| Ev Tebroke |
| 26.11.2025 17:15 Uhr |
Diskutierten in Berlin, wie das Gesundheitssystem hierzulande entlastet werden könnte: (v.l.n.r.) Stefan Koch (Vorstandsmitglied Pharma Deutschland); Isabella Erb-Herrmann (AOK Hessen); Moderatorin Jessica Hanneken; Klaus Reinhardt (Präsident Bundesärztekammer); Cosima Bauer (Unternehmensberatung May und Bauer) und Hans-Peter Hubmann, (Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands ) / © Pharma Deutschland/Laurin Schmid
Angesichts der desolaten finanziellen Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sucht die Politik derzeit nach Lösungen, das Gesundheitssystem hierzulande effizienter aufzustellen. »Ohne Kürzungen in einzelnen Bereichen geht es nicht«, machte Georg Kippels, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), gleich zu Beginn deutlich. »Wir müssen den Betrieb aufräumen, entstauben und neu entwickeln«. Für mehr Effizienz und erhebliche Kostenersparnis setzen Politik und Branchenvertreter dabei auch auf den Ausbau von Prävention und Eigenverantwortung.
Ein wichtiger Baustein ist dabei die Selbstmedikation. Aus Sicht der Industrie bringt der OTC-Bereich den Kassen jährlich eine Entlastung von 16 Milliarden Euro, so Stefan Koch, Vorstandsmitglied von Pharma Deutschland. Hier seien weitere Entlastungen möglich, etwa durch mehr OTC-Switches. Es brauche mehr Verständnis für das Potenzial von apothekenbasierter Selbstmedikation, betonte auch Cosima Bauer, Geschäftsführerin bei der Unternehmensberatung May und Bauer. Dies sei bei Bagatellerkrankungen eine gute Alternative zum Arzt. Bislang gebe es zu wenig Selbstbeteiligung.
Die Apotheken seien ein Garant für eine gute und sichere Selbstmedikation, unterstrich Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV). »Zum Glück gibt es die Apothekenpflicht in diesem Bereich, dies gewährleistet kompetente Beratung.« Dies sei um so wichtiger, als die Gesundheitskompetenz der Menschen drastisch sinke, weil sie zunehmend eher Google fragten statt sich Rat bei einem Heilberufler zu holen. Ein verstärkter OTC-Switch in die Apotheke sei »verantwortungsvoll und gut« und biete große Entlastung für das Gesundheitssystem. »Bei bestimmten Produkten ist der Arztvorbehalt allerdings essenziell«, so Hubmann.
Das betont auch Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Das gesetzliche Vorhaben im Zuge der Apothekenreform, den Apotheken auch bei leichten Erkrankungen die Abgabe von Medikamenten zu erlauben, ohne dass eine ärztliche Verschreibung vorliegt, geht ihm zu weit: »Es darf keine unkomplizierte Abgabe von Antibiotika in der Apotheke geben.«
Aus Sicht des BÄK-Präsidenten ist Selbstmedikation kein Mittel, um die aktuellen Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen zu heilen. Auch Reinhardt sieht eine mangelnde Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung als Problem, bei dem es anzusetzen gelte.
Aus Sicht der Kassen ist die Verbesserung der allgemeinen Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. »Die Kassen können sicher dazu beitragen«, so Isabella Erb-Herrmann, Vorstandsmitglied der AOK Hessen. Aber grundsätzlich müssten die verschiedenen Player alle jeweils entsprechende Aufgaben zur Kompetenzvermittlung bekommen. Vor allem aber müsse das Gesundheitssystem strukturell verständlicher werden, derzeit sei es zu verschachtelt und fein granuliert.
Auch Kippels unterstrich, dass alle hier an einem Strang ziehen müssten. Patientensicherheit dürfe nicht nur an einer Position hängen. Apotheken hätten etwa eine entscheidende Rolle als Garant der Arzneimitteltherapiesicherheit. Grundsätzlich würde ein Teamplay von Arzt, Apotheke und Kassen auch die Eigenverantwortlichkeit garantieren.
Eine weiterer wichtiger Punkt zur Entlastung des Systems ist auch das Thema Prävention. Hier gelte es, die Möglichkeiten der Apotheken zu nutzen, da sie niedrigschwelligen Zugang zu Vorbeugung und Früherkennung ermöglichten, so Cosima Bauer. Das Beispiel Impfen zeige, dass diese Angebote von der Bevölkerung gut angenommen würden.
Hubmann stellte die Vorzüge dieses niedrigschwelligen Zugangs folgendermaßen dar: »Wir sind der einzige akademische Heilberuf, zu dem die Leute einfach direkt hingehen können – auch nachts.« Viele Bagatellerkrankungen seien durch OTC »hervorragend in den Griff zu kriegen«, so der DAV-Vorsitzende. Dies bedeute eine Entlastung für Ärzte, aber auch für Notaufnahmen.
Auch habe die Apotheke im AMTS-Bereich eine entscheidende »Wächterfunktion« und trage dazu bei, gefährliche Wechselwirkungen zu verhindern. Und last but not least unterstrich Hubmann auch das große Potenzial, das in einem engen Zusammenspiel von Arzt und Apotheke liege, wie sich am Beispiel von ARMIN, der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen gezeigt habe. Durch gemeinsames Therapiemanagement habe die Sterblichkeit um 16 Prozent verringert werden können.
Aber wie motiviert man Menschen künftig zu mehr Eigenverantwortung? Kippels sieht hier die Krankenkassen als Anreizgeber, etwa in Form eines günstigeren Kassentarifs, der Eigenverantwortung und Selbstmedikation honoriert.
Erb-Hermann von der AOK hält vor allem eine bessere Patientensteuerung für essenziell. Es brauche eine konkrete Anlaufstelle für die Ersteinschätzung. Wer kann mit seinem Anliegen in die Apotheke, wer muss zu Arzt, wer in die Klinik?
Auch Reinhardt setzt auf ein Ersteinschätzungstool, um den Wildwuchs an unnötigen Arztkontakten einzudämmen. Für Hubmann ist die einzige Maßnahme, die eine spürbare sofortige Entlastung von Praxen und Klinken bringe, Patienten bei einer einfachen Erkrankung zunächst in die Apotheke zu lotsen und von da aus weiter zu entscheiden.