an Kindern mit Grundgesetz vereinbar

Professor Dr. Jochen Taupitz brachte den Naturwissenschaftlern in seinem Vortrag den rechtlichen Rahmen für Studien an Einwillungsunfähigen nahe. Der Mannheimer Jurist, Mitglied im Nationalen Ethikrat, verwies darauf, dass jedes Verabreichen von nicht dafür zugelassenen Arzneimitteln an Kinder einen individuellen Heilversuch darstelle.

Die dafür notwendigen Daten und Kenntnisse fehlen zumeist. Klinische Studien mit konkret Betroffenen seien auszuweiten und ethisch meist unbedenklich, da sie dem Wohl des Minderjährigen dienen.

Der Referent beleuchtete vorrangig die Frage, wie Studien an gesunden Minderjährigen zum Wohle anderer, so genannte gemeinnützige Studien, rechtlich einzuordnen sind. Schließlich könnten Kinderkrankheiten nur an Kindern erforscht werden, und die Physiologie von gesunden Kindern müsse bekannt sein, um kranken effizient zu helfen.

Das Arzneimittel- und das Medizinproduktegesetz beziehen klar Stellung gegen gruppennützige Forschung und verbieten diese. Die europäische Arzneimittelrichtlinie hingegen differenziert hier und erlaubt Forschung, die für die Patientengruppe einen direkten Nutzen bringt oder aber „ihrem Wesen nach nur an Minderjährigen durchgeführt werden“ kann.

Die Menschenrechtskommission für Biomedizin des Europarates sichert die gruppennützige Forschung gegen Missbrauch mit mehrstufigen Maßnahmen ab. So ist neben der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter eine kindgerechte Aufklärung des kleinen Patienten notwendig. Diesem stehe außerdem ein Vetorecht zu, mit dem er die Teilnahme an der klinischen Prüfung von vorne herein ablehnen oder diese vorzeitig abbrechen kann. Das mit der Studie verbundene Risiko sowie die Belastung durch Schmerzen, Beschwerden oder Angst müssen minimal gehalten werden.

Diese Risikoschwelle definiert eine unabhängige interdiziplinäre Ethikkommission, die den Prüfplan begutachten muss. Darüber hinaus sollte die Kommission jede Studie begleiten und ein Monitoring durchführen, so dass eine Neubewertung der Studie schnell ermöglicht wird, forderte der Referent. Weiterhin plädierte er für eine Kontrolle durch eine Vertrauensperson, die zusätzlich für den Schutz des Kindes sorgen und dessen individuellen Besonderheiten berücksichtigen sowie den Eltern als konkreter Ansprechpartner zur Verfügung stehen sollte.

Die europäische Richtlinie schreibt überdies fest, dass die Interessen des Patienten stets über denen der Wissenschaft und der Gesellschaft stehen müssen. So verbietet sie finanzielle Anreize für die Studien, um einem Missbrauch entgegenzuwirken.

In Deutschland wurde die Richtlinie des Europarates bislang nicht umgesetzt. Der Gesetzgeber beruft sich auf die Verfassung mit dem Argument, ein Kind, das an einer gruppennützigen Forschung teilnimmt, werde „für Zwecke anderer instrumentalisiert“ und somit in seiner Menschenwürde verletzt. Der Referent bezweifelte jedoch, dass eine „verächtliche“ und „erniedrigende“ Behandlung des Kindes in einer klinischen Studie – mit den genannten Schutzmechanismen – vorliegt. Vielmehr stellte er die Frage, ob die Menschenwürde der kranken Kinder sowie Prinzipien wie Solidarität nicht auch eine Rolle spielen sollten. Der Eigennutzen für den Betroffenen dürfe nicht das Maß aller Dinge sein. Auch Studien an todkranken Kindern, die keine Aussicht auf eine Heilung mehr haben, müssten unter strengen Kriterien erlaubt werden, um anderen Betroffenen zu helfen. Sonst käme man zu der absurden Konsequenz, dass gerade in der Therapie lebensbedrohlicher Erkrankungen kein Fortschritt erzielt werden könne.

Taupitz hält gruppennützige Forschung daher für mit der deutschen Verfassung vereinbar und die Regelungen des AMG und MPG für zu streng. Die europäische Arzneimittelrichtlinie entspreche mit ihren Schutzmaßnahmen den Anforderungen des Grundgesetzes und müsse auch in Deutschland umgesetzt werden.

 

Zurück zur Übersicht

 

Top

© 2003 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa