Mehr Sicherheit bei Arzneimitteln plus Nahrunsgergänzungsmittel |
Der erste Schritt ist immer die Erfassung der Gesamtmedikation in der Apotheke. Nach dem Patientengespräch wird eine pharmazeutische AMTS-Prüfung durchgeführt, die sämtliche Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel erfasst. / Foto: ABDA
Der vorliegende Fallbericht stammt aus einer Apotheke aus Thüringen, die seit 2016 am ARMIN-Medikationsmanagement teilnimmt und aktuell etwa 60 Patienten gemeinsam mit fünf verschiedenen Ärzten betreut.
Die Patientin M. M. ist Anfang 50, stets besorgt um ihre Gesundheit und wendet laut Patientendatei mehr als fünf Arzneimittel in der Dauermedikation an. Sie willigte daher gern zur Teilnahme am ARMIN-Medikationsmanagement ein. Der Betreuungsprozess startete regulär mit einer Brown-Bag-Analyse in der Apotheke.
Frau M. M. nahm nach eigenen Aussagen gegen ihre Hypertonie eine Kombination aus den vier Wirkstoffen Ramipril, Hydrochlorothiazid, Amlodipin und Metoprolol ein. Aufgrund einer dauerhaften Unterfunktion nach operativem Eingriff an der Schilddrüse wurden außerdem regelmäßig Levothyroxin 175 µg, Calcitriol 0,5 µg und Calcium 500 mg Kautabletten sowie aufgrund klimakterischer Beschwerden ein Mönchspfeffer-Präparat (auf grünem Rezept) verordnet. Bei ihrem letzten Besuch hatte die Patientin zudem ein Ibuprofen-Präparat als Bedarfsmedikation für ihre Migräne sowie ein Kombinationspräparat aus Baldrian, Hopfen und Melisse »zur Beruhigung« gekauft.
Frau M. M. brachte zum Termin alle besagten Arzneimittel mit und benannte sämtliche Einnahmegründe und die von ihr eingenommenen Dosierungen. Zusätzlich hatte sie noch insgesamt elf Nahrungsergänzungsmittel dabei und bemerkte: »Bei den ganzen Beschwerden, die ich habe, muss ich unbedingt auch selber was machen.« Die Patientin gab an, alle Mittel via Teleshopping erworben zu haben und alle aktuell auch einzunehmen. Die NEM wurden im Patientengespräch namentlich erfasst, ebenso wie der Einnahmegrund und die Dosierungen laut Patientin. Erst nach dem Gespräch wurden die Inhaltsstoffe der einzelnen Präparate recherchiert und die Gesamtmenge der enthaltenen Mineralstoffe und Vitamine in allen Präparaten als Spanne (da drei der Präparate als »Kur« über einen begrenzten Zeitraum hinweg, ein Präparat gegen Völlegefühl als Bedarfsmedikation eingenommen wurden) errechnet.
Sämtliche Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel wurden einer pharmazeutischen AMTS-Prüfung unterzogen. Hierbei wird systematisch auf vorliegende arzneimittelbezogene Probleme (ABP) geprüft. Der Interaktionscheck lieferte einen Hinweis auf eine Interaktion des eingenommenen Diuretikums Hydrochlorothiazid mit dem Calcium-Präparat und dem Calcitriol. Als Maßnahme empfiehlt die ABDA-Datenbank eine regelmäßige Überprüfung der Calciumkonzentration im Serum, um eine Hypercalcämie zu verhindern. Eine weitere Wechselwirkung, nämlich die des Levothyroxins mit den Calcium-Tabletten, wird durch eine zeitlich versetzte Gabe umgangen. Dies wurde so bereits von der Patientin umgesetzt.
Zur Bewertung wurde die errechnete täglichen Gesamtmenge an Vitaminen und Mineralstoffe in den NEM, als Spanne, mit den drei folgenden Empfehlungen verglichen (Tabelle):
Vitamin/Mineralstoff | tägliche Gesamtdosis aller NEM | D-A-CH Referenzwert | UL* | Höchstmengenvorschlag BfR |
---|---|---|---|---|
Vitamin A | 1,55 bis 3,15 mg | 0,7 mg | 1,5 bis 3,0 mg | 0,2 mg |
Vitamin B1 (Thiamin) | 1,1 mg | 1,0 mg | - | - |
Vitamin B2 (Riboflavin) | 1,4 bis 2 mg | 1,0 mg | - | - |
Vitamin B5 (Pantothensäure) | 2,4 bis 14,4 mg | 6,0 mg | - | - |
Vitamin B6 | 0 bis 2,8mg | 1,4 mg | 20 mg | 3,5 mg |
Vitamin B12 | 4,7 bis 10,7 µg | 4,0 µg | 100 µg | 25 µg |
Vitamin C | 130 bis 230 mg | 95 mg | 1000 mg | 250 mg |
Vitamin E | 17 bis 29 mg | 12 mg | 300 mg | 30 mg |
Eisen | 14,76 mg | 10 mg | - | 6 mg (nur für Frauen von 14 bis ca. 50 Jahren) |
Zink | 18,8 bis 33,8 mg | 7,0 bis 10 mg | 25 mg | 6,5 mg |
Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass bei Eisen, Zink und Vitamin A eine Überschreitung aller drei Referenzgrößen (sofern vorhanden) vorlag. Aus diesem Grund wurde eine nähere Betrachtung der verwendeten Quellen durchgeführt:
Für Zink liegt das UL für Erwachsene bei 25 mg pro Tag, wobei jedoch die höchste Aufnahme oder experimentell verabreichten Dosen von Zink in einzelnen Untersuchungen, die keine unerwünschte Wirkung ergaben, bei 50 mg pro Tag lag.
Zu Eisen merkt das BfR an, dass dieses generell nur nach ärztlich diagnostiziertem Mangel supplementiert werden sollte, und empfiehlt einen entsprechenden Warnhinweis auf NEM. Lediglich für Frauen von 14 bis circa 50 Jahren (vor der Menopause) wird eine Ausnahme gemacht. Die in der Tabelle genannte Höchstmengenempfehlung von 6 mg gilt daher auch nur für diese Gruppe.
Für Vitamin A liegt das UL bei 3,0 mg (Vitamin A in Retinoläquivalenten), um lebertoxische Wirkungen des Vitamins auszuschließen. In der Publikation von 2004 wies das BfR darauf hin, dass in einzelnen Studien für bestimmte Risikogruppen schon bei einer dauerhaften täglichen Einnahme von 1,5 mg Vitamin A ein erhöhtes Risiko für verminderte Knochenmineraldichte und Spontanfrakturen nachgewiesen werden konnte und somit hier das UL bei 1,5 mg anzusetzen sei. Zu diesen Risikogruppen, ist aufgrund ihrer Dauermedikation auch Frau M. M. zu zählen.
In seiner 2018er-Publikation merkt das BfR an, dass Vitamin A ausschließlich von Personen supplementiert werden sollte, die einer zusätzlichen Aufnahme tatsächlich bedürfen. Der Höchstmengenvorschlag von 0,2 mg Vitamin A in Retinoläquivalenten wurde so gewählt, dass das Risiko für unerwünschte gesundheitliche Effekte in adäquat versorgten Bevölkerungsgruppen aus Sicht des BfR nicht erheblich erhöht wird.
Nach Übermittlung des vorläufigen Medikationsplans und telefonischer Rücksprache mit der Hausärztin besprach die Apothekerin in einem Folgegespräch mit Frau M. M. folgende Maßnahmen:
Im Anschluss wurde der Medikationsplan finalisiert (Abbildung), ausgedruckt, erläutert und ausgehändigt. Die Patientin war sehr dankbar für die Rückmeldungen und erläuterte, dass ihr nicht bewusst gewesen war, dass von den NEM Risiken ausgehen können.
Abbildung: Von Ärztin, Apothekerin und Frau M. M. gemeinsam abgestimmter Medikationsplan / Foto: PZ/ARMIN
Bei einem NEM geht der Verbraucher in der Regel davon aus, dass die Anwendung »wenigstens nicht schadet, wenn es denn nichts nützt«. Dieser Patientenfall veranschaulicht jedoch, dass NEM zumindest potenziell Risiken aufweisen können. Bei der Analyse der Einzelzusammensetzung der Präparate von Frau M. M. stellten sich zudem Fragen nach der Sinnhaftigkeit ihrer Gesamtkomposition.
Im Einzelfall ist es jedoch nicht immer einfach, Patienten mit Sachargumenten vom Konsum dieser Produkte abzuhalten. Ein hilfreiches Argument, zusätzlich zum Sicherheitsaspekt, können die Kosten sein. Nach eigener Berechnung muss Frau M.M. für einen Jahresbedarf ihrer elf NEM etwa 900 bis 1200 Euro ausgeben, je nachdem, welche Packungsgrößen sie kauft. In diesem Betrag sind die Versandkosten noch nicht enthalten.
Des Weiteren verdeutlicht der Fall, wie wichtig es sein kann, im Einzelfall die gesamten häuslichen Arzneimittelvorräte und NEM zu überprüfen. Nur so können Probleme überhaupt erkannt und gelöst werden. Durch die kontinuierliche Weiterbetreuung wird die Sicherheit im Umgang mit Arzneimitteln und NEM dauerhaft erhöht.
Literatur bei den Verfassern