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ARMIN-Medikationsmanagement

Mehr Sicherheit bei Arzneimitteln plus Nahrunsgergänzungsmittel

Viele Kunden nehmen neben ihren Arzneimitteln zusätzlich Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ein. Häufig ist ihnen nicht bewusst, dass diese potenziell auch Risiken bergen können. Eine pharmazeutische Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) kann die Sicherheit im Umgang mit Arzneimitteln und NEM dauerhaft erhöhen.
AutorKontaktDiana Heyer
AutorKontaktDirk Klintworth
AutorKontaktUta Müller
AutorKontaktMartin Schulz
Datum 26.12.2020  11:00 Uhr

Der vorliegende Fallbericht stammt aus einer Apotheke aus Thüringen, die seit 2016 am ARMIN-Medikationsmanagement teilnimmt und aktuell etwa 60 Patienten gemeinsam mit fünf verschiedenen Ärzten betreut.

Die Patientin M. M. ist Anfang 50, stets besorgt um ihre Gesundheit und wendet laut Patientendatei mehr als fünf Arzneimittel in der Dauermedikation an. Sie willigte daher gern zur Teilnahme am ARMIN-Medikations­management ein. Der Betreuungsprozess startete regulär mit einer Brown-Bag-Analyse in der Apotheke.

Frau M. M. nahm nach eigenen Aussagen gegen ihre Hypertonie eine Kombination aus den vier Wirkstoffen Ramipril, Hydrochlorothiazid, Amlodipin und Meto­prolol ein. Aufgrund einer dauerhaften Unterfunktion nach operativem Eingriff an der Schilddrüse wurden außerdem regelmäßig Levothyroxin 175 µg, Calcitriol 0,5 µg und Calcium 500 mg Kautabletten sowie aufgrund klimakterischer Beschwerden ein Mönchspfeffer-Präparat (auf grünem Rezept) verordnet. Bei ihrem letzten Besuch hatte die Patientin zudem ein Ibuprofen-Präparat als Bedarfsmedikation für ihre Migräne sowie ein Kombinationspräparat aus Baldrian, Hopfen und Melisse »zur Beruhigung« gekauft.

Erfassung der Medikation

Frau M. M. brachte zum Termin alle besagten Arzneimittel mit und benannte sämtliche Einnahmegründe und die von ihr eingenommenen Dosierungen. Zusätzlich hatte sie noch insgesamt elf Nahrungsergänzungsmittel dabei und bemerkte: »Bei den ganzen Beschwerden, die ich habe, muss ich unbedingt auch selber was machen.« Die Patientin gab an, alle Mittel via Teleshopping erworben zu haben und alle aktuell auch einzunehmen. Die NEM wurden im Patientengespräch namentlich erfasst, ebenso wie der Einnahmegrund und die Dosierungen laut Patientin. Erst nach dem Gespräch wurden die ­Inhaltsstoffe der einzelnen Präparate recherchiert und die Gesamtmenge der enthaltenen Mineralstoffe und Vitamine in allen Präparaten als Spanne (da drei der Präparate als »Kur« über einen begrenzten Zeitraum hinweg, ein Präparat gegen Völlegefühl als Bedarfsmedikation eingenommen wurden) errechnet.

Sämtliche Arznei- und Nahrungs­ergänzungsmittel wurden einer pharmazeutischen AMTS-Prüfung unterzogen. Hierbei wird systematisch auf vorliegende arzneimittelbezogene Probleme (ABP) geprüft. Der Interaktionscheck lieferte einen Hinweis auf eine Interak­tion des eingenommenen Diuretikums Hydrochlorothiazid mit dem Calcium-Präparat und dem Calcitriol. Als Maßnahme empfiehlt die ABDA-Datenbank eine regelmäßige Überprüfung der Calciumkonzentration im Serum, um eine Hypercalcämie zu verhindern. Eine weitere Wechselwirkung, nämlich die des Levothyroxins mit den Calcium-Tabletten, wird durch eine zeitlich versetzte Gabe umgangen. Dies wurde so bereits von der Patientin umgesetzt.

Pharmazeutische AMTS-Prüfung für die NEM

Zur Bewertung wurde die errechnete täglichen Gesamtmenge an Vitaminen und Mineralstoffe in den NEM, als Spanne, mit den drei folgenden Empfehlungen verglichen (Tabelle):

  • D-A-CH-Referenzwerte: Empfehlungen der deutschsprachigen Fachgesellschaften für Ernährung zur täglichen Zufuhr eines bestimmten Nährstoffs. Die Referenzwerte sind nach Geschlecht und Alter differenziert und berücksichtigen Schwangere, Stillende und Raucher.
  • Tolerable Upper Intake Level (UL):
    Dieser Wert beschreibt die höchste tägliche Menge eines Nährstoffs, die bei chronischer Gesamtzufuhr, zusätzlich zur üblichen Ernährung, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu negativen gesundheitlichen Wirkungen führt. Es handelt sich hierbei um Schlussfolgerungen auf der Basis einer Risikobewertung, die in Deutschland vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erstmalig 2004 vorgenommen wurde. Teil der Bewertung sind auch:
  • Höchstmengenvorschläge, die jedoch, wie auch die UL, nicht für jedes Vitamin und jeden Mineralstoff abgeleitet werden können, in der Regel aufgrund eines Mangels an Daten, zum Beispiel für Vitamin B1. 2018 erschien eine neue Publikation des BfR, um die Höchstmengenempfehlungen und UL vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu aktualisieren.
Vitamin/Mineralstoff tägliche Gesamtdosis aller NEM D-A-CH Referenzwert UL* Höchstmengenvorschlag BfR
Vitamin A 1,55 bis 3,15 mg 0,7 mg 1,5 bis 3,0 mg 0,2 mg
Vitamin B1 (Thiamin) 1,1 mg 1,0 mg - -
Vitamin B2 (Riboflavin) 1,4 bis 2 mg 1,0 mg - -
Vitamin B5 (Pantothensäure) 2,4 bis 14,4 mg 6,0 mg - -
Vitamin B6 0 bis 2,8mg 1,4 mg 20 mg 3,5 mg
Vitamin B12 4,7 bis 10,7 µg 4,0 µg 100 µg 25 µg
Vitamin C 130 bis 230 mg 95 mg 1000 mg 250 mg
Vitamin E 17 bis 29 mg 12 mg 300 mg 30 mg
Eisen 14,76 mg 10 mg - 6 mg (nur für Frauen von 14 bis ca. 50 Jahren)
Zink 18,8 bis 33,8 mg 7,0 bis 10 mg 25 mg 6,5 mg
Tabelle: Übersicht der täglichen Gesamtmenge an Vitaminen und Mineralstoffen in einer Tagesdosis aller NEM von Frau M. M. als Spanne sowie die Angabe der entsprechenden Referenzwerte der deutschen, österreichischen und schweizerische

Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass bei Eisen, Zink und Vitamin A eine Überschreitung aller drei Referenzgrößen (sofern vorhanden) vorlag. Aus diesem Grund wurde eine nähere Betrachtung der verwendeten Quellen durchgeführt:

Für Zink liegt das UL für Erwachsene bei 25 mg pro Tag, wobei jedoch die höchste Aufnahme oder experimentell verabreichten Dosen von Zink in einzelnen Untersuchungen, die keine unerwünschte Wirkung ergaben, bei 50 mg pro Tag lag.

Zu Eisen merkt das BfR an, dass dieses generell nur nach ärztlich diagnostiziertem Mangel supplementiert werden sollte, und empfiehlt einen entsprechenden Warnhinweis auf NEM. Lediglich für Frauen von 14 bis circa 50 Jahren (vor der Menopause) wird eine Ausnahme gemacht. Die in der Tabelle genannte Höchstmengenempfehlung von 6 mg gilt daher auch nur für diese Gruppe.

Für Vitamin A liegt das UL bei 3,0 mg (Vitamin A in Retinoläquivalenten), um lebertoxische Wirkungen des Vitamins auszuschließen. In der Publikation von 2004 wies das BfR darauf hin, dass in einzelnen Studien für bestimmte Risikogruppen schon bei einer dauerhaften täglichen Einnahme von 1,5 mg Vitamin A ein erhöhtes Risiko für verminderte Knochenmineraldichte und Spontanfrakturen nachgewiesen werden konnte und somit hier das UL bei 1,5 mg anzusetzen sei. Zu diesen Risikogruppen, ist aufgrund ihrer Dauermedikation auch Frau M. M. zu zählen.

In seiner 2018er-Publikation merkt das BfR an, dass Vitamin A ausschließlich von Personen supplementiert werden sollte, die einer zusätzlichen Aufnahme tatsächlich bedürfen. Der Höchstmengenvorschlag von 0,2 mg Vitamin A in Retinoläquivalenten wurde so gewählt, dass das Risiko für unerwünschte gesundheitliche Effekte in adäquat versorgten Bevölkerungsgruppen aus Sicht des BfR nicht erheblich erhöht wird.

Ergriffene Maßnahmen

Nach Übermittlung des vorläufigen Medikationsplans und telefonischer Rücksprache mit der Hausärztin besprach die Apothekerin in einem Folgegespräch mit Frau M. M. folgende Maßnahmen:

  • Auf die Gefahr einer Vitamin-A-­Hypervitaminose und deren Folgen wurde explizit hingewiesen. Die Apothekerin empfahl, alle drei NEM mit Vit­amin A dauerhaft abzusetzen (somit wird auch kein Zink mehr supplementiert).
  • Als Alternative zu einem Knoblauch- und eisenhaltigen NEM wurde ein Knoblauch-Monopräparat empfohlen (somit Reduktion der Gesamtmenge an supplementiertem Eisen unter 6 mg).
  • Als sinnvolle Alternativen zu »Sehkraft-Kapseln« wurden befeuchtende Augentropfen empfohlen und auf Wunsch der Patientin hin auf den aktuellen Medikationsplan aufgenommen (Abbildung)
  • Nach Rücksprache mit der Ärztin trägt Frau M.M. im Sommer bei Schwellungen der Beine nun Stützstrümpfe der Kompressionsklasse 1 (statt NEM gegen »Venenprobleme«).
  • Der Einnahmezeitpunkt aller NEM mit mehrwertigen Kationen soll von morgens auf mittags verschoben werden

Im Anschluss wurde der Medikationsplan finalisiert (Abbildung), ausgedruckt, erläutert und ausgehändigt. Die Patientin war sehr dankbar für die Rückmeldungen und erläuterte, dass ihr nicht bewusst gewesen war, dass von den NEM Risiken ausgehen können.

Fazit

Bei einem NEM geht der Verbraucher in der Regel davon aus, dass die Anwendung »wenigstens nicht schadet, wenn es denn nichts nützt«. Dieser Patientenfall veranschaulicht jedoch, dass NEM zumindest potenziell Risiken aufweisen können. Bei der Analyse der Einzelzusammensetzung der Präparate von Frau M. M. stellten sich zudem Fragen nach der Sinnhaftigkeit ihrer Gesamtkomposition.

Im Einzelfall ist es jedoch nicht immer einfach, Patienten mit Sachargumenten vom Konsum dieser Produkte abzuhalten. Ein hilfreiches Argument, zusätzlich zum Sicherheitsaspekt, können die Kosten sein. Nach eigener Berechnung muss Frau M.M. für einen Jahresbedarf ihrer elf NEM etwa 900 bis 1200 Euro ausgeben, je nachdem, welche Packungsgrößen sie kauft. In diesem Betrag sind die Versandkosten noch nicht enthalten.

Des Weiteren verdeutlicht der Fall, wie wichtig es sein kann, im Einzelfall die gesamten häuslichen Arzneimittelvorräte und NEM zu überprüfen. Nur so können Probleme überhaupt erkannt und gelöst werden. Durch die konti­nuierliche Weiterbetreuung wird die Sicherheit im Umgang mit Arzneimitteln und NEM dauerhaft ­erhöht.

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